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Brain Freeze: Wie Neurologen die mysteriösen Eiscremekopfschmerzen erforschen

Fast 40 Prozent der Bevölkerung kennen das Phänomen „Brain Freeze“ — durch Eis oder kalte Getränke ausgelöste Kopfschmerzen.
Bei der Brain Freeze-Untersuchung in Halle. Bild vom Autor

Höchsttemperaturen von fast 40 Grad, kaum Niederschlag und tropische Nächte: Der Sommer meint es dieses Jahr ziemlich gut mit Mitteleuropa. Zur Abkühlung in den überhitzten Innenstädten haben wir zum Glück diese fantastische Erfindung namens Eiscreme. Leider hat bei vielen Menschen die Erfrischung einen unangenehmen Nebeneffekt: den Brain Freeze oder Hirnfrost.

Bei diesem Phänomen handelt es sich um einen plötzlich auftretenden, stechenden Kopfschmerz. Kleineren Studien zufolge machen etwa 40 Prozent aller Menschen beim Eisessen diese unerfreuliche Erfahrung. Es ist ein Schmerz, der sich tatsächlich so anfühlt, als würde das Gehirn kurz einfrieren und—eine kurze Eispause vorausgesetzt—sofort danach wieder auftauen.

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Stephan Mages bei der Hirnfrost-Studie zu seiner Doktorarbeit. Alle Bilder vom Autor

Weitestgehend unbekannt ist dabei, wie diese Kopfschmerzen eigentlich entstehen. Im Universitätsklinikum Halle wird nun erstmals eine größere Studie zum Brain Freeze durchgeführt. Dr. Ole Hensel und sein Doktorand Stephan Mages untersuchen mithilfe eines Doppler-Ultraschalls bei knapp 80 Probanden den Blutfluss im Gehirn während der Aufnahme von kalter Flüssigkeit.

Freiwillige Teilnehmer zu finden, war nicht sehr schwer. Die Probanden meldeten sich über Facebook-Aufrufe und Aushänge in Eisdielen—vermutlich auch einfach deshalb, weil viele erwartet hatten, jede Menge köstliche Spaghetti-Eisbecher vorgesetzt zu bekommen. Doch die Untersuchung bot den Teilnehmern im ersten Teil lediglich einen einfachen Eiswürfel, im zweiten Teil gab es dann nur noch ganz fade gekühltes Wasser.

Der Grund für dieses kulinarisch minderwertige Angebot ist einleuchtend: Eiscreme lässt sich sehr schlecht standardisieren. Verschiedene Sorten und unterschiedliche Geschmäcker beeinflussen die Reaktion der Probanden. Daher gibt es in der Studie nur Wasser, auch wenn es weniger gut schmeckt. „Dafür haben wir nach dem Test zur Belohnung Eiscreme verteilt", so Hensel.

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Doch zuerst bekommt der Proband einen Gurt um den Kopf geschnallt. Daran sind Sensoren eines Doppler-Ultraschallgeräts angeschlossen, die die Flussgeschwindigkeit des Blutes an den Schläfen messen. Dank des Gurtes, den Ole Hensel eigens für die Studie entwickelt und inzwischen auch patentiert hat, werden die Ergebnisse zuverlässiger, denn die Sensoren bleiben immer an der selben Stelle, auch wenn der Proband sich mal bewegt. Was er unweigerlich tut, denn die Testung dauert etwa 20 Minuten.

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Warum der Eiswürfel weniger reinhaut als das Eiswasser, ist im Grunde die große Frage, die sich nun stellt.

Los geht es mit dem sogenannten Kontrollversuch. Der Proband drückt mit der Zunge kräftig gegen den eigenen Gaumen—schließlich könnte es sein, dass allein der Druck auf den Gaumen einen Nervenreflex auslöst, der zu einem erhöhten Blutfluss im Gehirn führt. Danach wird ihm ein -16 Grad Celsius kalter Eiswürfel auf die Zunge gelegt, der wiederum gegen den Gaumen gepresst wird. Im zweiten Teil bekommt der Versuchsteilnehmer etwa 200 ml Wasser in Raumtemperatur zu trinken, danach Wasser, das auf vier Grad Celsius heruntergekühlt ist. Währenddessen misst der Ultraschall konstant den Blutfluss im Gehirn.

