Ich habe für einen Probearbeitstag im Ausschaffungsgefängnis gearbeitet
Illustration von Cora Meyer

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Ich habe für einen Probearbeitstag im Ausschaffungsgefängnis gearbeitet

Und ich kann sagen: Zivildienstleistende sind nicht qualifiziert, Abschiebehäftlinge zu betreuen. Obwohl sie es schaffen, die Ruhe aufzubringen, die das restliche Gefängnispersonal von ihnen erwartet.

„Geht denn das mit dem Pendeln von Basel?", war die einzige Frage, die mir der „Leiter Arbeitsbetriebe" zu meiner Eignung für den Job als Zivildienstleistender im Flughafengefängnis Zürich am Handy gestellt hat. Er hatte mich offensichtlich nicht gegoogelt und hatte bloss Zweifel, ob es Sinn macht, eine Zivistelle mit Arbeitsbeginn 07:30 Uhr anzutreten, wenn der Anfahrtsweg 90 Minuten beträgt. Macht es tatsächlich nicht. Das ist mir am Schnuppertag schon an der Bushaltestelle in Glattbrugg klar geworden.

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Nachdem ich die richtige Klingel gefunden habe, muss ich nur noch meine Wertsachen wegschliessen, meine ID vorlegen und schon bin ich drin: im Flughafengefängnis Zürich. Der nette „Leiter Arbeitsbetriebe" führt das telefonische Kennenlernen persönlich weiter und bringt mir seine Arbeit näher: Es gebe einen Vollzugs- und einen Ausschaffungsteil. Diese Unterscheidung müsse man aber gar nicht so absolut sehen, denn die meisten Ausgeschafften seien sowieso bereits zuvor im Strafvollzug gewesen, egal ob hier oder anderswo.

Dann holt er mich mit der Frage „Warum Gefängnis? Warum interessieren Sie sich für Zivildienst im Gefängnis?" aus meinem Dämmermodus. Ich würde ihm gerne die Wahrheit oder zumindest eine Wahrheit sagen, aber von denen kommt keine in Frage. Weder „Meine Schwester konnte den Ausschaffungstrakt des Flughafengefängnisses besichtigen und war schockiert, weil er schlimmer war als das Genfer Ausschaffungsgefängnis, das man aus der Doku Vol Spécial kennt." noch „Ein Freund hat hier mal als Betreuer Zivildienst geleistet und mir erzählt, dass er als Studieneinsteiger ohne Betreuungserfahrung praktisch die alleinige Ansprechperson einzelner Ausschaffungshäftlinge war." und noch nicht mal „Vor ein paar Jahren verbrachte ich meine Sommerferien als Bleiberechts-Besetzer auf der Kleinen Schanze in Bern." erscheint mir eine besonders sinnvolle Antwort. Sie alle würden stimmen, aber keine davon lohnt sich hier offenzulegen. Nein, ich sitze aus völlig falschen und vorgeschützten Gründen in diesem Begrüssungsgespräch und sage stattdessen etwas über Neugier und Belastbarkeit.

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Auch mir selbst gegenüber finde ich keine abschliessende und ehrliche Antwort: Was will ich aus einem einzelnen Arbeitstag ohne Aufnahmegerät (ich musste es mit den Wertsachen wegsperren) herausfiltern? Was genau erhoffe ich mir zu erfahren—und wie viel davon darf und kann ich dann tatsächlich aufschreiben? Ja, es hat keinen Aufenthaltsraum für die Häftlinge (im Gegensatz zum Gefängnis in Genf). Ja, der eine Freund hatte Aufnahmegespräche mit ausschliesslich Tibetisch sprechenden Tibeterinnen geführt. Natürlich sollte kein nicht-ausgebildeter Zivildienstleistender diese Verantwortung tragen. Aber für diese Einsicht hätte ich mich nicht selbst einen Tag hierhin begeben müssen.

Danach führt mich der „Leiter Arbeitsbetriebe" durch den Vollzug und weiter in den Ausschaffungstrakt. Überall Lärm von Bohr- und Schleifmaschinen. Wo wegen der Handwerker die Tür offenbleiben musste, sitzt ein Extra-Aufseher seine Arbeitszeit ab.

Der Zivi, dessen Stelle ich übernehmen soll, ist ausgebildeter Detailhändler und Wannabe-DJ. Er zeigt mir als Erstes die Aussichtsplattform im obersten Stock. Im angrenzenden Innenraum hängen „Motivationsposter", auf denen anstatt von Insassen oder Häftlingen konsequent von den „uns Anvertrauten" gesprochen wird. Unser Chef, der wie die meisten Festangestellten hier untersetzt ist und nur wenige Haare hat, erklärt mir beim ersten von vielen Kaffees, was das Wichtigste ist an der Arbeit im Gefängnis: immer Ruhe bewahren. Bei der Führung durch den Ausschaffungsteil gibt mir Detailhändler-DJ wichtige Tipps für den Arbeitsalltag hier: „Such dir einen Platz, an dem du nicht auffällst, um E-Books zu lesen. Bleib unauffällig, wenn du keine Arbeit hast." Wir besuchen verschiedene empfehlenswerte Verstecke. Überall weisen Akkukabel oder Magazine auf Leute, die hier Pause machen, hin. Ausserdem zeigt er mir, wo das Festivalgelände des Open Air Zürichs ist. Den Bass habe man selbst noch im Gefängnis gespürt.

