Wie sich 2,9 Tonnen Crystal-Grundstoff in den Händen des BKA in Luft auflösten

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Wie sich 2,9 Tonnen Crystal-Grundstoff in den Händen des BKA in Luft auflösten

Ein Jahr nach dem vermeintlichen Chlorephedrin-Sensationsfund ist der größte deutsche Crystal-Meth-Prozesse nur noch ein juristischer Scherbenhaufen.

Titelbild: BKA Am 13. November 2014 lud das Bundeskriminalamt in Wiesbaden zur feierlichen Pressekonferenz. Auf Holzpaletten stapelten sich Plastiksäcke, voll mit einer weißen, pulvrigen Substanz. Nach monatelangen Ermittlungen konnten die Beamten während einer Razzia im Raum Leipzig rund 2,9 Tonnen der Chemikalie Chlorephedrin beschlagnahmen. Der Stoff ist zur Herstellung von Crystal Meth geeignet. Die knapp drei Tonnen des Grundstoffs würden reichen, um etwa 2,3 Tonnen Crystal zu produzieren.

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BKA-Präsident Jörg Ziercke sonnte sich im Blitzlichtgewitter. Spiegel TV rekonstruierte den Ermittlungserfolg in einer ausführlichen Dokumentation, spricht von einem Straßenverkaufswert von 180 Millionen Euro. Am Monatsende plante Deutschlands oberster Kriminalbeamter Ziercke, in den Ruhestand zu gehen. Die Präsentation des Riesenfunds war so etwas wie ein willkommenes Abschiedsgeschenk seiner Mitarbeiter. Ein letzter großer Auftritt in der Öffentlichkeit.

Der Plan war clever. Peter-Philipp F. (33) bestellte 4,1 Tonnen des Crystal-Grundstoffs und täuschte die Vernichtung der Chemikalien in der Hamburger Müllverbrennungsanlage vor.

Ein Jahr später ist von dem Sensationsfund nicht viel übrig geblieben. Beim Besuch des Leipziger Gerichtsverfahrens gegen den hauptbeschuldigten Chlorephedrin-Händler wird schnell klar, dass nur noch 20 Kilo des Grundstoffs eine Rolle spielen. Alle weiteren Vorwürfe, insbesondere die Beschaffung von 4,1 Tonnen Chlorephedrin durch den Pharmahändler aus Leipzig, haben sich in Luft aufgelöst. Wir haben uns die Hintergründe des Verfahrens genauer angeschaut, mit Strafverteidigern gesprochen und die Prozesse in Leipzig besucht, um herauszufinden, wie das passieren konnte.

Während das Grundstoffüberwachungsgesetz den Umgang mit typischen Crystal-Grundstoffen wie Ephedrin oder Pseudoephedrin in Deutschland streng reglementiert, ist Chlorephedrin nach wie vor frei verkäuflich. Tschechischen Drogenköchen und deutschen Dealern muss aufgefallen sein, dass sich diese Substanz zur Produktion hochwertigen Methamphetamins eignet.

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Der Plan war clever. Pharmahändler Peter-Philipp F. (33) bestellte bei einer Schweizer Chemiefabrik 4,1 Tonnen des Crystal-Grundstoffs. Als Verwendungszweck gab der Leipziger Testzwecke an. Später täuschte er die Vernichtung der Chemikalien in der Hamburger Müllverbrennungsanlage vor. Tatsächlich ging aber nicht das Chlorephedrin, sondern handelsübliches Streusalz in Flammen auf.

Durch diese Schornsteine am Hamburger Hafen hätte der Crystal-Grundstoff laut der fingierten Entsorgung verpufft sein können. Bild: Imago/Westend61

Peter-Philipp F. lagerte das Chlorephedrin anschließend in einer angemieteten Lagerbox im Leipziger Stadtteil Plagwitz und teilweise wohl auch in einer Lagerhalle auf dem Gelände der hochgesicherten Chemiewerke von Leuna. Den Kontakt zu den Drogennetzwerken wickelte allerdings sein Geschäftspartner Saur S. (47) ab. Der Aserbaidschaner verfügte offenbar über beste Drähte zur armenischen Mafia. Anders lässt sich kaum erklären, warum der Leipziger Ganove Grigori A. (26) über Saur S. an das Chlorphedrin von Peter-Philipp F. gelangen konnte.

BKA-Ermittler berichteten bei Gericht, die Gangster seien sehr darauf bedacht gewesen, dass sich der Pharma- und der Drogenhändler nie persönlich zu Gesicht bekamen. In Anbetracht des klandestinen Vorgehens kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass F. den Namen seines Geschäftspartners aus der armenischen Mafia erst aus den Ermittlungsakten erfahren hat.

Das Bundeskriminalamt bekam den Fall nach einer Geldwäscheverdachtanzeige auf den Tisch. Mitarbeiter der Sparkasse Leipzig registrierten hohe Geldeingänge auf F.'s Konto, doch der Leipziger wollte der Bank die Herkunft der Gelder nicht erklären. Das BKA ermittelte rasch die Chlorephedrin-Bestellungen und initiierte umfangreiche Abhörmaßnahmen.

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In Leipzig observierten die Ermittler mehrere Chlorephedrin-Übergaben. Allerdings verrannten sie sich in dem Gedanken, der Umgang mit der Chemikalie sei an sich bereits strafbar, da der einzige bekannte Verwendungszweck, dem Chlorephedrin diente, die Produktion von Methamphetamin sei. An dieser Stelle machten die Kriminalisten die Rechnung ohne die sächsische Justiz. Das Landgericht kassierte in mehreren Eröffnungsbeschlüssen einen Teil der Vorwürfe. Das Dresdner Oberlandesgericht bestätigte die Rechtsauffassung. Mit anderen Worten: Das klandestine Transportieren mehrerer Kilo Chlorephedrin fällt in Deutschland nicht unter Strafe.

