Drogen

Cannabis und Macht: Dieser Deutsche erschüttert die serbische Politik

Predrag Koluvija wird vorgeworfen, auf einer riesigen Plantage illegal Cannabis angebaut zu haben. Ist er schuldig – oder in eine skurrile Politposse geraten?
Hanfpfplanzen vor zwei TV-G
Symbolfoto | Collage bestehend aus: crIMAGO / Addictive Stock | IMAGO / Panthermedia | IMAGO / Future Image | IMAGO / MASKOT

Predrag Koluvija darf seine Belgrader Wohnung seit September nur einmal täglich verlassen. Tut er es öfter, alarmiert die elektronische Fußfessel die Polizei. Für Koluvija dürfte das alles eine Verbesserung sein. Davor verbrachte er zwei Jahre in serbischer Untersuchungshaft. Dem deutschen Staatsbürger mit serbischen Wurzeln wird vorgeworfen, der Kopf einer Drogengang zu sein und im Zentrum eines politischen Skandals zu stehen, der Serbien seit zwei Jahren beschäftigt. 

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Koluvija ist Inhaber von Jovanjica, des bis zu seiner Festnahme am 13.November 2019 mit 150 Angestellten größten landwirtschaftlichen Bio-Betriebs in Serbien. Neben Salat und Tomaten soll er dort mutmaßlich noch Anderes anbauen haben lassen: 1,6 Tonnen Cannabis über einen Zeitraum von drei Jahren. So lautet der Tatvorwurf durch die Staatsanwaltschaft. Koluvija bestreitet das. Das Verfahren läuft noch.


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Einiges an diesem Fall ist seltsam und das beginnt schon bei Koluvijas Festnahme. Laut serbischen Medienberichten seien Koluvija und sein Fahrer in einem Audi A8 mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Autobahn in Richtung der serbischen Stadt Niš unterwegs gewesen. Das Auto sei mit Blaulicht und Polizeisirenen ausgestattet gewesen, die in diesem Moment jedoch nicht in Betrieb gewesen seien. Als die Polizei das Fahrzeug aufgrund der Geschwindigkeitsübertretung stoppte, habe Koluvija einen gefälschten Polizeiausweis vorgezeigt. 

Am Telefon sagt Koluvija gegenüber VICE, dass er den Polizeiausweis noch nie gesehen habe, das Beweisstück nur von Fotos kenne und das auch vor Gericht "glaubwürdig belegen" könne. Hanf habe er angebaut, jedoch lediglich legalen Industriehanf. "Ich bin Biobauer, kein Dealer", sagt der 41-Jährige. Er sei unfreiwillig Hauptdarsteller einer Polit-Posse geworden, die bis in höchste Regierungskreise reiche. Auch das EU-Parlament interessiert sich für die Ermittlungen. Im März forderte es die serbische Regierung auf, mehr Transparenz im Fall Jovanjica zu schaffen.

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Neben Predrag Koluvija sind neun seiner Mitarbeiter angeklagt. Doch auch dem serbischen Innenminister Aleksandar Vulin sowie Andrej Vučić, den Bruder des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, werden in serbischen Medien Verbindungen zum Fall Jovanjica vorgeworfen. 

Anschuldigungen gegen Regierung

2015 hatte Aleksandar Vulin als Arbeitsminister den Jovanjica-Betrieb besucht. Als Teil eines offiziellen Termins, sagt Predrag Koluvija, und Jahre bevor er begonnen habe, Industriehanf anzubauen. Ein reiner Arbeitstermin also? Teile der politischen Opposition in Serbien sehen das anders. 

Der stellvertretende Vorsitzende der rechtsliberalen Volkspartei, Miroslav Aleksić, beschuldigt Aleksandar Vulin und Andrej Vučić, persönlich in den Fall Jovanjica verwickelt zu sein. Der Bruder des Präsidenten sei zwar nie auf der Farm gewesen, aber Koluvija habe ihn aus der Untersuchungshaft heraus angerufen. Beweise für diese These legte Aleksić bislang nicht vor.

Auch Vulin sowie beide Vučić-Brüder bestreiten alle Anschuldigungen. Kurz nach deren Bekanntwerden hatten sich die Brüder sogar wegen des Anbaus von Cannabis selbst angezeigt, um "Transparenz zu schaffen" und sich von den Behörden verhören zu lassen.

Predrag Koluvija sagt, er habe keinerlei Beziehung zu den Vučićs. Und auch wenn es in serbischen Medien so scheint, als sei ein Urteil schon gesprochen: Ob einer der Genannten wirklich in Drogengeschäfte verwickelt ist, müssen Gerichte klären.

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Schwarzmarktcannabis oder CBD-Hanf?

Während die Opposition der Regierung also Korruption vorwirft und die Regierung ihren politischen Gegnern im Gegenzug eine Schmierenkampagne, findet eine zentrale Frage in diesem Streit kaum Beachtung:

Wurden auf der Farm überhaupt Drogen produziert? 

Genauer gesagt: Wurde auf Jovanjica potentes Gras angebaut, das man auf dem Schwarzmarkt an Drogenkonsumierende verkaufen kann – oder nur Nutzhanf für die Industrie? 

