Zwischen „Sieg Heil" und „Refugees Welcome": Die CL-Partynacht mit Real-Fans
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Madrid

Zwischen „Sieg Heil" und „Refugees Welcome": Die CL-Partynacht mit Real-Fans

Wenn Real Madrid die Champions League gewinnt, freuen sich rechte wie linke Fans.. Zur Feier des Tages gibt’s auch Bierverbot und Bon-Jovi-Mucke

Wenn Real gegen Atlético Madrid spielt, ist für gewöhnlich von den großen philosophischen und kulturellen Unterschieden zwischen beiden Vereinen die Rede. Wohlhabender Establishment-Klub versus aufstrebender Arbeiterverein. Während die Diskrepanz auf die Fülle beider Vereinskassen ohne Zweifel zutrifft, beläuft sich der sozioökonomische Unterschied zwischen beiden Fanlagern auf fast Null. Mittlerweile ist es sogar wahrscheinlicher, ethnische Minderheiten auf der Tribüne des Santiago Bernabéu zu sehen.

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Am vergangenen Samstag trafen die beiden Madrider Vereine mal wieder aufeinander. Und das, wie schon vor zwei Jahren, im Finale der Champions League. Das Ergebnis kennen wir alle, aber nicht die Emotionen der Real-Fans dazu. Oder die furchtbare Musikauswahl bei der Feier. Viel Spaß beim Nacherleben.

Das Spiel findet zwar in Mailand statt, aber im Bernabéu hat sich eine beachtliche Menschenmenge versammelt. Hier wird heute Abend das Spiel auf einem riesigen Videowürfel gezeigt. Alle tun so, als würden die beiden Mannschaften in Madrid und nicht in Italien um die Krone des europäischen Vereinsfußballs kämpfen. Die Stimmung ist prächtig, es gibt aufgepeitschte Live-Kommentatoren und man überträgt sogar die beschissene Pregame-Show von Alicia Keys.

Vor den Bars in Stadionnähe hocken Ultras (oder wohl besser Hooligans), die schon so aussehen, als dürften sie aus gutem Grund nicht im Bernabéu mitfiebern. Feuerwerkskörper und Bengalos werden gezündet. Als Reals dritter Elfmeterschütze anläuft, gibt es einen Moment, der die alten Stereotypen über Madrid-Fans blendend zusammenfasst. Auf der einen Seite sieht man ein junges Mädchen, das auf den Knien für einen guten Ausgang betet. Auf der anderen Seite stehen einige Schwiegermutters-Albtraum-Typen, die den anlaufenden Gareth Bale mit Sieg-Heil-Rufen anfeuern. Ein älterer Nazi stört sich an unserer Kamera und versucht, unserem Fotografen einen Faustschlag zu verpassen.

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Die meisten Madrid-Fans befinden sich aber eh im Stadion. Als nächster Schütze für Atlético ist Juanfran an der Reihe. Der große Jubel aus dem Bernabéu bleibt aber aus. Was nicht daran liegt, dass er getroffen hat, sondern dass das Bild kurz vor dem Schuss stehengeblieben ist. Als die Zuschauer einen zerknirschten Juanfran sehen, ist klar, dass er verschossen haben muss. Jetzt bebt auch das Stadion. Der Lärm wird nur lauter, als Cristiano Ronaldo den letzten Elfer für Real versenkt.

Dass heute Abend ein Derby stattgefunden hat, wird einem erst wieder ins Gedächtnis gerufen, als ein bedröppelter Atléti-Fan durch das weiße Chaos nach Hause stapft. Das hier ist aber nicht Istanbul oder Glasgow, hier werden die Dinge noch anders—sprich: meist gewaltfrei—gelöst. Statt Fäusten regieren Häme und abstrafende Gleichgültigkeit. Lange Zeit eine sehr einseitige Angelegenheit, hat das Derbi madrileño wieder deutlich an Fahrt und Bedeutung gewonnen. Mittlerweile sollte man sich in seinem Sportterminkalender also nicht nur das Clásico anstreichen. Doch obwohl Atlético eine neue (alte) starke Kraft in Madrid darstellt, werden sie ihren Status der spanischen Spurs irgendwie nicht los. Was sich nach dem nächsten verlorenen Champions-League-Finale nicht ändern wird. Doch Atlétis Fans zeigen sich als gute Verlierer und ziehen friedlich nach Hause und überlassen so—zumindest für diesen Abend—die spanische Hauptstadt den Fans von Real.

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Was die Feierlichkeiten betrifft, zeigt sich die Stadt Madrid hingegen als schlechter Gewinner und echte Spaßbremse. Um mögliche Exzesse gleich im Keim zu ersticken, wurde beschlossen, Madrids allgegenwärtige Heineken-Verkaufsstände zu verbannen. Davon lassen sich die Madridistas natürlich nicht abschrecken und ziehen jubelnd in Richtung Plaza de Cibeles.

Hier kommt es zu einem bizarren Schauspiel. Die Fans sind überschwänglich glücklich und auf 180, doch fast keiner trinkt etwas. Das liegt daran, dass die Polizei keinen reinlässt, der mehr als eine Bierdose in der Hand hat. Auf der eilig errichteten Bühne kommt der DJ zum einfachsten Gig seines Lebens. Nach ein paar Vereinshymnen haut er „I Don't Want To Live Forever" von Bon Jovi raus. Das Publikum rastet völlig aus. Vielleicht hätte doch lieber Atléti gewinnen sollen…

Noch schlechter als die Musik ist die Organisation vonseiten der Stadt. Anscheinend hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, wo die 100.000 Fans auf die Toilette gehen können—denn es gibt keine. Und weil die Bars mittlerweile auch schon zu haben, kommt, was kommen musste. Und was so typisch ist für große Feierlichkeiten in Madrid. Erst wird unauffällig hinter Gegenständen gepinkelt, dann schon weniger geniert gegen Selbige und am Ende wird einfach überall die Hose runtergelassen. Das ist für eine Gruppe von älteren englischen Damen definitiv zu viel des Guten. Eine von ihnen ist den Tränen nahe und meint völlig echauffiert: „I just fucking hate the centre of town!". Fair enough.

Über dem Palacio de Cibeles thront ein riesiges „Refugees Welcome"-Banner. Wer das aufgehängt hat, ist nicht bekannt. Die inoffizielle Party findet nicht weit entfernt, auf der anderen Seite des nur halbherzig mitwirkenden Schwulenbezirks, statt. Doch der Cibeles-Platz—trotz all seiner Mängel—bleibt etwas für jedermann. In den meisten anderen Ländern würde Real sein „Keiner mag uns, aber egal"-Image pflegen. Doch in Madrid scheinen sich die Vorteile einer gut geölten Kommerzialisierung durchgesetzt zu haben. Das geht so weit, dass Real fast noch mehr zu einem Verein des Volkes geworden ist als Atlético.

Ob nun „Refugees Welcome"-Botschaft oder Hitlergruß, Real Madrid ist endgültig zu einem massentauglichen Verein par excellence geworden. Daran wird sich mit dem Gewinn der Undécima erst recht nichts ändern.