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Mitfahrgelegenheit.de zockt dich unter scheinheiligen Vorwänden eiskalt ab

Bei Mitfahrgelegenheit.de musst du dich jetzt registrieren und im Vorfeld blechen, damit der Betreiber seine Jahresbilanz puschen kann. Dann fahren wir lieber mit der muslimischen Mitfahrgelegenheit, die ist weniger gierig.

MFG, darunter werden die meisten nicht nur eine höfliche Floskel verstehen, sondern auch die Abkürzung Mitfahrgelegenheit, mit der bekanntesten Plattform Mitfahrgelegenheit.de. Ich bin ein großer Fan von dieser Art Mobilität, zumal man der Deutschen Bahn nicht unnötig Geld in den Rachen werfen muss. Aber seit Ende März verlangt ja Mitfahrgelegenheit.de für alle Fahrten, die länger als 100 km sind, eine Provision von 11%. Es gibt jetzt keine Möglichkeit mehr, das Buchungssystem zu umgehen (es sei denn, man gibt einen Zwischenstopp im Ausland an), was bedeutet, dass man dort registriert sein muss. Also, das alte, auf die Seite gehen, Städte und Datum eingeben, Fahrt finden und Fahrer anrufen, ist so nicht mehr möglich. Jetzt muss man, wenn man eine Fahrt gefunden hat, per Klick eine Buchungsanfrage versenden und das geht nur, wenn man registriert ist. Erst wenn der Fahrer die Buchung bestätigt hat, bekommt man die Nummer des Fahrers.

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Das Mitfahrgelegenheit.de-System aktualisiert die zur Verfügung stehenden Plätze, so weiß das System, wie viele Mitfahrer mitgenommen wurden und wie oft die 11% abgerechnet werden.

Ich wundere mich, wieso die Werbeeinnahmen die Kosten für die Plattform nun nicht mehr decken sollen und wieso eine Dienstleistung, die bisher kostenlos war, auf einmal 11% Provision verlangt? Ich frage bei Thomas Rosenthal, dem Pressesprecher von Mitfahrgelegenheit.de nach: „Wir nehmen die Gebühr, um die Plattform weiterhin zu ermöglichen.“ Die Registrierung soll zu Verbindlichkeit führen und der Mitfahrer fühlt sich mehr verpflichtet. Das will mir zumindest Rosenthal so vermitteln.

Für mich klingt das so erst mal ganz plausibel, jedoch gerate ich ins Zweifeln, als ich im Netz auf eine Rechnung stoße, die ein User aufgestellt hat, der sich Allerhand Mann nennt. Er ist so ungefähr Mitte 30 und wurde mit der Gebühreneinfuhr „ziemlich überrascht“, erzählt er mir. Allerhand Mann bietet regelmäßig Fahrten an. Ihm geht es nicht ums Geld, sagt er. „Natürlich ist es schön, was auf die Hand zu kriegen und an der Tankstelle nicht so stöhnen zu müssen. Aber das Wichtigste ist für mich eigentlich, dass die Fahrten dann nicht so langweilig sind.“ Auf der Grundlage einer Presseerklärung von 2010 stellte Allerhand Mann eine Rechnung  auf. Großzügig davon ausgehend, dass die 60 Mitarbeiter rund 5.000 Euro im Monat erhalten, kommt er durch die Einfuhr der Provision auf einen monatlichen Gewinn von 1.500.000 Euro für das Unternehmen. Der Pressesprecher Herr Rosenthal meint dazu: „Natürlich kann man Rechnungen aufstellen. Es ist aber so, dass diese Rechnung absolut nicht mit der Realität übereinstimmt. Wir haben uns für diese 11% entschieden, weil dies ein Wert ist, mit dem wir wirtschaftlich arbeiten können.“

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Dass das Buchungssystem die Verbindlichkeit nicht unbedingt stärkt, zumindest bei Zahlung in bar, bekam ich letzte Woche mit. Auf einem Berliner Burger-King-Parkplatz warteten die reizende Fahrerin Kerstin, der verkaterte Wolle und ich auf einen weiteren Mitfahrer. Nachdem wir bereits 20 Minuten auf ihn gewartet hatten, rief er an und sagte ab. Ob Kerstin die Provision von ihm trotzdem bezahlen muss, steht noch aus.