Ein Bericht des TV-Senders N1 zum Fall Jovanjica suggeriert irrtümlicherweise, dass bereits Aussehen, Name oder Geruch des beschlagnahmten Cannabis Hinweise auf dessen Legalitäts-Status liefern könnten. Dabei gleichen diese Merkmale bei legalen CBD-Blüten oft denen potenter Cannabis-Pflanzen – und CBD-Hanf kann genau wie "Skunk" oder "White Widow" unter Kunstlicht angebaut und getrocknet werden. 

Die Frage, ob es sich um illegale Ware handelt, kann nur ein Test des THC-Gehalts verlässlich beantworten. Wenn der Anteil des psychoaktiven Stoffes in den beschlagnahmten Pflanzen mindestens 0,3 Prozent beträgt, wären sie in Serbien klar verboten. Alles darunter wäre legal. Doch in serbischen Medien verbreitete sich schon kurz nach der Festnahme Mitte November 2019 die Information, dass es sich bei dem beschlagnahmten Cannabis um verbotene Produkte handele. Das war jedoch vier Wochen bevor das Cannabis im Labor analysiert wurde: Das Ergebnis dieser durch Ermittlungsbehörden beauftragten Analyse, in das VICE Einblick nehmen konnte, ist auf den 16. Dezember 2019 datiert.

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Forensische Analyse: Niedrige THC-Werte

Laut der forensischen Analyse, die serbische Medien bislang nicht erwähnen und die im Verfahren gegen Koluvija ein wichtiges Beweisstück der Anklage ist, betrug der maximale THC-Wert in zehn Stichproben der beschlagnahmten Hanfpflanzen 0,54 Prozent. Das liegt zwar über den zugelassenen 0,3 Prozent, aber ist deshalb lange noch kein richtiges Weed. In der Schweiz darf Industriehanf sogar bis zu 1 Prozent THC enthalten. Cannabis mit einem THC-Wirkstoffgehalt von 0,54 Prozent mag nicht nur in Serbien illegal sein – auch in Deutschland wäre es das. Aber man müsste wohl mehr als zehn Gramm (ca. 20 Joints) davon auf einmal konsumieren, um eine Rauschwirkung zu spüren. 

Das wirft die Frage auf, ob Predrag Koluvija ein ungeschickter Hanfbauer ist, dessen Züchtungen versehentlich etwas zu potent geraten sind, oder ein Drogendealer, der sein eigenes Geschäft nicht versteht.

Sollte Koluvija diese Pflanzen tatsächlich mit dem Ziel angebaut haben, sie am Schwarzmarkt zu verkaufen, würde er dort wohl wenig Abnehmer finden. Ein Wirkstoffgehalt zwischen 10 und 25 Prozent ist dort üblich. Cannabisblüten mit 0,54 Prozent THC kann man definitiv nicht an Kiffer verkaufen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten dennoch vor, 1,6 Tonnen der kaum potenten, jedoch illegalen Pflanzen sowie Pflanzenteile zum Verkauf auf Serbiens Kiffer-Schwarzmarkt angebaut zu haben.

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Serbische Medien berichten außerdem, es gebe weitere Tests, die höhere THC-Werte ergeben hätten.

Koluvija beteuert, sich beim Hanfanbau an geltende Gesetze gehalten zu haben. 2019 habe sein Unternehmen zwei Verträge in Millionenhöhe für den Export von Nutzhanf-Stecklingen abschließen können. Auch diese konnte VICE einsehen. Erst dann habe Jovanjica Nutzhanf angebaut und nicht bereits 2016, wie man ihm vorwirft. Auch für die professionelle Aufzuchtanlage hat Koluvija eine Erklärung: "Da unsere Blüten zu hochwertigen CBD-Extrakten verarbeitet werden sollten, haben wir uns beim Anbau an Schweizern oder österreichischen Unternehmen orientiert, die Nutzhanf zur CBD-Extraktion unter Kunstlicht anbauen." Dabei habe man einzelne Pflanzen selektiert und versucht, so eigene Marken zu kreieren – genau wie die Kollegen in Österreich oder der Schweiz. Diese Marken, mit Namen wie Sugar Pop, Silver Skank oder Red Dragon, führt die Staatsanwaltschaft laut serbischen Medienberichten nun als Beweis für Koluvijas Vorhaben, Schwarzmarkt-Cannabis produzieren zu wollen. 

Sein Unternehmen habe insgesamt zwölf Mal Hanfprodukte und Hanfpflanzen nach Nordmazedonien exportiert, sagt Koluvija. Das belegen Genehmigungen und Exportbescheinungen, die VICE vorliegen.

