Arno Dübel mit Zigarette in der Hand. der berühmte Arbeitslose ist gestorben
Bild: IMAGO / Lars Berg
Popkultur

Warum Arno Dübel Deutschlands traurigster Hofnarr war

Der berühmte TV-Arbeitslose ist tot. Ein Nachruf.

Er war der, den wir frech nannten, ohne ihn zu kennen. Er war der, dem wir unterstellten, glücklich zu sein, obwohl wir ihn nur im Fernsehen sahen. Er war der, den wir den berühmtesten Arbeitslosen nannten, obwohl wir gar nicht wissen wollten, was Arbeitslosigkeit eigentlich bedeutet. Arno Dübel ist tot. Für Deutschland bedeutet das wenig, denn seit Jahren schon kennen wir Dübel nur noch als Meme und Witzfigur. Dabei stand er einmal für die Möglichkeit eines besseren Deutschlands.

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Arno Dübels Thesen, seine Gedanken und sein Auftreten waren provokant. Er sagte Dinge wie "wer arbeitet, ist doch blöd". Er lebte von Transferleistungen und nannte diese "gutes Geld", von dem er gut leben könne, was natürlich Quatsch war. Das muss Dübel gewusst haben. Er hat es aber nicht gesagt, weil es das Provokationspotenzial seiner Aussagen geschmälert hätte. Dübel wollte anecken. Er war die Tischbeinkante, an der Deutschland sich den kleinen Zeh stieß. Damit wir zumindest kurz innehalten, um uns zu fragen, ob nicht doch eine andere Welt möglich wäre, durch die man laufen konnte, ohne sich zu stoßen.

War sie nicht. Zumindest damals. Das Trash-Fernsehen, die mittäglichen Talkshows und abendlichen Boulevardmagazine hofierten Dübel, um sich über ihn lustig zu machen, um seine Thesen einzubetten in gegenteilige Meinungen, die in Anzügen und großen Fremdwörtern vorgetragen wurden, um Dübel aussehen zu lassen wie einen Asozialen.


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Dübel sei einer, dem es nur um sich ging, nur um das eigene Wohlbefinden. "Faul" nannte man ihn. Der Boulevard küsste und er schlug Dübel, denn der brachte Quoten, Absatzzahlen. "Rage Bait" nennt man das, wenn Medien darauf setzen, dass das Publikum die eigenen Inhalte konsumieren wird, wenn man es nur ausreichend reizt. Die BILD-Zeitung war eine treue Begleiterin Dübels, vor deren Karren er sich gern spannen ließ, um ihn durch den Dreck zu ziehen, der die BILD ist.

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Doch auch Dübels Existenz durchziehen Schatten. Die Mächtigen haben ihn instrumentalisiert. Er wurde ihr Werkzeug, die Brechstange, mit der sie die Gesellschaft knackten, um ihr eine grausame Ausprägung des Liberalismus ins Innerste zu gießen. Es war gerade die sozialdemokratisch geführte Rot-Grüne-Regierung, die der Arbeitsmarktpolitik Anfang der 2000er die Menschenfeindlichkeit beibrachte und damit die untere Klasse, die sie einst vertreten und schützen wollte, verriet. Hartz IV, fördern und fordern, Erniedrigung, Kürzungen, Scham. Arbeitslosigkeit wurde zu einer individuellen Verfehlung erklärt. Wer keinen Job hatte, hatte versagt und wer länger keinen hatte, war ein Schmarotzer, das Letzte. So wie Arno Dübel.

Er war die Galionsfigur der Arbeitslosen, der Hartz IV-Empfänger. Er zog die Verachtung der Arbeitenden auf sich, den Hass der Arbeitgeber und der Wohlhabenden, die es nicht einsahen, so jemanden mit ihren Steuergeldern zu unterstützen – und damit alle Empfänger von Transferleistungen. Denn nun wusste man ja, was die mit dem Geld machten: Sie rauchten und tranken und saßen den ganzen Tag gemütlich vor dem Fernseher. So ließen sich die Arbeitsmarktreformen gut rechtfertigen. Niemand will dafür arbeiten, dass andere nicht arbeiten, sondern saufen.

