Unterwegs mit Belgrads Pro-Genozid-Brigaden

Vor kurzem hat die serbische Polizei Europas meist gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher

Ratko Mladic in einem Gutshaus aufgespürt. In seiner Zeit als Befehlshaber in der bosnisch-serbischen Armee, soll Mladic für den Tod von 20.000 Muslimen und Bürger Sarajevos verantwortlich gewesen sein. Für viele Serben jedoch ist er kein Kriegsverbrecher, sondern ein Kriegsheld und jede Andeutung, er könnte ersteres sein, wird als westliche Propaganda abgetan. Ihr könnt euch also vorstellen, wie sauer sie bereits vor drei Jahren waren, als Maldics Chef Radovan Karadzic, früherer Präsident der Serbischen Republik, festgenommen wurde.

2008 waren die Serben noch nicht daran gewöhnt, dass ihr entthronter Führer aussieht wie Dr. Noel Sharkey nach ein paar Zügen aus Pete Dohertys Crackpfeife. In ihrer Vorstellung hat Karadzic immer noch mehr Haare und mehr Autorität als Mladic, es ist also verständlich, warum Frauen wie diese neben serbischen Hardcore-Nationalisten und rechten Fußballhooligans Krieg gegen die drei Grundsäulen des UN-geführten westlichen Imperialismus führen: Polizisten, Touristen und McDonald‘s verhassten FishMac.

Der Typ in der Mitte ist Radovans Bruder Luka Karadzic. Er ist jeden Tag auf die Straße gegangen, um gegen die ungerechte Verurteilung eines Genozid-erprobten Kriegsverbrecher zu demonstreiren, der die größte, einzelne Greueltat seit dem zweiten Weltkrieg verantwortlich war. Links von ihm steht Mladen Obradovic, Anführer von Obraz, einer nationalistischen Vereinigung, die daran glaubt, dass alle „Zionisten, Demokraten, Schwule, Muslime, Kroaten und Verbrecher Feinde von Serbien sind". Sie lassen die EDL aussehen wie Kindergartenrüpel und haben das Talent, Polizisten bei Fußballspielen mit Leuchtraketen anzugreifen.

Bevor ihr jetzt „Nazi!“ schreit, weil der merkwürdige Drei-Finger-Gruß an einen Hitlergruß erinnert, solltet ihr wissen, dass diese Typen Nazis hassen und ihre Helden Tito und seine Partisanen sind, die gegen Hitler gekämpft haben. Den Drei-Finger-Gruß nutzen serbische Nationalisten und er bezieht sich auf die Dreiheiligkeit und darauf, dass sich Serben bei einer Begrüßung dreimal gegenseitig küssen. Das süßeste nationalistische Symbol EVER!

Es sieht so aus, als sei die Mode von Fußballhooligans in ganz Europa gleich. Diese Typen sind an der Seite der Demo mitmarschiert und haben jeden ausländischen Fotografen, der zu nah an reinrassige Serben gekommen ist, belästigt.

Die Polizeipräsenz hatte apokalyptische Ausmaße und das aus gutem Grund. Ein Jahr zuvor hatten nationalistische Gruppen eine Woche lang randaliert, die US-Botschaft angezündet und jeden Laden, der irgendwas Westliches verkauft, verwüstet, weil der Kosovo seine Unabhängigkeit deklariert hatte.

Die ersten Proteste gingen recht glimpflich aus, aber da ich neugierig und naiv bin, habe ich mich dazu entschlossen, den Rest der Woche auch noch mit dabei zu sein. Am Mittwoch hat mir der Typ oben, der serbische Abgeordnete Ongzjen Mihailivic, eine Tour durch die Proteste gegeben und mich mit Leute bekannt gemacht, mit denen er im Bosnienkrieg gekämpft hat und die mich mit Genozid-Souvenirs traktiert haben. Er erklärte, dass Karadzic und Mladic beide große und unschuldige Anführer gewesen sind,  bevor er eine eloquente Hassrede auf den Westen hielt, während er eine Jacke des erfolgreichsten Basketballteams der amerikanischen Geschichte trug.

