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Viel Rauch und kein Rausch um Krokodil

Von wegen Drogen-Apokalypse in Form der Droge Krokodil. Heute stellte sich heraus, dass die deutschen Medien in dieser Woche einer Ente hinterherjagten.

Bereits vor einigen Wochen schlug Krokodil in den deutschen Medien einige Wellen, doch es war wohl eher eine Ente als das Monster einer Droge. Der billig Verschnitt von Heroin „Krokodil“ soll angeblich nach Deutschland geschwemmt worden sein und man freute sich darüber, endlich wieder Panik verbreiten zu können. Es war von ersten Konsumenten im Raum Frankfurt die Rede und mehrere Zeitungen sprangen auf diesen Zug auf. Alexander Kießling von der Polizei Frankfurt erzählte mir jedoch schon damals, dass „in ganz Deutschland bisher noch kein einziger Fall registriert wurde, kein Junkie auf Krokodil festgenommen worden ist, oder Stoff sichergestellt wurde.“ Das Medienecho erreichte schließlich in den vergangen Tagen seinen Zenit, als die Meldung die Runde machte, dass sich insgesamt vier Heroin-Junkies in Bochum irrtümlicherweise den Scheiß gespritzt haben sollen, doch Ermittlungen des LKA und der Polizei Bochum haben heute ergeben, dass es im Ruhrgebiet definitiv keinen Nachweis dafür gibt, dass das Teufelszeug in der hiesigen Drogenszene im Umlauf ist. Der zuständige Polizeisprecher Volker Schütte, hat mir also erklärt, wie der Verdacht zu Stande gekommen ist:

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Volker Schütte: Es hatten sich vier Personen im Drogencafé Bochum gemeldet, die am Hauptbahnhof Heroin gekauft hatten und danach feststellen mussten, dass sich unmittelbar Abszesse und Hautveränderungen eingestellt hatten. Der behandelnde Arzt erinnerte sich an ein Seminar, bei dem er Fotos von Krokodil-Konsumenten aus Russland gesehen hat und er sah durch seine Erstdiagnose den Verdacht begründet. Dieser Verdacht hat uns veranlasst, die Öffentlichkeit und natürlich auch die Drogenszene vor dem Zeug zu warnen.

Wie sind Sie nun zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei nicht um Krok handelt?

Wir haben uns im Umfeld des Bochumer Hauptbahnhofs und der örtlichen Drogenszene insgesamt neun Heroinproben besorgt und diese toxikologisch untersuchen lassen. Dabei kam heraus, dass sie weder mit Desomorphin, noch mit anderen zur Herstellung nötigen Stoffen wie Phosphor oder verschiedenen Schwermetallen versetzt waren.

Das heißt, Sie haben nicht direkt Proben von den Konsumenten bekommen, kann es dann nicht doch sein, dass es Krok gewesen ist?

Proben von den Usern wären natürlich spitze gewesen. Da der Arzt uns keine Namen nennen darf und die Konsumenten sich trotz der Pressemeldungen usw. nicht bei uns oder beim Drogencafé gemeldet haben, mussten wir uns auf die Proben aus dem hiesigen Umfeld beschränken. Wir wollen die Diagnose des Arztes nicht in Frage stellen, doch können wir im Moment nicht von einer lokalen Verbreitung ausgehen.

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Kam die Meldung dann nicht ein bisschen früh, hätte man nicht bis nach der Untersuchung warten können, statt Panik zu machen?

Jetzt wollen wir erst mal wieder die Luft raus nehmen. Die Sache sieht ja so aus: Hätten wir nicht gewarnt und es wäre Krok gewesen, dann wissen Sie ja, was los gewesen wäre. Die Warnung war in jedem Fall sinnvoll. Heroin ist ja schon gefährlich, aber das Zeug …

UPDATE:

