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GAMES

Videospiele und Frauenhass

Wir haben deutsche Entwicklerinnen gefragt, was sie über GamerGate, die „Männerdomäne" Videospielbranche und Sexismus in Games denken.
Foto: Rockstar Games

Wenn es eine Sache gibt, die Gamer und Internetkommentatoren im Allgemeinen eint, dann ist es die Leidenschaft, über Themen, die ihnen am Herzen liegen, zu diskutieren. Wie fehlgeleitet jene Diskutierfreude mitunter sein kann, bewies das medial weltweit beleuchtete GamerGate—was wir auch schon mit Entwicklern aus anderen Ländern diskutiert haben. Losgelöst von der privaten Racheaktion eines Amerikaners, dessen Freundin Zoe Quinn (ihres Zeichens Spieleentwicklerin) mit Redakteuren geschlafen haben soll, um bessere Wertungen für ihre Spiele zu bekommen, entwickelte sich die Diskussion um ethische und moralische Richtlinien im Videospielejournalismus erschreckend schnell in einen virtuellen Amoklauf gegen weibliche Spieleschaffende.

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Frauen wie Anita Sarkeesian, die bestimmte Mechanismen in Videospielen oder den kollektiven Shitstorm gegen Quinn kritisierten, wurde—vor allem per Twitter—mit Vergewaltigung und Mord gedroht. Als typische Internet-Trollerei ließ sich das vor allem dann nicht mehr abtun, als persönliche Informationen wie beispielsweise die Anschrift der Betroffenen veröffentlicht wurden. Aus Angst vor realen Konsequenzen des virtuellen Mobbings sahen sich die Opfer zum Teil sogar gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen.

So schockierend und fassungslos machend diese Attacken auch sind, in der deutschen Videospielebranche wurde das Thema nicht einmal ansatzweise so diskutiert wie in den USA oder Großbritannien. Um herauszufinden, was deutsche Spieleentwicklerinnen über GamerGate denken, haben wir bei allen größeren Entwicklerfirmen Deutschlands angefragt. Mit uns über das Thema sprechen wollten allerdings nur Mitarbeiterinnen von Daedalic Entertainment und Black Forest Games.

Eigentlich hatten wir mit offen artikuliertem Entsetzten über die frauenfeindlichen Strömungen in der US-amerikanischen Gamingszene und mit offener Solidarität gegenüber den GamerGate-Opfern gerechnet. Stattdessen verstärkte sich der Eindruck, dass die deutsche und die amerikanische Videospielbranche nicht so richtig viel miteinander zu tun haben und man sich globalen Themen deswegen auch nicht so wahnsinnig verbunden fühlt. Eine ganz klare Meinung hatten unsere beiden Gesprächspartnerinen dafür zum Mythos der reinen Männerdomäne im Gamingsektor und seinem angeblichen Sexismusproblem. Das einstimmige Fazit: Alles gar nicht so schlimm.

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Anita Sarkeesian von Feminist Frequency hat es den GamerGate-Anhängern besonders angetan.

Jacomi Conradie, 32, Black Forest Games, Offenburg. Game Developer für unter anderem Arcania: Gothic 4 und DieselStörmers

VICE: Wie bist du zur Gamesbranche gekommen?
Jacomi Conradie: Ich habe allgemein etwas im Bereich Computer und Informationstechnologie in Südafrika studiert, zusammen mit meinem damaligen Freund. Er hat nach einem Job gesucht und hatte ein Vorstellungsgespräch bei Trinigy, die damals an der Vision-Engine gearbeitet haben. Er hat den Job bekommen, wir haben geheiratet und sind nach Deutschland gezogen und ein paar Jahre später habe ich dann auch einen Job bei der Firma bekommen. Es war also mehr ein glücklicher Zufall, aber rückblickend war das eine sehr gute Entscheidung für meine Karriere, weil es mir wahnsinnig viel Spaß macht, in der Videospieleindustrie zu arbeiten. Aber es war jetzt nicht so, dass ich immer unbedingt Spieleentwicklerin werden wollte.

Welche Erfahrungen hast du als Frau in der Branche gemacht? Ist es wirklich, wie so oft dargestellt, eine hauptsächliche Männerdomäne?
Mir gegenüber hatte nie jemand Vorbehalte oder hat mich anders behandelt—zumindest nicht so, dass ich es mitbekommen hätte. Vielleicht waren die Leute mir gegenüber höflicher, aber ich habe keine negativen Erfahrungen gemacht oder wurde irgendwie diskriminiert, nur weil ich eine Frau bin.

