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Reisen

Mali Coup d’Etat

Mali befindet sich momentan im Umbruch und wer wollte nicht schon immer bei einem Militär-Putsch in Afrika dabei sein?

Mali, Bamako, dritte Märzwoche 2012. Ankunft aus Paris bei Dunkelheit. Wir reisen an, weil Jay vor Ort im Studio ein Album produzieren will; mit Bassekou, einem malischen Griot und Meister auf seinem Instrument: der Ngoni. Ich soll das fotografieren. Die Einreiseformalitäten scheinen anzudauern. Es ist spät. Doch unser Gastgeber winkt einen Zollbeamten herbei. Man kennt sich und wir werden durchgeschleust. Afrika! Vor dem Flughafengebäude: noch mehr Afrika. Reisende und selbsternannte Reiseleiter, Händler, Geldwechsler. Wir verlassen das Flughafengelände, fahren durch die Nacht, bis wir in Bankoni ankommen, einem Viertel in der nordöstlichen Peripherie der Hauptstadt. Kein Villenviertel, eher ärmlich: Lehmhütten, gemauerte Behausungen, davor Menschen im Schein der einen Neonlampe. Ansonsten: Dunkelheit. Am ersten Morgen bricht der Tag heran und das Licht bleibt weich, diffus und blass: Harmattan, der Landwind aus dem Sahel trägt den Wüstensand hierher. Dunst, Staub, wir werden bis zur Abreise keine Sonne sehen, keinen offenen Himmel; es ist unglaublich heiß und trocken.

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Verlesungen des Berichtes zur Lage der Nation durch das Militär-Komitee CNRDR

 
Wir wohnen in einem Gebäude unweit von Bassekous Haus. Kahle Räume, Matratzen auf dem Boden, aber mit westlicher Toilette, ein Kühlschrank wurde eigens für uns herbeigeschafft; die Einfeldkochplatte haben wir selbst mitgebracht. Aus einem der Räume nebenan sendet eine kleine private Radiostation. Ein Zweimann-Betrieb, nette Jungs. Um was es in ihrem Programm allerdings wirklich geht, wird nicht ganz klar.
Fünf Gehminuten weiter steht Bassekous Haus, es ist das stattlichste im ganzen Viertel, ummauert und rings herum mit Grün bepflanzt. Ein großes Haus. Ein offenes Haus wohl auch, Bassekou ist ein angesehener und beliebter Mann. Als Griot von edler Abstammung genießt er hohen Rang und Wohlstand. Im großen Innenhof des Hauses, gleich neben der archaischen Kochstelle, ist unter der Persenning das Mercedes-Coupé, neuestes Model mit Niederquerschnittsreifen eingemottet. Ein bizarrer Fremdkörper in der ansonsten eher steinzeitlich wirkenden Umgebung dieses Viertels ohne Asphaltstraßen, in dem die Menschen nebenan auf niedrigstem Lebensstandard zu zehnt in einer Hütte hausen. Doch der Wagen ist, dem Vernehmen nach, ein Geschenk des Präsidenten Amadou Toumani Touré, kurz ATT, für den Bassekou sang. Auch Jacques Chirac muss mal dabei gewesen sein, ein Porträt zeigt den Franzosen mit Bassekou und dessen Instrument. Es hängt großformatig und gerahmt in mehreren Räumen des Hauses.

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Moustapha Drei Tage später, am 21. März 2012, durchstreife ich das urbane Zentrum Bamakos mit meiner Kamera. Plötzlich Panik! Um mich herum geraten die Menschen in große Aufregung, innerhalb von wenigen Minuten verrammeln alle ihre Geschäfte und rennen weg. Völliges Durcheinander auf den Straßen, aber die Menschenströme bewegen sich insgesamt erkennbar in eine Richtung, daher mutmaße ich, dass sich irgendein Übel auf uns zu bewegt. Ich brauche einige Schreckminuten um die Lage inmitten dieses totalen Chaos für mich abzuschätzen, aber es fehlt mir dafür jegliche Information. Ich spüre nur, dass dies definitiv nicht mehr der Ort ist, an dem ich mich jetzt aufhalten sollte. Ich frage einige der gehetzten Passanten auf Französisch, was passiert sei, bekomme aber nur rätselhafte Versatzstücke an widersprüchlichen Informationen.

