Als ich 2016 zum ersten Mal die Pilgerreise nach Mekka machte, packte ich meine Umhängetasche mit Lesestoff voll. Der Beamte bei der Sicherheitskontrolle bat mich, meinen Laptop herauszunehmen. Ich schmunzelte und sagte, dass ich keinen dabei hätte. Was würde ich auch mit so einem Gerät machen? Schließlich flog ich über 3.600 Kilometer, um zu pilgern, nicht, um Netflix zu schauen.Ich hatte mein Telefon dabei, um ab und an Lebenszeichen an meine Familie zu schicken. Ich hatte diese romantische Vorstellung, dass man sich beim Haddsch vom Weltlichen löst und in sich hinein gekehrt Gott, Vergebung und die Erlösung sucht.
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Als ich dann am Flughafen Dschidda ankam, rund 80 Kilometer von Mekka entfernt, beschloss ich dennoch spontan, eine saudische SIM-Karte zu kaufen. Ein Jahr zuvor starben beim Haddsch nämlich knapp 1000 Menschen, als eine Massenpanik ausbrach: Ich wollte für den Notfall vorbereitet sein – man kann ja nie wissen.
Ich hatte mehrere Guides ausgedruckt und ein kleines Büchlein besorgt, das die gesamte Pilgerreise im Detail erklärt. Papier braucht keinen Akku und schert sich nicht um Funksignalstörungen. Das zumindest war meine Logik. Eigentlich bin ich ein digitaler Mensch, der permanent den Laptop auf dem Schoß oder das Telefon in der Hand hat. In Saudi-Arabien wollte ich aber auf Entzug gehen. Denn ich hatte die Befürchtung, dass mich Gadgets ablenken oder verführen würden. Schließlich sollte nichts zwischen Gott und mir stehen.Dieser Text erschien zuerst im Gesellschaftsmagazin ROM #2.
Verloren ohne GPS-Navigation
Dann saß ich aber im Bus Richtung Mekka. Was ich nicht erwartet hatte: die vielen Checkpoints auf dem Weg dorthin. An jedem verloren wir mindestens 45 Minuten. Ich war froh, dass ich mich mit meinem Smartphone ablenken konnte.Eine Woche später begann der Haddsch. Am zweiten Tag gingen die Pilgerinnen und Pilger zur Arafat-Ebene, die etwa 17 Kilometer von der Kaaba entfernt ist. Die Ebene ist 80 Quadratkilometer groß und beherbergt an dem einen Tag über drei Millionen Menschen. Das ergibt eine Bevölkerungsdichte, die höher ist als in Hong Kong. Meine Reisegruppe war in Zelten am Fuße der Ebene untergebracht.
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Ich ging in der Früh einige Stunden spazieren, um mir die Umgebung anzuschauen und zu sehen, wer alles angereist war. In einem kleinen Park hatten ein paar Frauen aus Somalia einen Stand aufgestellt, an dem sie Liegematten verkauften. Zwischen Containern sah ich Männer, die pakistanische Fahnen aufgehängt hatten und im Schatten verweilten. Von dort ging ich zum Berg der Barmherzigkeit, einer kleinen Erhebung Mitten in der Ebene, wo der Prophet Muhammad seine Abschiedspredigt gehalten haben soll. Dort blieb ich eine Weile und wollte dann zurück zur Reisegruppe, verlor aber die Orientierung.
Ich wusste noch, dass mich eine achtspurige Straße vom Zelt zum Berg geführt hatte. Bei einem Funkmast war ich nach links abgebogen, auch daran konnte ich mich erinnern. Doch an praktisch jeder Kreuzung gab es einen solchen Mast. Ich trug zwar ein GPS-Armband, das den Pilgernden eingangs überreicht wurde, aber damit wirst du nur gefunden, wenn dich jemand als vermisst meldet.Es war schon früher Nachmittag und in wenigen Stunden würden wir alle wieder die Ebene verlassen müssen, um uns in Richtung Muzdalifa-Ebene, etwa sechs Kilometer entfernt, zu bewegen. Ich gab also nach, nahm mein Telefon aus der Tasche, schaltete die Mobildaten ein, dann die GPS-Ortung, öffnete Google Maps – und zehn Minuten später war ich im Zelt und konnte unter der Klimaanlage aus dem (gedruckten) Koran rezitieren."Als würde Gott mir sagen wollen, dass ich nicht zwingend auf Technologie verzichten müsste, um ein 'guter' Pilger zu sein"
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Tiere opfern per App
Auf dem Hoverboard um die Kaaba
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Ebenfalls auf Motherboard: Dieser Mann hütet eines der wichtigsten Kabel des Internets
Letztens habe ich auf Facebook ein Video gesehen, auf dem ein Pilger zu sehen ist, der die Kaaba mit einem Hoverboard umrundet. Verboten ist das nicht. Denn die Pilger möchten die vielen Mühen minimieren. Vor einem Jahr waren Sonnenschirme mit integrierter Powerstation sehr beliebt. So können die Smartphones, die fleißig zum Einsatz kamen, jederzeit aufgeladen werden. Es war erstaunlich zu sehen, wie viele Leute Facebook-Livestreams, Videochats oder Anrufe über Apps wie Viber, Facebook Messenger oder WhatsApp tätigten. Nach Angaben des saudischen Ministeriums für Kommunikation und Informationstechnologie wurden 2017 während des Haddsch 23.000 Terabyte an Daten verwendet.Bis dahin hatte ich das Handy dazu verwendet, um Informationen zu suchen oder mich über Google Maps zu orientieren. Aber als ich das Meer an Bildschirmen sah, wie auf einem Konzert, begann auch ich, Selfies vor der Kaaba zu schießen. Ich verschickte sie alle über WhatsApp an meine Frau. Nach dem langen Marsch wollte ich mit dem Umrunden der Kaaba beginnen und suchte meine Guides in der Tasche. Ich hatte dermaßen geschwitzt, dass sie völlig durchnässt war – und damit auch die gedruckten Guides. Mein wasserfestes Handy aber war in seiner Hülle wie unberührt. Ich öffnete eine Koran-App und rezitierte Suren.