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literatur

Der sexistische Mythos der "Strandlektüre"

Ist euch mal aufgefallen, dass primär "Frauenromane" auf Urlaubs-Leselisten landen? Das ist kein Zufall.
Foto: Imago | blickwinkel

Ich habe noch nie selbst eine Liste der "17 besten Bücher für den Strand" geschrieben. Trotzdem bin ich als Buchkritikerin aus beruflichen Gründen sehr vertraut mit Listicles – immerhin sind sie der schnellste Weg, um Empfehlungen jeder Art zusammenzufassen und weiterzugeben. Obwohl der Begriff selbst noch relativ jung ist, gibt es das Listicle eigentlich schon genauso lange, wie es Bücher gibt. Allerdings wurde aus der willkürlich durchnummerierten, thematischen Sammlung erst durch das Internet ein eigenes Genre, mit dem Lesern nahezu alles verkauft werden kann. (Mir wurde mal erklärt, dass ungerade Zahlen in Überschriften mehr Traffic bringen.)

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Mit ihrer inhärenten Oberflächlichkeit sind Listicles im Grunde das perfekte Gegenstück zur sogenannten "Strandlektüre", einer Art Literaturgattung für Menschen, die nur lesen, wenn sie sich sonst beim Bräunen zu Tode langweilen würden. "Sie sollten keine tiefgreifenden Themen anschlagen oder gesellschaftliche Bedeutung haben", beschrieb sie Michelle Dean 2016 im Guardian, "sondern sollten unterhaltsam und lustig sein – mit einem hohen Tempo und einer leicht verständlichen Sprache."

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Doch obwohl es unzählige Synonyme für "Strandlektüre" gibt, eine einheitliche Definition, die bestimmt, was wir unter einer Strandlektüre verstehen, gibt es nicht. Genau aus diesem Grund lässt sich der Begriff auch so hervorragend vermarkten: Im Grunde kann jedes Buch zur Strandlektüre werden. Trotzdem dürfte jedem sofort klar sein, was damit gemeint ist.

Dean geht davon aus, dass der Begriff im Sommer 1990 zum ersten Mal innerhalb der Buchbranche aufgetaucht ist und in den Jahren danach auch von Literaturjournalisten übernommen wurde. Allerdings hängt die Erfindung der Strandlektüre laut ihr auch mit der Einführung des Taschenbuchs im Jahr 1939 zusammen. Bobbi Dumas, die als Literaturkritikerin und Autorin von Liebesromanen arbeitet, erklärt mir, dass man unter einer Strandlektüre früher "generell Taschenbücher verstanden hat, bei denen es egal war, ob sie voller Sand oder vielleicht sogar nass wurden. Außerdem waren sie etwas leichter zu lesen. Manche verstanden darunter aber auch ganz ausdrücklich und ausschließlich Liebesromane."

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Wichtig ist laut Abbe Wright von Read It Forward, dass am Schluss alles gut ausgeht. "Das Happy End ist in solchen Büchern eigentlich immer garantiert – ganz egal, ob es sich nun um einen Liebesroman oder einen Frauenroman oder einfache nur einen Krimis handelt." Sie glaubt, dass Strandlektüren vor allem Romane sind, die "süchtig machen", letztendlich aber aus allen Genres kommen. "Sie müssen den Leser fesseln können, trotz aller Ablenkungen, die der Sommer zu bieten hat."


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Gemma de Choisy hat eine deutlich weniger strikte Definition von der vermeintlich leichten Lektüre. Die Autorin twitterte: "Genau wie meine Strandfigur die Figur ist, die ich mit den anderen am Strand teilen werden, ist meine Strandlektüre eben auch das Buch, das ich in den Händen halte, während mein Hintern den Sand berührt."

Die Geschichte zeigt, dass sie eigentlich alle recht haben. Die New York Times veröffentlichte im Juni 1976 eine "Urlaubsleseliste", die Bücher aus nahezu allen Genres enthielt: Dostojevski, eine Biografie des Philosophen Betrand Russel und The Twilight of Capitalism von dem amerikanischen Politikwissenschaftler Michael Harrington. Auch die Memoiren von Bob Dole – die von seiner Frau verfasst wurden – wurden noch knapp zwanzig Jahre später in einem Bericht über seine Lesereise als "tolle Strandlektüre" bezeichnet.