Aber Arno Dübel berührte die deutsche Seele auch noch tiefer. Denn eigentlich, und hier mögen die ersten Arbeitnehmer bereits wütend werden, arbeitet fast niemand gern. Aber die meisten müssen arbeiten und reden sich deswegen ein, dass sie es gern täten, um nicht wahnsinnig zu werden vor dieser gigantischen Kluft in ihrer Selbstwahrnehmung. Nun war da einer, der offen sagte, dass er nicht gern arbeitete. Und die Deutschen hassten ihn dafür. Neid äußert sich nicht selten auch in Wut und Ablehnung von Dingen, die man eigentlich gern hätte, aber nicht hat. Aus Selbstschutz mussten die Deutschen also über Dübel lachen, ihn beschimpfen und hassen – obwohl sie sich doch insgeheim selbst ein selbstbestimmtes Leben wünschten.

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Arbeit über alles

Arbeit steht in Deutschland an erster Stelle. Sie ist für uns das Wichtigste, schon weil wir so viel Zeit mit ihr verbringen, 40 Stunden pro Woche. Familie und Freundschaften kriegen nicht so viel Zeit. Wir hassen das, aber wir gestehen es uns nicht ein, um unser Selbstbild nicht ankratzen zu müssen. Deswegen sind wir morgens pünktlich bei der Arbeit, deshalb scherzen wir in der Kaffeeküche mit unseren Chefs, deshalb nervt uns die Letzte Generation, wenn wir wegen ihr im Stau stehen. Wer damals Arno Dübel verachtete, tritt heute Klimaaktivisten, wenn sie auf der Autobahn sitzen.

Die Funktion des Hofnarren besteht darin, den Herrschenden unangenehme Wahrheiten zu präsentieren. Er genießt die zugehörige Narrenfreiheit, er darf diese Kritik äußern, weil er witzig ist, weil man ihn ohnehin nicht ernst nimmt. Arno Dübel war dieser Hofnarr für die deutsche Mittelschicht. Er war der, der einerseits Wahrheiten ansprach, die alle verstanden, aber ablehnten, weil sie meinten, das System sei schon OK so und ohnehin nicht zu verändern. Gleichzeitig war sein zerfurchtes Gesicht eine Warnung: Wer sich nicht anstrengt im Leben, wer den Job verliert, wird wie Arno Dübel, Deutschlands faulster Arbeitsloser.

Mittlerweile ist Dübel weitgehend vergessen. Wobei, was heißt vergessen? Er ist nach wie vor ein Meme, ein Relikt aus den frühen 2000ern, über das man sich immer noch lustig macht. Allerdings ist der Witz heute noch platter, noch oberflächlicher als damals, als man noch sein Selbstbild vor dem Mann schützen wollte, der unangenehme Wahrheiten aussprach. 

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Heute ist Dübel nur noch eine Karikatur. Olli Schulz hat ihn in Einspielern in den Podcast mit Jan Böhmermann eingebaut. So hören ihn allwöchentlich Millionen Menschen, ohne zu wissen, wer das ist, der sie aus der Bluetooth-Box ankrächzt. Doch es ist Arno Dübel, der zwar Teil der Popkultur wurde, ohne allerdings davon profitieren zu können. Denn klar, die BILD-Zeitung echauffierte sich in Superlativen über ihn. Aber Dübels Schlagerkarriere war zu unprofessionell, seine Songs ("Ich bin doch ganz lieb", "Der Klügere kippt nach"), sorry, aber schlicht zu schlecht, als dass ihm der Ballermann eine Bühne hätte bieten wollen. 

Hätte man Dübel damals unter anderen Vorzeichen erlebt. Hätte er sich womöglich auch anders präsentiert. Denn natürlich muss es auch für ihn verlockend gewesen sein, bundesweit bekannt zu sein. Da hat er sich vielleicht freiwillig zum Schmarotzer erklären lassen.

Zuletzt lebte er im Altersheim, starb in Hamburg mit 67 Jahren, heißt es. Hätte er je gearbeitet, hätte er von seiner Rente nichts mehr gehabt und so stellt sich die Frage, ob der Hofnarr von damals nicht am Ende doch weiser war als die Hofgesellschaft, die ihn bespucken musste, um sich das eigene lauszerfressene Leben schönreden zu können. Und warum er nun der "traurigste" Hofnarr war? Weil man über Arno Dübel stets in Superlativen spricht.

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