An der forensischen Analyse, die einen THC-Wert von 0,54 Prozent in seiner Ware nachweist, habe er Zweifel. Diese sei so weit verändert worden, dass sie nicht mehr den zertifizierten Methoden entsprochen habe. Belegen wolle er das gemeinsam mit seinem Anwalt im Gerichtsverfahren. Und selbst wenn die Analyse stimme, sei es unverhältnismäßig, ihn deshalb zwei Jahre in Untersuchungshaft zu stecken, findet Koluvija: "Passiert so etwas einem Bauern in der EU, darf er den Hanf nicht mehr verkaufen, das Saatgut wird ausgemustert und der Bauer erhält allenfalls eine Geldstrafe – sofern man ihm einen Vorsatz nachweisen kann." Ihm dagegen drohten nun 40 Jahre Haft bis lebenslänglich.

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Dennoch vertraue er auf den Rechtsstaat. Sein Urteil werde für die zukünftige Nutzhanf-Industrie in Serbien wegweisend sein.

Schwierige Lage der Medien in Serbien

Nicht nur das Testergebnis belastet Predrag Koluvija. Das serbische Investigativportal Krik veröffentlichte im Juli des vergangenen Jahres Details, die nach eigenen Angaben aus der Anklageschrift stammen. Diese sei von der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Darin fänden sich detaillierte Gesprächsprotokolle aus einer geheimen Chatgruppe zwischen Koluvija und Mitgliedern des serbischen Geheimdienstes BIA sowie der serbischen Polizei. Demnach habe man sich dort abgesprochen, wie Koluvijas mutmaßliche illegalen Geschäfte abzusichern seien. Auch nach Koluvijas Verhaftung habe man sich dort laut Krik ausgetauscht, wie man Polizei und Medien zu Koluvijas Gunsten beeinflussen könne. Predrag Koluvija bestreitet auch das. Er verklagte Krik, weil das Medium mit der Veröffentlichung vor Prozessbeginn gegen die Unschuldsvermutung verstoßen habe.

Sollten die Berichte über Verbindungen in korrupte Sicherheitskreise stimmen, wären diese nicht die einzigen möglicherweise zweifelhaften Charaktere in Koluvijas Umfeld. Sein Fahrer, Miloš T., der Mann, der am Tag seiner Festnahme am Steuer des Audi saß, wurde im Februar diesen Jahres in einer von der US-amerikanischen Drogenpolizei DEA geleiteten Aktion verhaftet. In einem Fall, der mit den Vorwürfen gegen Koluvija jedoch nicht in Verbindung steht, soll sich T. am Schmuggel von 22 Kilo Heroin beteiligt haben.

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Weil Koluvija neben einem serbischen auch einen deutschen Pass besitzt, ist das deutsche Auswärtige Amt mit dem Fall betraut, kommentiert ihn jedoch auf Anfrage offiziell nicht. Ein Mitglied der deutschen Botschaft in Belgrad, das anonym bleiben möchte, sagte gegenüber VICE am Telefon, dass es auch in Serbien trotz der strengen Drogengesetzgebung ungewöhnlich sei, dass jemand, der Cannabis mit 0,54 Prozent THC produziert, über zwei Jahre in U-Haft sitzen müsse. Es gebe andere Fälle in Serbien, bei denen erhöhte THC-Werte beim Nutzhanfanbau gar nicht strafrechtlich verfolgt worden seien. Hinzu komme, dass der Fall politische und mediale Bedeutung habe: "Der Fall wurde durch die Medien sehr stark aufgegriffen, die auch sehr polarisierend vorgehen. Da gibt es Medien der Opposition, die in die eine Richtung gehen. Und regierungsnahe Medien, die in die andere Richtung berichten."

Die EU-Kommission bemängelt seit Jahren die Situation der freien Medien in Serbien. Reporter ohne Grenzen listet Serbien auf seiner Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 93 von 180. Journalistinnen und Journalisten könnten dort weder auf Sicherheit noch auf Schutz durch den Staat zählen.

Die der oppositionellen Volkspartei nahestehende Zeitung Danas und der regierungskritische Sender N1 berichten häufig über den Fall. Beide Medien beteiligen sich an Spekulationen über eine Verstrickungen von Regierungsmitgliedern in den Drogenhandel.

Regierungsnahe Medien hingegen konzentrieren ihre Berichterstattung auf Slobodan Milenković, den Polizisten, der für Koluvijas Verhaftung verantwortlich war. Die Artikel drehen sich um angebliche Verfehlungen Milenkovićs und werfen ihm etwa einen verweigerten Lügendetektortest vor, aber auch vermeintliche Korruption. Darüber hinaus richten sich Artikel regierungsnaher Medien gegen die Korruptionsvorwürfe der Opposition.

Die Frage, ob kaum potentes Cannabis überhaupt die Grundlage eines Drogenimperiums bilden kann, spielt in der serbischen Berichterstattung jedoch kaum eine Rolle. Das einzuordnen wird Aufgabe des Gerichts sein, wenn es die Verhandlung am 22. Dezember fortsetzt.

Update, 17. November 2021, 10:46 Uhr: Dieser Artikel hat in Serbien ein großes Medienecho ausgelöst. Die serbische Investigativplattform Krik merkte auf Twitter an, ihr würden weitere Testergebnisse vorliegen, die einen höheren THC-Gehalt als 0,54 Prozent aufweisen. Wir haben den Text an der entsprechenden Stelle ergänzt.

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