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Motherboard

Der Unterschied zwischen Abhören und Zuhören

Die Vereinten Nationen haben eine Unterorganisation in Wien, die ihre Ohren in die richtige Richtung aufsperrt.

Foto von CTBTO

Alle reden von der NSA, Vorratsdatenspeicherung, Lauschangriff und Abhörsicherung. Der Staat, die Militärs, die alles überwachen, das sind die Bösen. Und sie werden nicht müde zu betonen, dass dies alles nur zu unserer Sicherheit und leider nicht anders möglich ist.

I call Bullshit. Denn die Vereinten Nationen gehen hier einen wesentlich sinnvolleren Weg. Eine kleine, feine Unterorganisation der International Atomic Energy Agency (IAEA) in Wien, die CTBTO, macht mittlerweile schon seit 1996 nämlich nichts anderes als das: Zuhören. Und zwar ganz geduldig, offen und vor allem vollkommen abseits unserer heiligen Telefongespräche, Kreditkartenbestellungen, Sexting-Sessions oder Bitcoin-Transaktionen. Denn sie lauschen, ob irgendwo auf der Welt ein Nuklearsprengkopf detoniert. Zum Glück passiert das praktisch nie; daher werden in der Zwischenzeit auch Erdbeben, Vulkanausbrüche, berstende Eisberge, Meteoriteneinschläge, Walgesänge und viele weitere natürliche Radaubrüder aufgezeichnet.

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Thomas Mützelburg, Public Information Officer bei der CTBTO (Comprehensive Test Ban Treaty Organization), erklärt mir bei einem Kaffee am sonnigen Vorplatz des Vienna International Centre, was die Organisation genau tut: „Die CTBTO ist die in Wien ansässige Organisation, deren Aufgabe die Überwachung des seit 1996 von mittlerweile 183 Staaten unterzeichneten und von 162 ratifizierten Abkommens zum gänzlichen Verzicht auf Atomwaffentests ist."

Foto von The Official CTBTO Photostream

Darunter finden sich auch echte Player wie Russland und Frankreich. Weil von 44 Staaten, die prinzipiell in der Lage wären, eine Kernwaffe zu entwickeln, noch nicht alle unterzeichnet und/oder ratifiziert haben—unter anderem die USA, der Iran und natürlich Nordkorea—ist das Abkommen offiziell noch nicht in Kraft getreten, bietet aber bereits genug Grundlage für die Kontrolle durch eine unabhängige Organisation, eben die CTBTO. Oder, wie Mützelburg hinzufügt, „eigentlich die Preparatory Commission, also Vorbereitungskommission. Wir sind also eine zwar vollwertige und autonome, aber eben technisch gesehen interimistische Organisation.

Mit einem weltumspannenden Netz an „Horchposten" ist die CTBTO so in der Lage, geringste Veränderungen in der Atmosphäre, der Tektonik oder im Wasser festzustellen, und so praktisch in Echtzeit die Weltöffentlichkeit zu informieren, wenn zum Beispiel unser aller Lieblingsmoppel Kim Jong-un einen seiner Atom-Kracher zündet. Was er übrigens schon drei Mal getan hat.

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Die Technik dahinter: 60 spezielle Array-Mikrofone (eine Art Spezial-Barometer) auf der ganzen Welt messen Infraschall, das heißt niederfrequente Druckwellen, die bei jeder Art von Explosion entstehen. Grundsätzlich könnte so sogar eine Explosion wie die eines Verkehrsflugzeugs festgestellt und der Ort trianguliert werden. Die CTBTO hat sich daher aktiv an der Suche nach Flug MH370 beteiligt, doch leider ohne Ergebnis. (Hier bitte, ihr Verschwörungstheoretiker, ein Grund mehr daran zu glauben, dass der Jet auf Diego Garcia rumsteht). Aufgrund der hohen Empfindlichkeit und der typischen Signatur jeder Explosionsquelle kann so relativ einfach zwischen beispielsweise einem atmosphärischen Atomtest oder einer natürlichen Explosion wie zuletzt dem Bersten des Meteors von Tscheljabinsk unterschieden werden.

Foto von The Official CTBTO Photostream

Darüber hinaus messen Seismik-Stationen alle Schockwellen in der Erde (darunter eben auch die drei unterirdischen Atomtests von Nordkorea), Unterwassermikrofone zeichnen Schallquellen in den Ozeanen auf und hochempfindliche Radionuklid-Messstationen melden jede noch so geringe Veränderung von radioaktiven Isotopen in der Atmosphäre. Nicht ohne Stolz erwähnt Mützelburg ein Beispiel für die extrem hohe Empfindlichkeit der Messpunkte: „Wir können ganz genau sagen, ob die Franzosen oder Amerikaner wieder einen Reaktor lüften oder in Japan Kühlwasser verklappt wird. Uns entgeht nichts."

Die täglich auflaufenden 16 Gigabyte an Rohdaten werden in weltweiten Labors und in der Zentrale in Wien verarbeitet, bei allen signifikanten Ereignissen der letzten 18 Jahre wusste die CTBTO schon lange Bescheid, bevor der erste CNN-Reporter seinen Laptop aufgeklappt oder die Geheimdienste sich gegenseitig verdächtigten. Dabei ist volle Transparenz hier Trumpf, alle Daten stehen den Unterzeichnerstaaten in vollem Umfang zur Verfügung. „Selbstverständlich sind die USA auch hier die größten Abnehmer unserer Daten" weiß Mützelburg. „Die bekommen von uns alle Rohdaten und Analysen — was zeigt, dass unser System selbst für ein Land mit den Möglichkeiten der USA einen großen Mehrwert hat" fügt er hinzu.

Diese Daten werden unabhängig von Regierungen auch vielen anderen Einrichtungen zugänglich, die sich mit Grundlagen- und Ursachenforschung beschäftigen. So leistet die CTBTO mit ihrem ständig weiter ausgebauten Netz an Messstationen einen wertvollen Beitrag zu Tsunami-Meldungen und Vulkan- bzw. Erdbebenwarnungen sowie für Beobachtungen des Erdkerns, Klima- und Wetterphänomenen, Meerestieren, Entstehung von Eisbergen oder der Evaluierung von Nuklearkatastrophen wie Fukushima.

Das, liebe Geheimdienste, ist der Unterschied zwischen Abhören und Zuhören.