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150.000 Kondome für Flüchtlinge: Warum Sex zur Integration gehört

„Die Nachfrage war sehr groß", erklärt die Deutsche AIDS-Hilfe, die Kondome für Flüchtlinge gesammelt hat.
Foto: imago | ZUMA Press

Wenn Politiker darüber diskutieren, wie man den aus Kriegsgebieten oder vor Verfolgung nach Deutschland geflüchteten Menschen am besten helfen kann, so schnell wie möglich in ein „normales" Leben zurückzufinden, geht es eher selten um Sex. Wohnraum, Sprachkurse, schnelle Integration in den Arbeitsmarkt—über diese Themen wird breit und öffentlich nachgedacht.

Wenn es in der Öffentlichkeit überhaupt mal um Flüchtlinge und Sex geht, dann dreht sich die Debatte meistens um negative Aspekte: Die Ereignisse von Köln, Übergriffe in Schwimmbädern. Dabei wird immer wieder gerne darauf herumgeritten, dass viele der Flüchtlinge aus Kulturen kommen, in denen Sexualität an sich ein Tabuthema darstellt. Wie man konkret damit umgeht, will aber kaum jemand diskutieren.

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Jetzt gibt es einige Initiativen, um das zu ändern: So hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vor Kurzem die Seite zanzu.de auf den Weg gebracht, auf der Aufklärungsmaterial in 13 Sprachen zu finden ist (was eine Menge Wutbürger ganz schön in Rage gebracht hat). Die Deutsche AIDS-Hilfe, die sich mit dem Thema auch schon länger befasst und immer wieder Aufklärungsveranstaltungen für Flüchtlinge abhält, hat dann Ende letzten Jahres einen ziemlich konkreten Schritt getan, um auch auf diesem Gebiet Hilfe für Asylbewerber bereitzustellen: Sie hat sich mit der Bitte um Spenden an Kondom-Hersteller gewandt.

Mit ziemlichem Erfolg: Insgesamt hat der Verein 150.000 Kondome gespendet bekommen, die jetzt deutschlandweit verteilt werden. Ich habe mir von der Geschäftsführerin Silke Klumb erklären lassen, warum Kondome für Flüchtlinge wichtig sind.

VICE: Wenn man an Hilfe für Flüchtlinge denkt, kommt man nicht als Erstes auf Kondome. Warum ist das wichtig?
Silke Klumb: Natürlich sind Kondome vielleicht nicht so wichtig wie das erste Grundnahrungsmittel, das erste Kleidungsstück. Aber für uns im Gesundheitsdienst ist es wichtig, dass Flüchtlinge auch Zugang zu Informationen bekommen—nicht nur, wie sie sich vor HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützen können, sondern auch, wie sie Zugang in unser Gesundheitssystem und Hilfe finden. Und wenn wir solche Veranstaltungen machen, dann möchten wir den Menschen natürlich gerne auch das Mittel, mit dem sie sich am besten schützen können, nämlich Kondome, zur Verfügung stellen.

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Wir drängen natürlich niemandem Kondome auf. Aber die sind eben am freien Markt keine Pfennigware mehr, so dass das für Flüchtlinge zu den Dingen gehört, die sie aus dem wenigen Taschengeld bezahlen müssten. Da möchten wir ein Zeichen setzen, dass wir nicht nur Aufklärung machen, sondern auch konkrete Schutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen—und das sind Kondome.

Wo kam die Idee her, einen Spendenaufruf für Kondome zu starten?
Wir sind unsererseits von Aids-Hilfen und öffentlichen Gesundheitsämtern mit der Frage angesprochen worden, ob wir Kondome zur Verfügung stellen können. Das können wir natürlich nicht, wir produzieren die ja nicht. Aber wir haben es dann übernommen, eine Anfrage zu starten und um Unterstützung zu bitten.

Wer hat die Kondome denn jetzt gespendet?
Die kommen von vier größeren Firmen in Deutschland [Amor (mit einer Sonderverpackung, auf der „You're Welcome" steht), Ecoaction, Billy Boy und die Holi Concept GmbH, Anm. d. Red.]. Wir haben natürlich alle Firmen angeschrieben, die auf dem Markt aktiv sind, um den Bedarf kund zu tun.

Haben Sie die Kondome schon verteilt?
Ja, die meisten sind schon verteilt. Die sind ganz schnell verschickt worden, die Nachfrage war sehr groß. Die meisten sind auch schon eingesetzt [lacht], also weitergegeben worden. Ob die dann eingesetzt werden, das geht uns natürlich nichts an.

Ist das bei den Flüchtlingen gut angekommen?
Es gibt natürlich immer welche, die dann schüchtern sind. Es braucht immer jemanden, der sich als Erster traut, dann in den Korb zu greifen. Es ist sinnvoll, dann eben nicht nur den Korb rumgehen zu lassen, sondern den auch dort stehen zu lassen. Dann hören wir im Nachhinein von den Heimleitungen oder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, dass Menschen dann unbemerkt kommen und sich Kondome nehmen. Das funktioniert sehr gut, wenn man einen vertraulichen Rahmen schafft.

Haben Sie auch negative Reaktionen bekommen?
Es gibt natürlich immer die fachliche Diskussion, wie wichtig HIV oder Geschlechtskrankheiten jetzt für Flüchtlinge sind. Und wenn Sie dann noch sehen, dass oft erzählt wird, die Flüchtlinge brächten schlimme Krankheiten—was überhaupt nicht stimmt, dass Robert-Koch-Institut hat das nochmal zeigen können—, dann geht es uns natürlich darum, durch unsere Aktion nicht noch Vorurteile zu schüren.

Es geht darum zu sagen: Sexualität gehört hoffentlich auch für Flüchtlinge irgendwann wieder zum Alltag, und wir möchten dabei unterstützen, dass sie sich nicht womöglich Infektionen holen, die sie in ihren Heimatländern vielleicht gar nicht kennen. HIV und STIs zu thematisieren, gehört dazu, Kondome zu benutzen, ist in unserer Kultur sehr weit verbreitet, und da möchten wir eine Brücke bauen.