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Der Knigge für dein Smartphone

Ist es unhöflich, in der Öffentlichkeit zu tindern? Wie lange darf man jemanden seenzonen? Und ist es OK, auf dem Klo zu telefonieren?

Foto via VICE Media

Wir haben Regeln. Für alles. Normen und Kodizes, die uns vorschreiben, wie man sich verhalten soll. Manchmal sind die ziemlich sinnvoll, manchmal nicht. Wenn es jedoch um Smartphones geht—diese Dinger, um die sich unsere Welt dreht—gibt es bislang keine ausgesprochenen Vorschriften, die sich wirklich durchgesetzt haben.

Aber gutes Benehmen ist grundsätzlich ja auch hier erstrebenswert, vor allem, weil wir den Großteil unserer Zeit mit Smartphones in der Hand verbringen. Höchste Zeit also, dass wir darüber reden, ob es nicht doch ein bisschen in die Kategorie Arschloch-Verhalten fällt, wenn man während einer Verabredung Facebook-Updates postet und Selfies macht.

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Dagmar Daxecker ist Obfrau der Österreichischen Knigge Gesellschaft, zertifizierte Knigge-Trainerin und damit quasi die First Lady des guten Benehmens in Österreich. Obwohl sie noch nie von Tinder gehört hat, sollte sich Frau Daxecker als die ideale Ansprechperson für den angemessenen Umgang mit Smartphones herausstellen, weil sie das Ganze auf eine Ebene zurückholt, die wir irgendwie schon längst vergessen haben.

Tinder in der U-Bahn

Foto: Denis Bocquet | Flickr | CC BY 2.0

Wenn man in der U-Bahn tindert (oder andere Dating-Apps verwendet), dreht man die Bildschirmhelligkeit immer lieber ganz runter und winkelt das Handy leicht schräg an, um zu verhindern, dass jemand Fremdes mitschauen kann. Ein bisschen so, als würde man heimlich Pornos schauen—was ja wiederum gar nicht so weit von der Realität entfernt ist.

Einen Porno würde man wohl verstecken, um niemanden damit zu belästigen. Aber ist es tatsächlich anzüglich, vor den Augen fremder Leute mögliche Gspusis zu checken? Jedenfalls fühlt es sich so an. Oder wollen wir uns einfach urteilende Blicke ersparen? Wer benimmt sich hier eigentlich daneben?

Auf Noisey gibt's Benimmregeln für den Club.

Von Tinder hört Dagmar Daxecker wie gesagt zum ersten Mal. Auf anfängliche Faszination für die App, irgendwo zwischen Begeisterung und Empörung, folgt schließlich ihr Urteil: „Eigentlich wären diejenigen, die unerlaubt auf das Handy fremder Leute schauen, unhöflich. Wenn aber Sie als Benutzer derjenige sind, dem die Verwendung unangenehm ist, sieht man daran ja, dass Sie nicht zu 100 Prozent dahinterstehen." Frau Daxecker hält mir ziemlich bös den Spiegel vor. Ich fühle mich ertappt.

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Also einfach nicht dann tindern, wenn es jeder sehen kann—das heißt, sofern man sich dafür schämt. Ansonsten, go for it. Lasst die Leute sehen, wen ihr sexuell attraktiv findet und wen nicht. Lasst sie urteilen—und lebt damit. Sie sind letztendlich die Unhöflichen.

Jeden Scheiß googeln

Foto: Marco Arment | Flickr | CC BY 2.0

Gespräche wie früher sind durch Smartphones und dem damit verbundenen ständigen Zugang zu jeder fucking Information der Weltgeschichte nicht mehr möglich. In diesem Sinn sind sie Fluch und Segen zugleich. Jeder Dialog wird im Keim erstickt, indem man schnell nachschaut und die Fakten sofort überprüft.

„Das ist einerseits natürlich von Vorteil, andererseits auch schlecht. Man wird bequemer, ich mache das ja auch selbst", sagt Frau Daxecker. Solange es die Situation jedoch nicht stört, oder sie es sogar fordert, sei Googeln aber nicht unhöflich. Ihr dürft eure Freunde also weiterhin guten Gewissens eines Besseren belehren, wenn sie mal wieder felsenfest behaupten, Kühe hätten keine Zähne.

Die Seenzone

Die Seenzone ist eines der grausamsten Phänomene unserer Zeit. Hakerl, die sich langsam und schmerzhaft in dein Fleisch bohren, während du darauf wartest, dass vielleicht doch noch eine Antwort kommt. Während du erbärmlich in der Seenzone kauerst, geht die jeweilige Person auch noch online und schreibt trotzdem nicht zurück—wenn das nicht unhöflich ist, dann weiß ich auch nicht.

Manchmal—viel zu oft—ist man aber auch selbst derjenige, der nicht antwortet. Wie lange darf man jemanden seenzonen? „Das ist situationsabhängig", so unsere Knigge-Expertin. „Wenn es wirklich wichtig ist, sollte man gleich antworten." (Es ist immer fucking wichtig.)

