Ich ghoste all meine Sexpartner (wenn sie mir nicht zuvorkommen)
Titelbild: Screenshot via 'Scooby Doo'

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Sex

Ich ghoste all meine Sexpartner (wenn sie mir nicht zuvorkommen)

Mein Leben ist eine einzige Geistergeschichte und auf Tinder spukt es.

Mein Liebesleben ist ein wenig kompliziert, weil verschiedene Teile von mir auf der Suche nach verschiedenen Dingen sind. Ich will gerne das neue Jahr beginnen, indem ich die Gründe für mein Single-Dasein unter die Lupe nehme. Vielleicht haben ja einige Leute hier eine positive Reaktion und erkennen sich darin wieder. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass mich ein Haufen Facebook-Kommentare erwartet, die mir vorwerfen, ein typischer Millennial-Loser zu sein, der die Liebe gar nicht verdient hat. Und das ist auch in Ordnung. Größtenteils stimme ich euch da zu. Ich halte mich nicht für besser als andere, also lass mich doch bitte einfach meinen persönlichen Carrie-Bradshaw-Moment haben.

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Aber wie gesagt schlagen zwei Herzen in meiner Brust und nur ein Teil von mir kann sich mit Carrie Bradshaws Suche nach der wahren Liebe identifizieren. Ich wünsche sie mir zwar tief im Inneren auch, aber sobald ich mir das eingestehe, muss ich es gleich wieder verdrängen. Der dominante Teil meiner Persönlichkeit ist ein beschissener, geiler Bock, der glaubt, irgendwie über dem Konzept Liebe zu stehen. Ich muss an Gordon Gekko aus Wall Street denken, der sagt, Liebe sei einfach nur ein Märchen, das sich Menschen ausgedacht haben, damit sie sich nicht aus dem Fenster stürzen. Vielleicht sollte ich in puncto Liebe keine Filmbösewichte zitieren, aber genau den Film habe ich zufällig gestern Abend alleine im Bett mit einem Kokosnusskuchen geschaut, nachdem ich was mit einem Typen von Tinder hatte, also habe ich mich darin wiedererkannt.


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Ich verwende Tinder sehr viel. Für mich ist das eine sehr gute Sache, weil ich extrem introvertiert bin, online aber extrovertiert rüberkomme. Bevor ich mich mit jemandem persönlich treffe, erwähne ich das meist, damit sich die Person nicht vorkommt, als hätte sie sich auf eine Mogelpackung eingelassen. Für mich ist Tinder deswegen gut, weil ich keine großartigen Hemmungen habe, die Leute zu ghosten, die ich dort kennenlerne. Meist gehe ich auf ein Date, habe wahrscheinlich Sex, und in etwa einem Drittel der Fälle habe ich dann nie wieder was mit der Person zu tun.

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Aber Ghosten funktioniert natürlich in beide Richtungen. Ich fühle mich nicht sonderlich verletzt, wenn Leute auf Tinder das bei mir machen. Es kommt ständig vor. Vielleicht ist das Ghosten ein Symptom unserer Kultur, die unmittelbare Befriedigung eines Verlangens über Verantwortlichkeit stellt. Oder vielleicht fanden diese Typen den Sex mit mir auch einfach schlecht. Was auch immer nun dahintersteckt, mein Leben ist voller Geister. Manchmal kann ich ihre Anwesenheit spüren, zum Beispiel, wenn sie eines meiner Selfies liken, nachdem wir seit Monaten nicht miteinander gesprochen haben. Sie versuchen sozusagen, mich aus dem Jenseits zu kontaktieren. Ich würde ja ein Medium zur Rate ziehen, um es vielleicht nochmal zu probieren, aber Dreier sind nicht mein Ding. Wenn du mich einmal geghostet hast, bist du für immer ein Geist. Es gibt kein Zurück.

Manchmal bin ich der Geist. Wenn ich den Kontakt mit jemandem abbreche, erwarte ich, so behandelt zu werden, als sei ich unsichtbar. Wenn ich einen Geghosteten im Club sehe, will ich nicht, dass er mich zur Kenntnis nimmt. Ich habe schon häufiger jemanden geghostet und meine Entscheidung dann bereut. Es hat viele Gründe, dass ich aufhöre, mit jemandem zu reden. Oft bin ich einfach in einer schlechten psychischen Verfassung und teile das nicht richtig mit. Wenn es mir dann besser geht, spuke ich ein bisschen um sie herum und hoffe auf eine Reaktion. Aber meist ist es da schon zu spät, der Schaden lässt sich nicht mehr beheben. Das passiert mir oft.

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Beziehungen machen mir Angst. Ich habe viele Probleme damit, Vertrauen zu fassen, und mein Zynismus kann auf Dauer an die Substanz gehen. Das ist einer der Gründe, warum ich so ein Einzelgänger bin. Es ist schwer, das richtige Gleichgewicht zu finden, wenn man am liebsten alleine sein, aber auch mit vielen Leuten Sex haben will.

Ein weiterer meiner zahlreichen Mängel ist, wie obsessiv ich werden kann, wenn ich jemanden gern mag. Ich entwickle eine Fixierung und werde eifersüchtig. Es bringt eine furchtbare Person in mir zutage, die ich nur sehr ungern bin. Ich weiß nicht, ob es das ist, was andere Leute als "verliebt sein" bezeichnen, aber ich versuche, das nach Kräften zu vermeiden und mit meinen Sexpartnern alles so locker wie möglich zu halten. Wenn ich anfange, zu dieser verrückten Version meiner Selbst zu werden, ziehe ich mich zurück und verschwinde von der Bildfläche.

Ich verarsche mich selbst schon ziemlich lange, um emotionalen Bindungen aus dem Weg zu gehen, und bis vor Kurzem hat das auch gut geklappt. Wenn ich mich schon "verliebe", dann nur in Leute, die weit entfernt wohnen. Wenn wir uns dann persönlich treffen, ist das Ghosten ja schon in der Geografie begründet. Wir können unsere kleine Liebelei haben und es dabei belassen. Dieser Plan ist auch sehr gut aufgegangen, bis ich einmal für einen Typen quer über den Kontinent geflogen bin und meine Gefühle dann mit nach Hause genommen habe. Jetzt bin ich besessen von ihm, kann ihn aber auf die Entfernung nicht einmal wirklich stalken. Und das bereitet mir Sorgen. Wenn ich es schon nicht hinkriege, jemanden zu ghosten, der Tausende Kilometer entfernt lebt, dann bin ich wohl auch nicht dagegen gewappnet, mich in einen Bewohner meiner Stadt zu verlieben.

Ghosting ist meiner Meinung nach nicht unbedingt etwas Gutes. Es ist problematisch. Aber vielleicht ist es auch eine natürliche Entwicklung, die sich aus unserer aktuellen, durch die Technik vorgegeben Art zu kommunizieren ergibt. Wir können sehr viel leichter dem Ghosting-Impuls nachgeben, wenn wir anonym vor einem Bildschirm sitzen. Wir müssen einsehen, dass wir alle für irgendwen Geister sind.

Und an dieser Stelle halte ich an meinem Laptop inne, in meinem sonnendurchfluteten New Yorker Apartment, starre an die Decke, atme tief durch und tippe den Satz: "Und ich kam nicht umhin, mich zu fragen … Wenn wir alle jemandes Geist sind, lebt dann überhaupt jemand von uns richtig?"

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