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Wir erklärst du dir den regelrechten Hass von Gamern gegenüber den Frauen, die einfach nur geäußert haben, dass sie sich von der Industrie falsch behandelt fühlen?
Ich fand das wirklich schockierend. Insbesondere in Anbetracht meiner Erfahrungen mit der Branche hätte ich so etwas niemals erwartet und kann das auf gar keinen Fall gutheißen. In unserer Firma sind die Männer zwar in der Überzahl, aber auch meine weiblichen Kolleginnen haben so etwas noch nie miterlebt.

Glaubst du, dass etwas wie GamerGate in ähnlicher Form auch in Deutschland passieren könnte?
Ich will das jetzt nicht ausschließen, aber Menschen sind ziemlich seltsame Lebewesen. Wir machen alle möglichen komischen Sachen. Ob das vielleicht auch daran liegt, dass der deutsche und der amerikanische Markt sehr unterschiedlich sind, kann ich leider nicht sagen. Ich habe dazu nicht genug Kontakt zu US-Entwicklerstudios, aber ich wusste auf jeden Fall nicht, dass es da anscheinend solche Probleme gibt.

Wie würdest du dich verhalten, wenn du als Frau einfach nur öffentlich einen Standpunkt vertreten willst und darauf dann plötzlich so viel negatives Feedback bekommst, dass du dir Sorgen um dein Leben, oder zumindest deine Privatsphäre, machen musst?
Würde ich mich in dieser Situation befinden, hätte ich auf jeden Fall ziemlich viel Angst. Ich habe so was noch nie mitmachen müssen und vorher auch noch nie mitbekommen, dass Leute wegen ihrer bloßen Meinungsäußerung so angegriffen werden. Es kommt natürlich auch immer darauf an, wie man seine Meinung kundtut, aber Anita Sarkeesian beispielsweise hat niemanden dazu gezwungen, ihr bei Twitter zu folgen oder ihre Videos anzuschauen. Ich finde es absolut in Ordnung, wie sie das gehandhabt hat, und verstehe nicht, warum die Leute sie so angreifen sollten.

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Teilst du ihre Meinung, dass Frauen in Videospielen generell anders dargestellt werden als Männer?
Eigentlich ja. Das hat aber auch etwas mit der Zielgruppe des jeweiligen Spiels zu tun. Wenn sich das Spiel an heterosexuelle Männer richtet, werden Frauen auf eine bestimmte Art und Weise dargestellt. Entwickler haben so etwas im Hinterkopf, wenn sie eine Spielwelt erschaffen, und da kann es eben passieren, dass man sich nicht so viele Gedanken darum macht, ob man Frauen beispielsweise sehr eindimensional oder als Objekt darstellt. Ich stimme schon damit überein, dass Entwickler nicht zu glauben scheinen, dass das ein Problem ist, an dem sie arbeiten müssen. Darum geht es in ihren Spielen einfach nicht.

Könnte GamerGate im Idealfall vielleicht in einer Art gesunden Diskussion über genau solche Probleme münden?
Ich glaube schon. Das Problem ist, dass Aggression selten zu einer produktiven Auseinandersetzung mit einem Thema führt. Über etwas zu sprechen und verschiedene Meinungen zu hören, ist aber definitiv der erste Schritt zur Lösung eines Problems.

Simone Kesterton. Foto mit freundlicher Genehmigung von Daedalic Entertainment.

Simone Kesterton, Daedelic Entertainment, Hamburg. Art Designer für unter anderem The Night of the Rabbit unddie Deponia-Reihe

VICE: Wie bist du in der Gamesbranche gelandet?
Simone Kesterton: Spielen gehört bei uns allen in der Firma so ein bisschen dazu. Bei mir war es so, dass ich schon immer nebenbei gespielt habe, die Industrie selbst aber gar nicht so als Jobmöglichkeit wahrgenommen habe. Ich habe Grafikdesign gelernt und dachte, ich lande mal in einer Werbeagentur. Dann sollte ich im Rahmen meines Studios für Daedelic ein Characterdesign zu New Beginning machen und ich dachte mir: „OK, warum nicht. Zeichnen ist Zeichnen." Danach meinten sie zu mir, dass ich mich unbedingt melden soll, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Dadurch bin ich auch zum ersten Mal überhaupt so richtig mit der Spieleindustrie in Hamburg in Kontakt gekommen.