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Wenn man gerade beschäftigt ist oder im Restaurant sitzt, sei es vertretbar, nicht sofort zu antworten. „In dem Moment, in dem Sie der Typ sind, der das Handy beim Essen sowieso am Tisch liegen hat, haben Sie eigentlich schon verloren." Womit wir beim nächsten Punkt wären.

Handy am Tisch

Foto via VICE Media

Das Smartphone beim Essen oder Kaffeetrinken auf den Tisch zu legen, immer im Augenwinkel, immer in Reichweite, ist fast schon ein natürlicher Reflex. Ein unhöflicher zwar, aber inzwischen scheint irgendwie jeder damit einverstanden. So kommt es recht häufig zu diesen bizarren Situationen, in denen Menschen am selben Tisch sitzen und kein Wort miteinander wechseln.

„Sobald ich mein Handy auf den Tisch lege, zeige ich damit: Jeder, der anruft oder mir eine Nachricht schickt, ist mir wichtiger als du." Wenn man jedoch einen wichtigen Anruf erwartet, sollte man diesen bereits im Vorfeld erwähnen. So äußere man wiederum Wertschätzung gegenüber den Tischnachbarn.

Ein Lösungsansatz wäre der in Amerika inzwischen altbekannte Phone Stack: Die Handys aller Anwesenden werden mit dem Display nach unten in der Mitte des Tisches gestapelt. Wer der FOMO nicht standhält und zuerst auf sein Handy sieht, übernimmt die Rechnung. Der Phone Stack zwingt einen zwar zu sowas wie zwischenmenschlicher Konversation, aber es soll auch mal Zeiten gegeben haben, in denen das durchaus erwünscht war.

Telefonieren am Klo

Foto: greeblie | Flickr | CC BY 2.0

Laut einer Studie der GfK Austria aus dem letzten Jahr nutzen 21 Prozent der Österreicher ihr Smartphone auch auf der Toilette. Der Rest lügt. Es muss eine grausame Welt gewesen sein, in der man am Klo ohne Handy auskommen musste.

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Aber was, wenn man mal wieder so dasitzt, und plötzlich ruft jemand an? Darf man abheben? Und wenn ja—ist es angebracht, zu sagen, dass man gerade am Kacken ist? Will man da als Anrufer nicht lieber (Achtung, Wortwitz) weggedrückt werden? Oder sollte man das Gespräch einfach unkommentiert aussitzen und versuchen, möglichst entspannt zu klingen, der Höflichkeit halber?

„Wenn es der beste Kumpel ist, der anruft, dann kann man vielleicht abheben. Ich persönlich würde es wahrscheinlich nicht tun. Wer nimmt denn schon sein Handy mit aufs WC?" Ich! „Außerdem braucht man ja beide Hände", ergänzt die Knigge-Expertin. Das irritiert mich. Jedenfalls werde ich künftig versuchen, möglichst bald zurückzurufen. Mit beiden Händen.

Essen auf Instagram

Es mag ein subjektiver Eindruck sein, aber die Tage von Instagram als Aggregat für Foodporn scheinen der Vergangenheit anzugehören. Zumindest haben die Fotos von gefilterten Steaks und Cremeschnitten in meinem Feed inzwischen deutlich abgenommen.

Könnte es Mitmenschen gegenüber unhöflich sein, seine Mahlzeiten abzufotografieren? Ist es nicht vielleicht unverschämt, armen Spaghetti-Ketchup-Studenten dein fancy Regenbogen-Sushi unter die Nase zu reiben, wo du doch genau weißt, dass sie sich gerade wieder Frankfurter heiß machen müssen?

Knigge-Trainerin Dagmar Daxecker dazu: „Das nervt natürlich extrem. Aber Leute darauf aufmerksam zu machen, wäre auch unhöflich. Man kann sie höchstens blockieren, dann muss man sich den ganzen Käse nicht angucken." Selbiges gilt übrigens auch für Selfies. Wenn es nach Frau Daxecker ginge, könnt ihr also ruhig auf eine anständige Blocking-Spree gehen.

Fazit

Grundsätzlich könne und wolle man keine Vorschriften machen. „Bei dieser ganzen Benimm-Geschichte geht es nur darum, andere wertschätzend zu behandeln und ihnen mit Achtung, Respekt und Rücksicht zu begegnen." Im Grunde genommen, so Daxecker, geht es eigentlich darum, ein guter Mensch zu sein.

Jeder kann machen, was er will. Eigentlich ist das gar nicht so verbissen wie die Vorstellung, die einem beim Wort „Knigge" sofort in den Kopf schießt. „Man muss einfach nur das Hirn einschalten." Das klingt alles so simpel! „Ist es auch", sagt Daxecker.

Franz twittert auch am Klo: @FranzLicht