Ein erstes, auch für die Forscher überraschendes Ergebnis stellte sich ziemlich früh heraus: Obwohl das Wasser mit vier Grad um einiges wärmer war als der gefrorene Eiswürfel, löste es viel häufiger den Kopfschmerz aus. Der lang andauernde, sehr kalte Reiz des Eiswürfels führte zwar bei allen Teilnehmern zu einer leichten Durchblutungssteigerung des Gehirns, äußerte sich aber nur bei den wenigsten in Schmerzen.

Warum der Eiswürfel weniger reinhaut als das Eiswasser, ist im Grunde die große Frage, die sich nun stellt. Die Ärzte gehen davon aus, dass es an der größeren Oberfläche des flüssigen Wassers im Vergleich zum kleinen Eiswürfel liegt. Dadurch hat das Eiswasser Kontakt zu gleich mehreren Nerven an größerer Fläche, was einen größeren Reiz bewirkt. Ob nun die starke Durchblutung selbst zum Kopfschmerz führt, oder eine Begleiterscheinung ist, kann bisher nicht festgestellt werden. „Wir vermuten, dass dem Schmerz ein Reflex der Nerven zugrunde liegt, der im Kopf ausgelöst wird und dort auch bleibt", sagt Hensel.

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Ole Hensel und Stephan Mages bei der Testung an der Uni Halle.

„Beim Trinken von Eiswasser reizt man drei zentrale Nerven, hauptsächlich allerdings den sensiblen Nervus Trigeminus, der Mundhöhle, Kiefer und Augen mit dem Hirnstamm verbindet", erklärte Mages. „Wir vermuten, dass dieser Nerv zentral im Auslösen des Schmerzes ist."

Der Reflex zentraler Nerven könnte auch eine Erklärung dafür liefern, warum der Schmerz bei manchen auftritt und bei anderen nicht. Es könnte zum Beispiel sein, dass einige Menschen kälteempfindlicher und zugleich schmerzempfindlicher sind als andere.

Als Schmerz-Auslöser verdächtigt wird der Trigeminus-Nerv, der Mundhöhle, Kiefer und Augen mit dem Hirnstamm verbindet.

Der Nervus Trigeminus ist auch der Nerv, der hauptsächlich als Verursacher von Migräne verdächtigt wird. Andere Studien haben ergeben, dass Migräne-Patienten eher zum Brain Freeze neigen, eine Parallelität liegt also nahe. Um das Ergebnis nicht zu verzerren, wurden in der Hallenser Studie Probanden mit Migräne allerdings ausgeschlossen.

Studienleiter Hensel hofft nun, dass sich auf den in zwei bis drei Monaten erwarteten Endergebnissen Folgestudien aufbauen lassen. Zum einen kann der Kältekopfschmerz damit noch viel besser untersucht werden, zum anderen erhofft er sich Erkenntnisse über Kopfschmerzen allgemein. Vor allem die Migräne, von der sehr viele Menschen betroffen sind, ist bisher schwierig zu untersuchen.

„Bei der Kopfschmerzforschung besteht häufig das Problem, dass man manchmal eine Woche wartet, bis der Kopfschmerz wiederkommt und nur dann kann die Untersuchung gemacht werden", sagt Hensel. Das erschwert den Untersuchungsaufbau enorm und nimmt den Forschern oft die Möglichkeit, Migräne-Patienten direkt vor und während eines Anfalls zu untersuchen. Könnte man die Migräne aber beispielsweise durch Eiswasser bewusst auslösen und damit gezielt herbeiführen, ergäbe sich ein großes neues Forschungsgebiet.

Zunächst aber müssen nun die Unmengen an Daten aus der Testung der letzten Tage verarbeitet werden — Stephan Mages wird also in den nächsten Tagen viel Zeit vor dem Rechner verbringen. Und das bei Außentemperaturen von mehr als 30 Grad. Gehen wir mal davon aus, dass er sich zwischendurch etwas Abkühlung durch ein großes Eis gönnt—hoffentlich ohne Brain Freeze.