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Von Kreissägen bis zum Feuerwehrkran: Wie die Labitzke-Besetzer die Polizei vorführten

Paintball-Sniper und uralte Tricks von den Castor-Protesten reichen, um die Stapo Zürich zu stoppen.

Diesen Dienstagmorgen gab es auf Zürichs Hohlstrasse keinen Busverkehr, dafür aber Barrikaden und Protest-Frühstück. Auf dem Abschnitt vor dem besetzten Labitzke-Areal blockierten Bauabsperrungen und Container die Strasse, dazwischen assen Aktivisten ihr Sonnenaufgangs-Frühstück.

„Normalerweise hätten wir in unserem Garten oder auf einer der Terrassen des Labitzke gefrühstückt“, sagte eine Aktivistin, die bis vor einem Jahr dort eingemietet war. Doch an diesem Morgen war das nicht mehr möglich: Es war Räumungstag.

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Unter dem Motto „Ihr nehmt uns das Labitzke-Areal, wir zügeln auf die Strasse“ protestierten die Aktivisten gegen die Räumungsfreigabe durch den Stadtrat, dem noch keine rechtskräftige Baubewilligung vorliegt. Die Frühstücksgemütlichkeit dauerte nicht lang, denn bald war die Strasse voll von Polizisten, denen nicht nach Kaffee und Brötchen zu Mute war.

Als die Polizisten in Robocop-Monturen anmarschierten, meinte ein Typ mit Rauschebart zu mir: „Das isch ändlich mal wider Action in Züri.“ Als erstes holten die Polizisten einen Aktivisten von seinem Hochstuhl herunter, der mit Tarnanzug und Paintball-Gun ausgestattet hinter den Barrikaden Ausschau hielt.

Die Besetzer reagierten entrüstet, denn der Paintball-Sniper war an seinem Aussichtsstuhl angekettet. Die Polizisten sägten seine Ketten kurzerhand mit einer Kreissäge durch, um ihn zu verhaften.

Danach rissen sie die Barrikaden zur Seite und schleppten mehrere Demonstranten ab. Die Frühstücksmöbel bildeten bald nur noch einen Haufen auf dem Trottoir und die verbliebenen Aktivisten stellten sich vor den Eingang zum Labitzke-Areal.

Doch die Räumung verlief nicht ganz so schnell, wie es sich die Vertreter der Staatsgewalt erhofft hatten: Ein Typ, der ungewöhnliche Ruhe ausstrahlte und dessen wilde Mähne etwas Prophetisches hatte, sass festgemacht zwischen zwei Containern.

Es schien, als würde er sehr lange nicht loskommen, denn seine Arme waren in jeweils einem Rohr, das aus den Containern ragte, fixiert. Beide Container waren randvoll mit getrocknetem Beton. Die Szene war in etwa so absurd wie Homer Simpson, der in zwei Snackautomaten feststeckt.

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Stapo-Lösungsanatz Nummer 1 war offensichtlich, mit Steinpickeln auf den Beton einzuhämmern. Ziemlich bald liessen die Polizisten von dieser Methode ab, denn ein Kollege schleppte eine Spreizmaschine an, die Lücken in der Beton-Backsteinmasse aufreissen sollte. Doch auch das klappte nicht. Als wäre die Szene nicht schon absurd genug gewesen, fuhr ein Sanitätswagen vor, der erwarten liess, dass man Blutiges mit den Armen des Demonstranten vorhatte. Die letzte verletzungsfreie Hoffnung der Polizisten war ein Feuerwehrauto mit Hebekran.

Nach fast vier Stunden befreite sich der Aktivist von den Containern und alle begriffen, dass die Arme des Demonstranten die ganze Zeit über völlig lose waren. Er hielt sich an zwei Stäben in beiden Röhren des Containers fest und hätte jederzeit loslassen können—1:0 für den Aktivisten, dessen Trick wohl einen grossen Baumarkteinkauf bedingt hatte, aber trotzdem billiger war als der polizeiliche Grosseinsatz.

Von der Situation dermassen überfordert, gaben sich die Polizisten ohne Räumung zufrieden und waren froh, dass immerhin die Hohlstrasse wieder befahrbar war.

Die Journalisten, von denen mittlerweile viele da waren, verfolgten gespannt, wie die Polizei den Aktivisten aus seiner selbst gewählten Betoncontainer-Fessel retten wollten. Es sollte der Aufhänger einiger Storys werden. Andere wollen wohl das Budget der Stapo schützen, in dem sie unerwähnt lassen, dass es Steinpickel und Feuerwehrauto gar nicht gebraucht hätte.

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Eine Aktivistin schmunzelte: „Das wussten von uns natürlich alle; ist ein alter Trick, der auch immer wieder von Castor-Aktivisten angewendet wird. Nur in der Schweiz scheint diese Methode noch nicht so bekannt zu sein.“ Auch wenn sie selbst nicht mehr auf dem Areal wohnt, gönnt sie den verbliebenen Bewohnern des Labitzke den vorläufigen Sieg.

Die Besitzerin des Areals, Immobiliengesellschaft Mobimo AG, drängt auf eine baldige Räumung. Sie will die Bauten auf dem Areal abreissen und stattdessen ein Neubauprojekt hinstellen.

Die Gegner der Immobilienaufwertung proben den „Aufschrei gegen den Einheitsbrei“, den sie von den charakterlosen und überteuerten Neubauten befürchten. „Die Stadt gehört uns allen, nicht den Immobilienspekulanten, die Lebensraum zerstören, um Profit zu machen“, steht in ihrem Communiqué. Wann definitiv abgerissen wird, ist unklar: „Aus taktischen Gründen geben wir keine weiteren Informationen“, sagte Mobimo-Sprecherin Christine Hug nur.