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Ich finde ein zweites Mal aus dem Dämmermodus, als mir der andere Zivi den Ordner mit den beschlagnahmten Gegenständen zeigt: Haschisch in Chips-Packungen der Marke „Zweifel", Draht in Senftuben, Messer in Kugelschreibern und Koks im Kofferfutter. Jedes Panzerknacker-Klischee wurde von den Insassen bereits ins Flughafengefängnis zu schmuggeln versucht. Trotzdem kann der Typ, der die Post kontrolliert, Ruhe bewahren: Auf jeder Mappe ist das Datum notiert; im Schnitt wird nur ein Mal im Monat was gefunden.

Statt dass ich mit meinem neuen Lieblings-DJ die neu renovierten Böden dafür kritisiere, dass sie für den Gefängnisalltag zu empfindlich sind, achte ich auf die zahlreichen Malereien auf Leinwänden und Wänden: ikonische Asterix-Szenen, Comic-Kühe mit der Sprechblase „Eat Mor Chicken!", ein ganzes Stockwerk, das mit allen Länderflaggen der Welt ausstaffiert ist. Von Wimmelbildern, die die direkte Aussicht auf den Flughafen zeigen, bis zu kubistischen Figuren: Überall hängen bunte Ergüsse purer Lebensbejahung.

Mich deprimiert diese Niedlichkeit. Und als mir der „Leiter Arbeitsbetriebe" später erzählt, dass alle Bilder von Häftlingen gemalt wurden, verstärkt sich die gespaltene Wirkung der Innendekoration auf mich noch.

Die Zivistelle, für die ich mich beworben hatte, ist im Werkdienst. Das heisst, ich wäre zusammen mit einem Festangestellten für die Aufsicht und Unterstützung einer Arbeitsgruppe zuständig. Die Häftlinge im Ausschaffungsgefängnis erledigen alle Formen einfacher Arbeit: Sie falten die Primarschulzeugnis-Mäppchen für den Kanton Zürich, Einladungen für Credit-Suisse-Anlässe, Standard-Agenden.

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An diesem Tag muss unsere Gruppe Kabelschienen zum Export in die Türkei ausräumen und neu etikettieren. Alle sind superschnell und effizient, obwohl die Arbeit für Aussenweltverhältnisse stumpfsinnig ist. Immer wollen mehr Häftlinge arbeiten als Bedarf besteht. Wer arbeitet, erhält 15 Franken pro Tag, aber die meisten freuen sich alleine schon über die Abwechslung. Unsere Aufgaben dabei sind: Unterstützen, anleiten und Respekt zeigen.

Als die Schicht vorbei ist, wird kurz eine Schere gesucht. Einer der Häftlinge zieht sie nach einer einfachen Rückfrage unseres Chefs aus der Hosentasche. Es bleibt offen, ob sie aus Versehen oder absichtlich dort gelandet ist.

„Gell, einer von ihnen hat Aids?", fragt der Detailhändler-DJ unseren Vorgesetzten mit leichter Besorgnis. Dieser antwortet mit weiser Miene, dass er sowieso jeden Einzelnen so behandle, als ob er Aids hätte.

Dann warten der Detailhändler-DJ und ich bei der Aussichtsplattform auf das Mittagessen. Nach zwei bis drei Tassen Kaffee gesellen sich die zwei Zivis im Betreuungsbereich zu uns. Sie sind es, die Aufnahmegespräche mit den Insassen führen. Einer von ihnen hat einen Bachelor in Umweltwissenschaften, der andere ist Sekundarlehrer.

Sie erzählen von ihrer Verantwortung. Von Leuten, die nach Mailand ausgeschafft werden und schon sieben Tage später wieder im Flughafengefängnis sind. Vom psychotischen Russen, mit dem ihr Chef sie nicht alleine sprechen lassen wollte. Sie nehmen ihre Arbeit ernst, aber es ist trotzdem mehr oder weniger Zufall, dass sie hier sind und diese Verantwortung tragen. Aber im Gegensatz zu uns Werkdienst-Zivis haben sie an diesem Dienstag wenigstens was zu tun.

Beim Abschlussgespräch mit dem „Leiter Arbeitsbetriebe" lasse ich dezent durchblicken, dass mir die nötige Ruhe für den Job wohl wirklich abgehe. Ich muss nichts unterschreiben, bekomme aber noch ein Best-of der Anekdoten über Zivi-Versagen mit auf den Heimweg: Ein Zivi sei bei einer Schlägerei in Panik geraten und habe alle Türen offen gelassen. Ein anderer habe CDs für die Insassen ins Gefängnis geschmuggelt. Als ich draussen bin, bin ich froh, nicht wirklich hier zu arbeiten. Und ich finde immer noch, dass das überhaupt kein Zivi tun sollte.

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