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Flüchtlinghilfe

Refugee Kitchen: Hunger am LaGeSo

Dass am Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin–kurz LaGeSo–derzeit so einiges nicht richtig läuft, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Realität ist wesentlich krasser, als es ihr euch vorstellen könnt.

Dass am Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlinkurz LaGeSoderzeit so einiges nicht richtig läuft, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Realität ist wesentlich krasser, als es ihr euch vorstellen könnt.

Von einem «zivigesellschaftlichen Gänsehautmoment» sprach Die ZEIT Anfang August: Nachdem bekannt wurde, dass bis zu 2000 Flüchtlinge vor dem LaGeSo in Berlin ohne Wasser und ohne Nahrung teilweise tagelang ausharren mussten, um auch nur einen Termin zu bekommen, geschweige den registriert zu werden, strömten hilfsbereite Berliner auf das Gelände im Stadtteil Moabit, um irgendwie zu helfen – mit Wasserflaschen, Windeln und Stullen im Gepäck. Auf dem Gelände gab es nichts ausser zwei Wasserhähnen, deren Wasserqualität erst noch von den Wasserbetrieben kontrolliert werden musste. Die Flüchtlinge, die dort ausharrten, hatten ohne Registrierung keinen Zugang zu einer Unterkunft und verbrachten Nächte in den angrenzenden Parks. Es organisierte sich private Hilfe, mit der Bürgerinitiative «Moabit hilft» als Mittelpunkt, die auf dem Gelände Nahrung und andere notwendigen Dinge des Lebens, von Decken für die kalten Nächte im Tiergarten, bis Babynahrung und Feuchttücher, verteilt.

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das LaGeSo letzte Woche Montag mittlerweile gibt es eine Wasserbar

Über die letzte Woche hat sich die Organisation der Spenden und der Hilfe stetig professionalisiert–Berliner aller Altersgruppen und sozialen Schichten kamen zusammen, spendeten, schmierten und verteilten Brötchen, brachten Wasser. Mit jedem Tag gab es Fortschritte, mit jedem Tag lernte man ein bisschen mehr darüber, wie man in solch einer Ausnahmesituation eine Nahrungsmittelversorgung aufbaut: Es stellte sich zum Beispiel heraus, dass Wasser mit Sprudel von Menschen, die teilweise seit Tagen nicht gegessen haben, nicht vertragen wurde, oder dass die grösstenteils muslimischen Flüchtlinge aus Syrien vor Wurstbrötchen eher Abstand nahmen. Dadurch, dass in dem vom LaGeSo gestellten Haus zur Sammlung der Spenden keine Küche vorhanden war, konnte auch nicht gekocht werden, also wurde zu anderen Mitteln gegriffen, es wurde Gemüse und Obst kleingeschnippelt und in Päckchen verteilt oder Käse- oder Nutellabrötchen für Kinder geschmiert. In professionellen Küchen wurde Hummus und Bulgursalat vorbereitet–Gerichte, die die Flüchtlinge kennen, die sich schnell in großen Mengen vorbereiten und leicht verteilen lassen. Die Berliner Wasserbetriebe bauten eine Wasserbar auf, die von Helfern betrieben wurde, und Spreequell sponserte mehrere Tausend Liter Wasser und Saftschorle.

Aufstriche und Co alles private Spenden

Doch am Donnerstag kam es zu einem Zwischenfall, der das Verhältnis zwischen Bürokratie und Helfern am deutlichsten zeigt: Nach einer anonymen Anzeige stand das Veterinäramt bereit und verbot laut «Moabit hilft» die Verteilung von Lebensmitteln, die nicht abgepackt waren, weil die zugewiesenen Räumlichkeiten der freiwilligen Helfer keine nicht den Standard professioneller Küchen entsprechen. Das bedeutete, dass weder Brötchen geschmiert werden, noch Obst in mundgerechte Stücke geschnitten werden und theoretisch nur noch abgepackte Lebensmittel verteilt werden durften–etwas, dass praktisch kaum umzusetzen war. Der Skandal dabei: Auf dem Gelände warteten Menschen in der prallen Sonne, denen keine gesundheitliche Versorgung zuteil wird und die oftmals Mangelernährung aufweisen, die teilweise entzündete offene Wunden haben oder sogar, wie in einem Fall, Schrapnellsplitter im Auge. Dazu kommt, dass die aufgestellten Toilettencontainer kaum ausreichen und schnell verdreckt sind und ein hohes Epidemierisiko herrscht, da manche Flüchtlinge an unerkannten und unbehandelten Infektionskrankheiten leiden. All dies wurde aber, so «Moabit hilft», bei der Begehung des Veterinäramtes ignoriert. Gesundheitliche Hilfe leisteten letzte Woche nur die Johanniter bei Notfällen und einige Ärzte und Hebammen, die auf eigene Kosten freigenommen haben und als Freiwillige am LaGeSo helfen.

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Doch auch nach dem Schock durch das Amt zeigte sich wieder das Engagement der Berliner: «Innerhalb von zehn Minuten hat jemand einen Cateringwagen gestellt», berichtet Lina (Name geändert), eine der zahlreichen Helferinnen, die schon seit Anfang August jeden Tag dabei ist und mittlerweile Mitglied des Orga-Teams der Helfer am LaGeSo ist. Auch sprangen Berliner Restaurants und Imbisse ein, wie zum Beispiel Imren aus Neukölln, und lieferten beispielsweise Falafel. So konnten im Cateringwagen Linsensuppe, Hummus, Bulgursalat und Falafelsandwiches, geschnittenes Obst und Gemüse und Brote verpackt werden. Seit dieser Woche befindet sich vor Ort sogar ein noch grösserer Cateringwagen, der es Helfern erlaubt, mehr und bequemer zu kochen. Doch solche grundlegenden Dinge sollten eigentlich nicht von privaten Unterstützern gespendet werden, fordert «Moabit hilft», und spricht sich gegen eine «Privatisierung» von humanitärer Ersthilfe aus. Mit diesem Problem stehen sie nicht allein: Auch aus den Notunterkünften in Karlshorst und Wilmersdorf berichten einige, dass ohne die freiwilligen Helfern nichts gehen würde. Dabei gehen einige bis an ihre Belastungsgrenze–und weit darüber hinaus.

Die Hoffnung, dass sich diese Woche etwas bessert und eine der großen Hilfsorganisationen die Leitung übernimmt, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, weiter muss eine «Grundversorgung mit Lebensmitteln und Wasser noch durch private Spenden sichergestellt werden», wie es in der aktuellen Presseerklärung von «Moabit hilft» heisst. Gespräche mit den Verantwortlichen platzen und «der Regierende Bürgermeister Michael Müller, Sozialsenator Mario Czaja sowie der Leiter des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Franz Allert lassen die Lage vor dem LaGeSo weiter eskalieren», so «Moabit hilft». Nun soll in den nächsten Tagen die Caritas die Leitung der Hilfe übernehmen, und so eine professionelle Struktur einbringen–doch das Gros der Arbeit und die Spendenaquise bleiben an den Freiwilligen hängen. Was vor dem LaGeSo stattfindet, hat die Ausmaße einer humanitären Katastrophe angenommen, sagte die Helferin Lina, und diese Meinung teilten viele andere der Helfer auf dem Gelände.

Solltet ihr jetzt helfen wollen, checkt die Bedarfslisten für das LaGeSo und die Notunterkünfte Karlshorst, Spandau und Wilmersdorf auf berlin-hilft-lageso.de oder in den verschiedenen Facebookgruppen.