Dieser Kerl hat bestätigt, dass die Popkultur des Ostblocks ungefähr 40 Jahre hinterherhinkt, indem er allen, die es hören wollten erzählte, dass die Abschlachtun von Zehntausenden Unschuldiger „total groovy“ war.

Die Demonstrierenden wurden auf ihrer Route von einem Jungen in paramilitärischer Uniform angeführt, der Lieder sang, in denen es darum ging, dass der Kosovo immer noch zu Serbien gehört und sich der pro-westliche Präsident Boris Tadic umbringen soll, wenn sie an seinem Haus entlang gehen. Ich würde gerne wissen, ob er noch die Pokemon-Karten hat, die ich ihm gegeben habe.

Fragt ihr euch, warum dieses Foto unscharf ist und alle auf mich zu rennen? Das passiert, wenn ein Karadzic-Anhänger mit einer Pistole auf einen Polizisten vor dem Regierungssitz zielt und die Polizisten Schlagstöcke und Blendgranaten rausholen.

Nachdem ich meinen ersten Schlagstockangriff überlebt hatte, hat mir Ongjzen geraten, ich soll unbedingt am Sonntag mit dabei sein, wenn aus  ganzen  Ex-Jugoslawien Anhänger von Karadzic kommen und eine Kundgebung abhalten. Mit einem Funkeln in seinen Augen versicherte er mir, dass es dabei Ärger geben würde. Das wollte ich natürlich nicht verpassen und blieb noch einen Tag und sah zu, als sich 30.000 Leute im Zentrum Belgrads betranken und Reden von TV-Größen, Mitgliedern von Karadzics Familie und transsexuellen Popsängern zuhörten.

Die Demo war eingekreist von Polizisten, die mich alle Mitleid erregend anschauten, als wüssten sie, was da kommen sollte. Ich fragte mich, ob Ongjzens Vorhersage wahr werden und sinnlose Gewalt herrschen würde.

Es sollte.

Nachdem alle Reden gehalten waren, wurde den betrunkenen und verärgerten Nationalisten langweilig und sie suchten sich eine neue Aufgabe. Wie in Braveheart griffen sie oberkörperfrei die Polizisten an, und ich war mittendrin. Ich wurde geschlagen, weil ich Engländer bin und die Randalierer schmissen Gehwegplatten und Molotowcocktails, worauf die Polizei mit Tränengas antworte, mit literweise Tränengas. Studenten: Wenn ihr euch jemals wieder über Polizeiübergriffe und das Verhalten der Bullen bei Demos in diesem Land beschwert, geht für eine Woche nach Serbien und vielleicht lernt ihr ja dann unsere Polizisten als die großen, flauschigen Pudel, die sie nun einmal sind, kennen und lieben.

Die Ausschreitungen dauerten ca. 45 Minuten. Die meisten Randalierer wurden schnell verprügelt, mit Gummigeschossen bombadiert und in Tränengas gebadet, so dass sie eine riesige Menge Trümmer und provisorischer Waffen hinterließen.

Nach einer Woche durchgehender Protest, Gewaltausbrüche und nationalistischer Leidenschaft, wurde Karadzic endlich ausgeliefert. Er hinterließ viele junge Männer, die auf die nächste Möglichkeit warteten, gegen die Polizei zu kämpfen. Bis jetzt sieht es so aus, als hätten die serbische Regierung ihre Lektion aus den Aufständen von 2008 gelernt und die Auslieferung von Mladic sollte ohne weiter Störung ablaufen.

Disclaimer: Diese Fotos repräsentieren in keinster Weise die Mehrheit der Serben, die mich mit Alkohol, Schokolade und guter Stimmung anstatt Pro-Genozid-Propaganda und Schlägen in die Fresse versorgt haben.

UPDATE: Obwohl die Polizei mit mehr Demonstranten gerechnet hat, ist es am Tag vor der Überstellung von Mladic zu schweren Ausschreitungen und Straßenschlachten zwischen serbischen Nationalisten und der Polizei gekommen.

Fotos und Text: HENRY LANGSTON