Im Jahr 1997 fragte die New York Times ihre Leser außerdem, welches Buch sie mit an den Strand nehmen würden. Eine der Leserinnen, Laura Cobrinik aus Denville, schlug vor, sich mit dem amerikanischen Schriftsteller und Philosophen Henry David Thoreau an den Strand zu legen, der in ihren Augen "eine gute, klassische Strandlektüre" angeben würde. Dee Hickman aus Belle Mead nahm dagegen lieber Danielle Steel mit an den Strand – die Autorin von Büchern wie Gefährliche Junggesellen oder Was das Herz will. Ihre Begründung: "Die Büchern sind leicht zu lesen, sodass ich auch während dem Lesen noch immer mitbekomme, was um mich herum passiert."

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Foto: Unsplash | Pexels | CC0

In der Vergangenheit war Strandlektüre immer mehr oder weniger das, was die Leser und Autoren, von denen die Bücher empfohlen wurden, daraus machten. Auf einige Listen trifft das auch heute noch zu. Es gibt aber auch genug Strandlektüren, die ganz eindeutig und ausschließlich auf Frauen zugeschnitten sind – inklusive femininen Gestaltungselementen. Das wird auch an den Covern der Strandlektüren deutlich, die den Lesern von Lovelybooks empfohlen werden: verträumte Motive, romantische Landschaften in Pastellfarben und Pink. Außerdem fallen ausnahmslos alle Bücher in die Kategorie "Frauenroman", was laut dem Literaturagenten Scott Eagan auch bedeutet, dass "die Geschichte von der Reise einer Frau handelt", wie er in einer Kolumne von Writer's Digest schreibt. Ziel dieser Reise sei es, "die weibliche Psyche zu verstehen". Allerdings klingt diese Definition mindestens genauso vage wie die der "Strandlektüre".

Es ist kein Geheimnis, dass Frauen- und Männerromane ganz unterschiedlich gestaltet sind und vermarktet werden. Die Autorin Meg Politzer schrieb 2012 in der New York Times, dass die Buchcover von Frauenromanen immer wieder häusliche oder ländliche Szenen zeigen. Bei Büchern, die auf Männer zugeschnitten sind, wird hingegen oft nur der Titel oder der Name des Autors groß dargestellt. Peter Clynes hat in einem Artikel auf Vice 2016 das Phänomen betrachtet, dass eigentlich alle Cover von Frauenromanen gleich aussehen: "Schwimmende Frau mit lächerlich langem und gerüschtem Kleid" und "leere Schaukel in einem einsamen Garten" waren dabei nur zwei der klassischen Motive, die der Autor entdeckt hat.

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"Eine Strandlektüre ist generell immer leichte Lektüre für leichte Leser. Leider versteht man darunter noch immer viel zu oft: Frauenromane für Frauen", sagt Alexandra Franklin, die Assistentin der Literaturagentin Vicky Bijour. "Wenn wir allerdings von Flughafenlektüren oder Büchern, die man auf dem Flug lesen kann, sprechen würde, würde man sofort an Männerromane wie die Thriller von Tom Clancy denken." Dabei sind Strand- und Flughafenlektüren im Grunde ein und dasselbe: ein spannendes, leicht lesbares Buch, das sich vor allem für Situationen eignet, in denen man womöglich öfter mal abgelenkt ist.

Die beiden Kategorien können sich aber auch durchaus überschneiden: Im Rahmen meiner Umfrage in den sozialen Medien haben mir viele der Nutzer von der Unterkategorie des "Strandthrillers" erzählt, zu der sie auch Bücher von Autoren wie Tom Clancy, John Grisham und Dan Brown zählen würden. Man kann allerdings trotz allem nicht leugnen, dass die pinken und pastellfarbenen Bücher von Nora Roberts ganz eindeutig an Frauen verkauft werden sollen, während sich die Bücher von James Patterson in einem düsteren Orange, Dunkelrot oder Blau vor allem an Männer richten.

Natürlich ist es letztendlich immer Geschmackssache, welches Buch tatsächlich in unserem Koffer landet. Doch Fakt ist, dass sich Verlage bekanntermaßen sehr für die Demographie ihrer Leser interessieren und trotzdem noch immer viel zu oft der Eindruck entsteht, dass Frauen am liebsten am Strand lesen – einfach nur, weil sie die Zeit dafür haben. Männer sind dagegen ständig auf Geschäftsreise, um für ihre Frauen zu sorgen, und kommen deswegen nur während dem Flug dazu, ein gutes Buch zu lesen.

Fakt ist, dass Frauen generell mehr Bücher lesen als Männer – das liegt aber ganz sicher nicht daran, dass wir so viel am Strand liegen oder nichts Besseres zu tun haben.

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