Der Hauptangeklagte Peter-Philipp F. beim Prozesauftakt am 23.06.2015 in Leipzig. Kurze Zeit nach diesem Foto kann er das Gericht zunächst auf freiem Fuß verlassen. Bild: Martin Schöler

Für das Landgericht ist deshalb heute nur noch ein Deal von Interesse. Ursprünglich war der Hauptangeklagte Peter-Philipp F. wegen mehrfachem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt, ihm drohte eine mehrjährige Haftstrafe. Inzwischen sind viele der Ermittlungsergebnisse vor Gericht unbrauchbar, und die Anklage gegen die Leipziger Clorephedrin-Connection scheint sich im Wesentlichen nur noch auf die Observation eines Parkplatz-Deals zwischen Kurieren und Zwischenhändlern zu stützen.

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Grigori A. hatte am 25. September 2014 bei den in Tschechien lebenden Vietnamesen Huan Huong D. und Minh Duc T. vier Kilogramm Crystal geordert. Als Gegenleistung vereinbarten die Männer die Übergabe von 20 Kilo Chlorephedrin. Das Geschäft platzte, weil der tschechische Drogenkurier am 1. Oktober auf der A9 in eine Kontrolle geriet, festgenommen und vor Gericht gestellt wurde. Anhand chemischer Analysen ließ sich feststellen, dass das beschlagnahmte Crystal aus jener Charge Chlorephedrin hergestellt wurde, die Peter-Philipp F. in der Schweiz bestellt hatte.

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In Leipzig beobachteten die Ermittler derweil die Vorbereitungen zur Übergabe der Chemikalien. Der Pharmahändler verstaute mehrere Säcke mit insgesamt 20 Kilogramm Chlorephedrin in seinem VW Golf. Das Auto stellte er auf dem Parkplatz an der Red-Bull-Arena ab. Der Fahrzeugschlüssel wanderte über Saur S. und Grigori A. zu dessen Lebensgefährtin Lina B. (25). Die Berliner Studentin lud die Säcke in ihren Ford Escort. Anschließend steuerte die Ukrainerin einen Parkplatz im Stadtteil Burghausen, nahe der Autobahn, an. Dort sollte die Übergabe stattfinden. Ihr Komplize Armen T. (23) folgte ihr in einem separaten Pkw, um die Übergabe abzusichern.

Das Duo wurde zwischenzeitlich wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das war in diesem Fall möglich, da es sich bei dem Chlorephedrin um einen geldwerten Ersatz gehandelt hatte. Auch die Anklagen gegen Peter-Philipp F., Saur S., Grigori A. und einen weiteren Armenier, die noch vor dem Landgericht anhängig sind, stützen sich—soweit sie zur Hauptverhandlung zugelassen sind—im Wesentlichen auf diesen einen Übergabeversuch. Mehr hat die Justiz gegen Händler und Einkäufer ganz offensichtlich nicht mehr in der Hand.

Der Prozess gegen Peter-Philipp F. und Saur S. war nach nur einem Sitzungstag schon wieder beendet.

Das Verfahren sorgte für mächtig Zündstoff zwischen einzelnen Richtern und der Leipziger Staatsanwaltschaft. Der Prozess gegen Peter-Philipp F. und Saur S. war im vergangenen Juni nach nur einem Sitzungstag schon wieder beendet. Eigentlich waren 18 Verhandlungstage anberaumt gewesen. Doch die Verteidiger hatten noch vor Verlesung des Anklagesatzes mit einem Aussetzungsantrag Erfolg.

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Die Rechtsbeistände wiesen auf unvollständige Akten, eine mangelhafte Anklageschrift und nicht vollends abgeschlossene Ermittlungen hin. Ein fairer Prozess sei unter diesen Umständen nicht möglich. Obendrein sei das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt. Inhaftierte Beschuldigte haben in Deutschland einen Rechtsanspruch auf die zügige Durchführung des Strafverfahrens—schließlich gilt für sie die Unschuldsvermutung. Von einem schleunigen Verfahren kann jedoch schon lange keine Rede mehr sein.

Auf einem Parkplatz vor der Red Bull Arena in Leipzig wurde der VW Golf mit 20 Kilogramm Chlorephedrin abgestellt. Bild: STAR-MEDIA/Imago

Die 8. Strafkammer schloss sich in ihrem Beschluss weitestgehend der Argumentation der Rechtsanwälte an. Die beiden Angeklagten befinden sich seither auf freiem Fuß. Zusätzlich erstattete die Kammer bei der Staatsanwaltschaft Sachaufsichtsbeschwerde gegen Oberstaatsanwältin Elke Müssig. Die Antwort der kommissarische Behördenchefin, Claudia Laube, auf diese Beschwerde steht bis heute aus.

Fest steht: Juristisch muss die Hauptverhandlung weitergehen, sie konnte weder durch Urteil oder vorläufige Einstellung beendet werden. Allerdings kann sie momentan nicht durchgeführt werden, weil die Staatsanwaltschaft unter anderem durch das vermeidbare Aktenchaos den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.

Wann der Prozess von vorn aufgerollt werden kann, steht noch in den Sternen. „In dieser Sache ist noch kein neuer Termin bestimmt worden", bestätigt Gerichtssprecher Hans Jagenlauf.

Der Ex-BKA-Präsident Jörg Ziercke kriegt den Leipziger Juristenärger nur noch aus der Ferne mit. Er nutzt seinen Ruhestand, um Vorträge über die Terrorgefahr in Deutschland zu halten. Zum Chlorephedrinfall hat er sich seit seiner Pensionierung nicht mehr öffentlich geäußert.