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Ist die Spielebranche immer noch eine Männerdomäne, wie ja immer gerne suggeriert wird, oder ändert sich das gerade?
Ich sehe das gar nicht so. Die, die kreativ schaffen wollen, suchen sich ihre Jobs, und die gibt es eben genau so in der Gamingbranche. Dadurch, dass wir vieles zeichnen, sind wir, was Frauen angeht, ziemlich hoch besetzt. Bei Programmiertätigkeiten und Scripting ist es noch nicht so stark, aber was den kreativen und illustrativen Teil angeht, haben wir ziemlich viele Frauen. Es ist jetzt nicht Hälfte-Hälfte, aber ein gutes Drittel auf jeden Fall. Ich saß mal bei einem Meeting, wo sich acht Frauen und zwei Männer im Raum befunden haben. Vielleicht ist das bei uns noch ein bisschen verstärkt, weil wir 2D-Spiele machen und Mädels eine Affinität zu den zeichnerischen Berufen haben.

Wurde GamerGate bei euch im Büro diskutiert? War das ein Thema, gerade auch, weil ihr so viele Mädels bei euch sitzen habt?
Ich habe das vor allem über meinen Freund mitbekommen, der sich für solche Diskussionen innerhalb der Branche immer sehr interessiert. Im Büro war das gar nicht so Thema. Ich bin es auch ein bisschen leid, dass das Thema überhaupt so krass diskutiert wird. Es ist ja jetzt auch nicht so, als würden wir Spiele für Männer machen. Ziemlich viele Frauen spielen Adventure-Spiele und vielleicht ist es auch deshalb so, dass Daedalic da gar nicht so polarisiert.

GamerGate hatte sich ursprünglich ja an einer privaten Racheaktion entzündet, bis es sich dann schließlich auch auf Drohungen gegen Frauen ausgeweitet hat, die bestimmte Mechanismen innerhalb der Videospielebranche—vielleicht auch zu Recht—kritisieren.
Das ist so ein ganz schwieriges Thema, finde ich. Ich glaube, das wäre auch gar nicht so aufgebauscht worden, wenn sich die Medien nicht so auf das Thema gestürzt hätten. Da ist ja eine richtiggehende Lawine entstanden. Anita Sarkeesian, die diese feministischen Videospiele-Videos gemacht hat, läuft jetzt durch alle Talkshows.

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Ich finde diese Drohungen auch erschreckend, aber das ist eben auch einfach das Internet. Jeder kann seine Meinung äußern und jetzt bekommt man erst mal so richtig zu spüren, wie viel Macht eigentlich dahinter stecken kann, wenn jeder anonym sagen kann, was er will.

Teilst du den Vorwurf von Kritikerinnen wie Anita Sarkeesian, dass es nicht genug starke Frauenfiguren in Videospielen gibt?
Ich sehe das anders und das stimmt so auch einfach gar nicht. Es gibt starke Frauenfiguren und in ihren Videos war es ja auch immer so, dass sie sich sehr selektiv die Sachen rausgesucht hat. Natürlich hat sie auch immer erwähnt, dass es die andere Seite auch gibt, aber ich würde dem Ganzen keine Zensur auferlegen wollen. Manche Spiele werden produziert, weil sie einfach von einer bestimmten Schicht gekauft werden und da wird sich dann angeschaut, welche Figuren bei ebenjener Schicht funktionieren. Diese „Damsel in Distress" ist beispielsweise eine einfache Mechanik, die jeder Mensch versteht. Es ist doch total in Ordnung, wenn man eine einfache, eingängige Geschichte für ein Jump'n'Run nutzt. Ich verstehe das Problem überhaupt nicht.

Glaubst du, dass etwas grundlegend Frauenfeindliches wie GamerGate auch in Deutschland passieren könnte? Dass sich Gamer in Foren zusammenrotten und dann gesammelt Vertreter der Branche richtiggehend terrorisieren?
Irgendwie glaube ich das nicht. Dazu ist die Branche in Deutschland auch einfach zu klein. Auf eine gewisse Art ist es hier richtiggehend familiär. Gerade in Hamburg sind wir stark vernetzt und das finde ich auch schön. Durch Veranstaltungen wie den Entwicklerpreis wird das Ganze zusammengehalten, und ich hoffe, das bleibt auch weiterhin so. Außerdem sind unsere Fans auch alle so wahnsinnig nett! Ich liebe unsere Fans, die sind richtig toll.

Lisa liebt Videospiele. Folgt ihr bei Twitter.

Titelfoto: Rockstar Games