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Integration

Auch ein Schweizer EM-Sieg kann das Land nicht einen

Die Schweizerische Volkspartei hetzt regelmäßig gegen Ausländer. Blöd nur, dass die halbe Schweizer Mannschaft aus Einwandererkindern besteht.
EPA Images/Georgios Kefalas

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist bekannt für ihre Poster. Die sind zwar häufig schön bunt, doch die Botschaft dahinter offenbart eine Schwarz-Weiß-Sicht—vor braunem Hintergrund. Anfang des Jahres—kurz bevor ein Referendum darüber entscheiden sollte, ob die Schweiz kriminell gewordene Ausländer leichter ausweisen darf—war das Land mit Plakaten vollgepflastert, die drei weiße Schafe zeigten, die ein schwarzes aus der Schweiz kickten.

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Auch in den Jahren zuvor ist die SVP immer wieder mit Botschaften aufgefallen, die irgendwo zwischen rechtspopulistisch und abstoßend fremdenfeindlich einzuordnen waren. Das Traurige: Die SVP ist mittlerweile so sehr im Mainstream angekommen, dass sie bei den letztjährigen Parlamentswahlen mit 29,4 Prozent erneut stärkste Partei wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, sich den Kader der Nati mal etwas näher anzuschauen. Während vor 20 Jahren noch jeder einzelne Spieler gebürtiger Schweizer war, kamen beim letzten Testspiel Spieler zum Einsatz, die in Deutschland, der Elfenbeinküste, auf den Kapverden, in Kamerun oder im ehemaligen Jugoslawien geboren wurden.

Nati-Star Xherdan Shaqiri wurde im Kosovo geboren. Foto: EPA Images

Und das ist gerade mal die halbe Geschichte. Denn der Star der Mannschaft—Xherdan Shaqiri, der das Spiel verletzungsbedingt verpasst hat—ist ebenso im ehemaligen Jugoslawien geboren, und zwar als Sohn kosovarischer Eltern. Auf seine Schuhe hat er sich neben der Schweizer Flagge auch die kosovarische und die albanische sticken lassen. Die zwei besten Schweizer Stürmer der EM-Qualifikation nach Shaqiri, die beiden Bundesliga-Legionäre Haris Seferovic und Josip Drmic, sind bosnischen bzw. kroatischen Ursprungs. Die Liste geht beliebig weiter: Gökhan Inler, der die Nati als Kapitän bei der WM 2014 angeführt hat, hat türkische Vorfahren; Eren Derdiyoks Eltern waren Kurden, die aus der Türkei in die Schweiz kamen; Pajtim Kasamis Eltern sind aus Makedonien und die von Valon Behrami aus Albanien.

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Der Aufstieg der SVP hat diese Widersprüche zwar noch mehr in den Fokus gerückt, doch rechtsgerichtete Ansichten sind nichts Neues für den Schweizer Mainstream: Vor zwei Jahren haben die Wähler in einem Referendum beschlossen, dass die Einwanderung beschränkt werden soll. Und 2009 wurde ein Gesetzesvorschlag zum Baustopp von neuen Minaretten in der Schweiz von 57 Prozent der Wählerschaft unterstützt.

Wenn es Ziel der SVP ist, sich Unbehagen und Unzufriedenheit in der Gesellschaft zunutze zu machen, dann zeigen ihre jüngsten Erfolge, wie weit verbreitet diese Unzufriedenheit in der Schweiz sein muss. Auf jeden Fall steht die Entwicklung in klarem Widerspruch zu den nationalen Stereotypen von Zusammenhalt und Harmonie.

„Die Mitte der Bevölkerung repräsentiert das Land am besten", so Diccon Bewes, Autor des Buches Swiss Watching, der seit Jahren in der Schweiz lebt. „Der Schweizer ist im Allgemeinen tolerant, doch es herrscht die unterschwellige Sorge, dass sich das Land zu schnell verändert, samt dem Gefühl, sich „immer weniger wie ein Schweizer zu fühlen.'"