Natürlich wollten wir genauer wissen, wie der ganze Hype zu Stande gekommen ist. Ich kontaktierte den Arzt Dr. Heinrich Elsner, bei dem die betroffenen Junkies auftauchten und der schließlich die Lawine losgetreten hat. Er erklärte mir, warum man nicht vollständig Entwarnung geben sollte und wie sehr ihn der staatliche Umgang mit Junkies anpisst. VICE: Das LKA hat Entwarnung gegeben und meint, es gebe kein Krok auf dem Drogenmarkt in Bochum. Bleiben Sie bei ihrer Meinung? Dr. Heinrich Elsner: Natürlich. Es könnte sich doch trotzdem um Krokodil gehandelt haben. Nur weil es jetzt nicht auf dem Markt ist, heißt das nicht, dass es die Droge hier nicht gibt. Es gibt immer Menschen, die Junkies den übelsten Dreck unterjubeln und sie bewusst schädigen wollen. Wir reden hier schließlich über ein hochgradig kriminelles Umfeld! Wie kamen Sie darauf, dass die Personen Krokodil gespritzt haben könnten?

Es gab einen Hinweis von anderen Gästen. Sie müssen wissen, bei uns geht es zu wie bei McDonald's, wenn Sie heute da einen Kaffee trinken gehen, sitzen dort morgen ganz andere Leute. So ist das bei uns auch. Mitarbeiter haben die desaströsen Gewebeschäden, auch im Weichteilbereich, gesehen und mich darauf hin um Rat gefragt. Das heißt, Sie selber haben die Abhängigen gar nicht untersucht?

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Nein, da waren sie schon weg. Die sind durchgehend auf der Flucht, vor allem vor der Staatsmacht. Das zu kontrollieren, ist utopisch. Mir wurden die Bilder gezeigt und ich habe den Zusammenhang mit einem Seminar über den Konsum von Krok in Russland hergestellt. Dazu kommt, dass die größten Schäden erst nach 2-3 Wochen nach dem Konsum auftreten und dann ist nicht mehr nachweisbar, welche Drogen sie geschossen haben. Sehen Sie eine reale Gefahr, dass sich Krokodil hierzulande als billiges Substitut durchsetzen könnte?

Hmm, also, ich denke, wenn den ersten Junks Arme und Beine abfallen, dann wird sich das so schnell keiner mehr spritzen. Auf der anderen Seite könnte es natürlich Verbreitung finden, wenn es entsprechend billig ist. Abhängige sind für gewöhnlich arm, das reicht dann schon aus. Eine Prognose möchte ich aber nicht wagen, die ist zu schwierig zu treffen. Warum greifen Junkies überhaupt auf so einen Dreck zurück, wenn es doch Methadonprogramme gibt, die den Betroffenen die Möglichkeit geben, kontrolliert ihren Heroinkonsum zu ersetzen?

Leider muss man feststellen, dass es viele User gibt, die mit Methadon nicht klar kommen. Woran liegt das?

1963 wurde Methadon in den USA synthetisiert, um Drogenabhängigen zu helfen, die keinerlei psychische Erkrankungen haben, nicht im Knast sitzen und sozial in einem halbwegs stabilen Umfeld leben. Das ist realitätsfern. Was glauben Sie, wieviele psychisch Schwerkranke Heroin spritzen, um ihr Leiden auszuhalten: traumatisierte Menschen, vergewaltigte Frauen wie Männer. Zu uns kommen Russen, die in Afghanistan in den 80ern solch schlimme Dinge gesehen haben, dass sie nicht anders können. Wenn sie dann Methadon nehmen, kommen die Bilder zurück, Himmel, Arsch und Zwirn, wie sollen sie denn sonst das Erlebte unterdrücken?! Aus diesem Grund greifen sie dann auf Dreck zurück und schaden sich selber. Gibt es eine andere Lösung, abseits von Methadon?

Die Substitution durch Heroin als Medikament ist rechtlich eigentlich kein Problem, sogar die Krankenkassen würden mitspielen. Bereits vor fünf Jahren gab es die ersten Modellversuche. Die Sache ist zugelassen, doch so überladen mit Hürden und Auflagen, dass es finanziell nicht umsetzbar ist. Wir treiben die Junkies in den Tod, weil kein Geld da ist. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt und ich finde das beschämend und peinlich. Das ist eine Schweinerei, die unseren Patienten angetan wird.

Hier könnt ihr mehr über Krokodil und seine russische Heimat lesen.