Zentrale der BDM-Bank unweit des Fernsehsenders

Stadtzentrum unmittelbar vor Ausbruch der Massenpanik

Die Rede ist vom Tuareg-Aufstand (doch die sitzen im Norden des Landes), andere sprechen von „grève“ (frz. Streik). Mir wird allerdings zunehmend klarer, dass es für mich jetzt vor allem darum geht, mich in Sicherheit zu bringen. Ich versuche, Schutz in einem Fachgeschäft für Elektrogeräte zu finden, doch der Inhaber gibt mir zu verstehen, dass er den Laden dicht machen und selbst gleich das Weite suchen wird. Er spricht von der französischen Botschaft, die ein paar Blocks weiter südlich sein soll, also mache ich mich auf den Weg. Ein intuitiver Reflex lässt mich meine Kamera in der Fototasche verstauen. Die Krisenreporterbilder sind es mir in diesen Minuten nicht wert, mich selbst in Gefahr zu bringen. Nicht nur weil ich weit und breit der einzige Weiße bin, sondern auch, weil meine Erfahrungen im Nahen Osten mich gelehrt haben, dass die Reuters-Kollegen das Geschäft mit den News-Bildern einfach besser können. Die französische Botschaft jedenfalls lässt auf sich warten, ich irre absolut ortsunkundig die Hauptstraße entlang und höre erste Schüsse. Erschreckenderweise aus der Richtung, in die ich gerade laufe.

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Blick auf das Gelände des staatlichen Rundfunk- und Fernsehsenders ORTM, von wo der Miltärputsch einen Tag später seinen Ausgang nimmt Rechts entdecke ich das Gebäude einer Bankzentrale, deren vergitterte Zufahrt gerade von bewaffnetem Personal geschlossen wird. Ich renne hin und bitte um Einlass, der mir zunächst verwehrt, dann aber doch gewährt wird. Ich versuche, von den bewaffneten Männern (offensichtlich Soldaten) zu erfahren, was da draußen los ist, doch die verharmlosen: ah, c’est rien! Aha. Nichts Besonderes also? Ein paar Minuten später sehe ich durch das Gatter, wie eine Gruppe von Männern laut schreiend auf der gegenüberliegenden Straßenseite nach Norden rennt, gefolgt von einem Trupp Militärs, die ununterbrochen Warnschüsse in die Luft abgeben. Von einem erhöhten Standpunkt im Außenbereich der Bankzentrale wage ich einen kurzen Blick auf die nahegelegene große Straßenkreuzung, die als strategischer Punkt offenbar von Bedeutung ist und von der nun ständig Schüsse zu hören sind. Ich erkenne einen Soldaten, der offensichtlich verwundet auf dem Boden kauert und wie besinnungslos in die Luft schießt. Dann kommen Sicherheitsleute der Bank und vertreiben mich von meinem Aussichtspunkt. Es gelingt mir, telefonisch Kontakt zu unseren Leuten zu bekommen, die von alldem noch nichts mitbekommen haben und warte, bis mich einer von ihnen mit einem sicheren Auto abholen kommen kann. Wir passieren die nahegelegene Kreuzung. Ein bis unter das Dach mit Waffen bestücktes gelbes Privat-Taxi wird dort gerade entladen und die Gewehre werden an Soldaten verteilt. Afrika!

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 Versorgungsengpässe am ersten Tag nach Öffnung der Tankstellen Außenperspektive, was wirklich geschieht:
Der Militär-Putsch beginnt mit einer Meuterei unzufriedener Soldaten, die Präsident Amadou Toumani Touré Unfähigkeit bei der Bekämpfung des Aufstandes der Tuareg im Norden des Landes vorwerfen. Der staatliche Fernsehsender wird gegen 15:30 Uhr gestürmt und der Präsidentenpalast umstellt. Präsident Touré flieht mit loyalen Soldaten an einen unbekannten Ort. Die Putschisten gründen das „Comité national pour le redressement de la démocratie et la restauration de l’état“ (Nationalkomitee für die Wiederherstellung der Demokratie und des Staates), kurz CNRDR, verhängen für die kommenden Tage eine Ausgangssperre von 18 Uhr bis 6 Uhr, setzten die Verfassung außer Kraft und schließen alle Grenzübergänge des Landes sowie den Flughafen Bamako. Die für April 2012 geplante Präsidentenwahl wird abgesetzt.

Oum und Moustapha

Abends im Fernsehen laufen auf allen Kanälen Videos mit folkloristischen Darbietungen, lediglich unterbrochen von regelmäßig immer gleichen Verlesungen des Militär-Komitees zur Lage der Nation. [Grundtenor: „Wir sind hier, um euch (das Volk) zu befreien vom unfähigen Regime des abgesetzten Präsidenten, alles ist unter Kontrolle, geht trotzdem nicht zur Arbeit, sondern bleibt zu Hause bis Dienstag morgen 7:30“]. Die offensichtlich improvisierte Sendetechnik bringt eine bizarre Mischung aus Militärmacht-Gebaren und unfreiwilliger Komik hervor. Eine viel zu große Gruppe Uniformierter sprengt bei der Verlesung den Bildaufbau und groteske Insert-Schnitte zeigen in Großaufnahme aus Versehen Militärs beim Gähnen. Doch es überwiegt: Unbehagen; die Lage ist prekär und keiner weiß, was kommt. Beklemmung macht sich breit. Auch in unserem Haus. Die nächsten Tage sind umhüllt von lähmender Ungewissheit. Die Nachrichtenlage ist diffus und nachts wird weiterhin geschossen. Es gibt kein Benzin mehr. Das Internet wird zur Lebensader, Information zum begehrten Gut. Botschaften werden konsultiert, Personalien auf der Krisenliste registriert, aktuelle Reisewarnungen studiert, Ausflugmöglichkeiten diskutiert, doch die bittere Einsicht bleibt: Wir kommen hier nicht raus.