Trotz Provision warten Kerstin und Wolle vergeblich auf ihren Mitfahrer. 

Das Portal hat heute schon über 4.500.000 registrierte Nutzer, durchschnittlich sind etwa 800.000 Fahrten im System auffindbar und es sind etwa 1.000.000 Nutzer, die im Monat transportiert werden. „Heute arbeiten schon über 60 Menschen hier, die das System am Laufen halten. Es ist ein hoher personeller und technischer Aufwand, der hinter der Plattform steht“, rechtfertigt Herr Rosenthal die Gebühr. „Für uns als Unternehmen wächst die Verantwortung für unsere Nutzer und dafür, dass günstige und nachhaltige Mobilität möglich bleibt. Wir müssen uns finanzieren können.“

Vielleicht ist es einfach schwieriger, als außenstehende Person diese Kalkulation zu beurteilen, deswegen wende ich mich an Sven Domroes. Als Student entwickelte er während eines Skiurlaubs 1998 die Idee einer Vernetzung der Mitfahrbüros im aufkeimenden Internet. Aus zeitlichen Gründen gab er einige Jahre später den operativen Betrieb an drei weitere Studenten ab. Heute ist er nur noch wirtschaftlich an Mitfahrgelegenheit.de beteiligt und hat keine Stimme mehr. Mir wird bei unserem Telefonat schnell klar, dass er die neuerlichen Entwicklungen nicht gutheißt. Ich spreche ihn auf die Rechnung von 1.500.000 Euro an. „Die Kalkulation von 1.500.000 Euro im Monat hätte ich ihnen jetzt auch gegeben, wobei das keine fundierte Kalkulation ist, das ist eine überschlagende Rechnung. Es kann mehr oder weniger sein. Es zeigt aber deutlich, dass mehr erwirtschaftet wird, als man braucht, um diese 60 Mitarbeiter zu bezahlen. Deswegen zieht dieses Argument nicht, die 11% einzuführen, wegen den gestiegenen Personalkosten.“ Für Sven Domroes steht fest, „dass diese 11% eingeführt wurden, um die Anforderung vom Investor zu befriedigen. Das Ziel ist, davon gehe ich aus, das Ganze zu verkaufen oder an die Börse zu bringen, dazu muss man gute Jahresbilanzen vorweisen können.“

Er berichtet mir davon, dass es interne Stimmen gegeben hat, die deutlich mehr als die 11% gefordert haben. „Ich habe gesagt, das ist völlig überzogen, das passt gar nicht in die Mentalität des Marktes, in die Kultur, die wir bei Mitfahrgelegenheit in Deutschland haben. Ich habe noch versucht zu überzeugen, dass, wenn man unbedingt eine Provision einführt, dieses auf Kreditkatenniveau, 1% bis 2%, machen sollte.“

„Wenn man einen Dienst anbietet und die Kosten überzieht, dann züchtet man sich damit Wettbewerber heran. Damit gefährdet man unnötigerweise sein Monopol, das man sich jahrelang erarbeitet hat.“ Domroes' neues Projekt Fahrgemeinschaft.de hat in den letzten Monaten bis zu 2.000 Neuanmeldungen verzeichnen konnte, wobei sich bloß die Fahrer registrieren müssen. In den letzten Monaten schießen neue Mitfahrgemeinschaftsportale wie Pilze aus dem Boden des Internets, sogar eine Muslimische Mitfahrgelegenheit gibt es mittlerweile.

Bei vielen ist der Frust jedoch groß genug, und auf Facebook ruft man zum Boykott auf. So auch bei Allerhand Mann, der meint: „Die Win-Win-Situation für Fahrer und Mitfahrer funktioniert gut und deswegen ist die Vertrauenssituation auch viel besser, als sie Mitfahrgelegenheit darstellt. Jetzt wird versucht, damit Geld zu verdienen. Andere werden sagen, es ist ja keine Schande, Geld daraus schlagen zu wollen, ich sehe das jedoch ein bisschen anders. Es gibt eben Dinge, die sind auf Soziales gegründet und funktionieren eben durch den sozialen Aspekt, durch den Vertrauensaspekt, durch das Kommunikative, dann nimmt man das eben sehr übel, wenn auf einmal ein Dritter ankommt und Geld damit verdienen will. Menschlich gesehen ist das eine Katastrophe. Das finde ich abartig.“