Johan Djourous Familie wurde in der Elfenbeinküste geboren, während Eren Derdiyoks Eltern Kurden sind. Foto: EPA Images

Bewes sagt, dass man zwischen der jüngeren Anti-Flüchtlings-Rhetorik und der traditionellen Abschottungskultur der Schweiz zu unterscheiden habe. „Gar nicht mal so viele Schweizer sind richtig fremdenfeindlich—auch wenn dieser Flügel der Gesellschaft besonders lautstark auftritt. Doch ist es eben eine typisch Schweizer Eigenart, Fremden gegenüber misstrauisch zu sein. Selbst wenn diese nur aus dem Nachbardorf kommen." Die Schweizer Mentalität lasse sich laut Bewes wie folgt zusammenfassen: „Du bist nicht mein Freund, solange ich dich nicht kenne."

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Der Widerspruch zwischen der Politik der SVP, wie dem Minarett-Verbot, und der Nati knirscht umso mehr, wenn man sich dann noch diese Tatsache vor Augen führt: Die meisten der oben genannten Spieler, darunter auch Shaqiri, sind Muslime. Viele von ihnen sind Secondos, also „Ausländer" zweiter Generation, wie sie in der Schweiz auch genannt werden. Ein weiterer verbreiteter Begriff für dieselbe Gesellschaftsgruppe, der eine eindeutig reaktionäre Denke zutage bringt, ist Papierli-Schweizer.

Granit Xhaka hätte auch für Albanien spielen können. Foto: EPA Images

Genau ein solcher Papierli-Schweizer ist auch der Ex-Gladbacher Granit Xhaka, der als Sohn kosovarischer Eltern in Basel geboren wurde. Der meinte im vergangenen Monat: „Als Schweizer wurde ich nie ernst genommen. Alle meinten immer nur ‚Scheiß-Albaner'. Die Leute vergessen manchmal, dass auch Personen aus dem Balkan gute Menschen sein können. Der größte Unterschied zwischen mir und einem ‚Urschweizer' ist doch nur mein Name".

Vor Beginn der EM wurde die Nati als Symbol multiethnischer Einheit verkündet. Was gibt es auch für eine bessere Antwort auf ultrakonservative SVP-Heinis als „Hopp Schwiiz"-Rufe für eine Mannschaft, die so deutlich das Produkt von Einwanderung ist?

Wird die Schweiz so erfolgreich sein wie das ethnisch ebenso vielfältige Frankreich bei der WM '98? Und wenn nicht: Welche Folgen hätte das für die gesellschaftliche Bewertung seines Kaders? Foto: PA Images

Doch bei aller Symbolkraft darf man laut Bewes eine Sache nicht vergessen: Es ist ein Unterschied, ob man das, wofür die Schweizer Mannschaft steht (nämlich ethnische Integration), anerkennt und schätzt, oder ob man den Fehler macht, darauf utopische Vorstellungen zu projizieren: dass beispielsweise die Herausforderung ethnischer Integration durch die Nati gelöst werden kann. Die Schweizer Gesellschaft wird auch noch am Ende des Sommers Probleme haben, unabhängig davon, wie weit ihre Fußballer bei der EM kommen werden.

Granit Xhaka bejubelt ein Tor mit Xherdan Shaqiri und Gökhan Inler. Foto: EPA Images

„In gewisser Hinsicht fördert die Kaderzusammensetzung auch die Integration in der Schweiz ", so Bewes weiter. „Die Spieler kommen aus allen Teilen Europas, haben unterschiedliche Namen und sehen doch alle die Schweiz als ihre Heimat an. Man kann den Kader als Bestätigung einer multikulturellen Gesellschaft ansehen."

Dass viele Schweizer jedoch genau eine solche Gesellschaft mit Argwohn sehen, daran wird auch die EM in Frankreich mit möglichen Toren von Granit Xhaka oder Xherdan Shaqiri nichts ändern. Selbst ein Schweizer EM-Sieg kann das Land so schnell nicht einen.