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Amadou und Moustapha 27. März 2012. Der erste Tag, an dem die Ausgangssperre angeblich aufgehoben ist. Ich will raus und fotografieren. Wir gehen in Bars und Clubs und mit mir kommt Moustapha, einer der zwei Söhne des Griots. Ein junger Kerl, mit ihm noch seine Freundin und ein Freund. Wir ziehen durch die Clubs, doch Bamako ist tot. Keiner traut sich raus, die Stimmung bleibt gedrückt. Enttäuschung. Rückfahrt gegen Mitternacht. Straßenkontrolle an einem Checkpoint der Putschisten. Sie wollen das Auto durchsuchen. Moustapha, ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen, steigt aus und riskiert eine dicke Lippe. Es kommt zum Handgemenge. Er wird umgehend abgeführt, ich sehe noch, wie er auf einem Motorrad mit zwei bewaffneten Soldaten vor und hinter sich abtransportiert wird. Seine Freundin reagiert mit Hysterie, läuft schreiend umher und ist dann plötzlich weg. Mir gelingt es, meine Kamera unter dem Vordersitz zu verstecken, bevor ein Militär an die Scheibe herantritt, um mir zu sagen, dass der Wagen nun konfisziert sei.
Ich sitze in diesem Moment alleine darin. Das nächtliche Bamako verfinstert sich jetzt zu etwas, was den Schauplätzen in den Weltuntergangsfilmen etwas ähnlich kommt. Verrottete Architektur, schummeriges Licht, überall liegt Müll und die Szenerie wirkt bedrohlich, denn keiner weiß genau, welchem Herren diese Männer dienen. Eine Weile vergeht, Mücken umschwirren meinen Kopf und plötzlich klingelt ein Telefon. Der Fahrer des Wagens taucht damit auf, und dem Gespräch entnehme ich, dass Moustapha soeben wieder freigelassen wurde. Man könne ihn abholen. Später berichtet er, er habe den Männern dort erklärt, wessen Sohn er sei. Das hilft eben.

29. März 2012. Tag der Abreise. Ich bin der einzige von uns, der ein bestätigtes Rückflugticket für zufälligerweise diesen Tag hat, wenn auch der Abflug um zehn Stunden verschoben wird. Es ist der erste Tag, an dem der Flughafen wieder geöffnet ist und Hunderte von Passagieren, die seit dem Putsch hier festsitzen, wollen das Land verlassen. Die Fluggesellschaften schicken größere Maschinen, aber die zusätzlichen Plätze kommen nicht in den Verkauf, sondern werden nur über Warteliste vergeben. Kurz vor der Einfahrt in das Flughafengelände überholt uns ein Fahrzeugkonvoi mit einem Dutzend gepanzerter Limousinen und Pick-Ups mit schweren MGs. Später im Transitraum des Flughafens beobachte ich auf dem Rollfeld einen kleinen Passagierjet der nigerianischen Luftwaffe. Er kommt zum Stehen, ein einzelner Militär steigt mit einem Dossier in der Hand aus und wenige Minuten danach wieder ein. Der Jet fliegt wieder ab.
Zu genau diesem Zeitpunkt befinden sich mehrere Präsidenten aus der Region in einem Flugzeug im Landeanflug, als sie aus Sicherheitsgründen über dem Luftraum von Bamako abdrehen und in die Elfenbeinküste zurückfliegen. Die Delegation wollte wegen eines Vermittlungsversuchs der ECOWAS Gespräche mit dem Putschistenführer Amadou Sanogo führen. Am darauffolgenden Tag stellen Malis Nachbarstaaten den Putschisten ein Ultimatum, das die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung binnen 72 Stunden verlangt, d.h. am Montag, den 2. April 2012, abläuft. Es ist zu erwarten, dass nach erfolglosem Verstreichen dieses Ultimatums die Grenzen erneut geschlossen werden. Beim Zwischenstopp in Paris erreicht mich auf der Rückreise eine E-Mail der Deutschen Botschaft in Bamako, die allen noch in Mali befindlichen Landsleuten dringend rät, die zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden kommerziellen Möglichkeiten zur Ausreise umgehend zu nutzen. Afrika! Update: Die Lage in Mali ist immer noch undurchsichtig, doch die Putschisten haben mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS eine Einigung geschlossen, dass ihnen Amnestie gewährt wird. Zumindest ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Rückkehr zur verfassunsgemäßen Ordnung in Mali.

Fotos & Text: Jens Schwarz