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Warum mich als Nerd die Berichte zur Fantasy Basel nerven

Manche versuchen, Nerds zu sein und scheitern dabei kläglich. Andere zeigen, wie überheblich sie mit scheinbaren Minderheiten umgehen.

Screenshot von YouTube

Aus purem Eigeninteresse zog es mich letztes Wochenende an die Fantasy Basel. Obwohl ich seit meinem fünften Lebensjahr den Spiele-, Comic-, Anime- und Filmwelten verfallen bin, habe ich es bis heute an keine Comic-Con oder eine ähnliche Messe meiner Lieblingsgenres geschafft. Nicht, dass sie mich nicht interessieren würden, es hat sich einfach nie ergeben. Auf meiner ewigen "Bucket List" stehen deshalb bis heute noch die legendäre E3 in Los Angeles und natürlich die gamescom in Köln, die prestigemässig die E3 mittlerweile überholt hat.

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Gleich in der ersten Halle der Fantasy Basel kam mein Gesichtsausdruck dementsprechend einem pulsierenden Herz-Emoji nahe, das Grinsen klebte in meinem Gesicht und war angesichts der paradiesischen Möglichkeiten nicht mehr wegzubekommen: Soll ich anstehen, um selbst gegen einen E-Sports-Profi anzutreten? Oder doch den Profis beim Zocken mit Live-Kommentar zuschauen? Oder das Oculus-Virtual Reality-Headset ausprobieren? Ich entschied mich für Letzteres. Schliesslich wollte ich wissen, ob meine PlayStation VR-Vorbestellung die richtige Wahl gewesen war—das war sie anscheinend nicht.

Die ersten Sekunden meines ersten Mals mit einem VR-Headset waren atemberaubend und genau so, wie ich sie mir erhofft hatte—leider wirklich nur die ersten Sekunden. Danach wurde mir ziemlich übel. Ich hatte zwar von der "Virtual reality sickness" gehört aber nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie mich treffen könnte. Drei Minuten später war es dann auch vorbei für mich, mehr konnte ich nicht ertragen.

Als ich mit der Begeisterung eines Kleinkindes weiter über das Gelände der Fantasy Basel zog, hatte ich keinerlei Absichten auch nur ein Wort über meinen Besuch zu schreiben. Ich war vollkommen privat da und das war gut so. Für Leute wie mich, die sich mit dem massgeschneiderten Inhalt dieser Messe identifizieren und auseinandersetzen können, kam dieser Ort einer Märchenwelt gleich. Immer wieder hörte ich den Satz: "Fuck, wir sind einfach zehn Jahre zu früh auf die Welt gekommen." Vor einer Dekade wäre ein solcher Anlass in der Schweiz undenkbar gewesen. Meine Generation musste sich noch mit schlecht organisierten LAN-Partys und ISDN-Modems zufriedengeben. Ich hätte damals alles für eine solche Comic-Con in der Schweiz gegeben.

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Foto von Sascha Britsko

Erst am Montag—als ich entspannt zur Arbeit kam und mich mit dem ersten Kaffee der Woche durchs Internet klickte—nahm ich die breite Berichterstattung über die Fantasy Basel genauer in Augenschein. Je mehr Artikel und Videos ich zu Gesicht bekam, desto genervter war ich. Schnell wurde mir klar, dass ein Grossteil der Journalisten total ahnungslos ist. Das Gros der erschienen Artikel hatte etwa folgenden Inhalt: "Da treffen sich ein paar verkleidete Nerds und starren gemeinsam auf Bildschirme. Und schau: Brüste, in Verkleidung!"

Dass der moderne Nerd den eigenen Klischees entwachsen ist und dies einen solchen Anlass erst möglich macht, scheint niemanden zu interessieren. Das Klischee-Pferd der Kellerkinder und 40-jährigen Jungfrauen wurde fröhlich zu Tode geritten. Das Ganze war etwa so, wie wenn beim Autosalon Genf nur darüber berichtet würde, wie heiss die Hostessen sind und die Autos mit keinem Wort erwähnt würden.

Ob es sich um ein MOBA oder einen Shooter handelt, können bereits die wenigsten unterscheiden. Ob dann Dota 2 (ftw!) oder LoL gespielt wird, wer da gerade zockt und wieso, bringt die meisten anwesenden Journalisten bereits zur Verzweiflung—Dota 2 und LoL gehören schliesslich nur zu den meistgespielten Games der Welt. Doch in der Schweiz findet ein Grossevent statt und ein Grossevent bedeutet Klicks und Klicks sind das Futter der Medien, also muss darüber berichtet werden—auch wenn die meisten schreibenden Besucher vom Thema keine Ahnung haben. Da liegt es auch nahe, einfach eine Fotostrecke von Cosplayerinnen zu zeigen, in der man(n) hauptsächlich Brüste sieht, und einen kurzen Text darunterzustellen, der im Cosplay-Kontext weniger Sinn macht als eine Call of Duty-Kampagne.

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Foto von Sascha Britsko

Dabei bemerken die Autoren dieser Artikel offenbar nicht, wie ahnungslos sie sind. Da stellt sich die Frage, wieso sie überhaupt über die Fantasy Basel berichten. Schliesslich hat auch nicht jeder das Zeug zum Sportjournalisten, der ab und an bei der WM ein Fussballspiel schaut. Und ich bekomme keine Musiksendung beim SRF, nur weil ich auf dem Weg zur Arbeit manchmal meine Kopfhörer auf den Ohren habe. Die ehrlichen Titel der Artikel würden sich aber wahrscheinlich weniger gut vermarkten lassen: "Gamer gamen irgendwelche Games und verkleiden sich (glauben wir zumindest, wir sind uns nicht sicher) als Game-Figuren an der Fantasy Basel. Wir haben keine Ahnung—hier seht ihr Brüste."

Die Kommentarfelder der entsprechenden Artikel sind voll von echten Enthusiasten, die sich über die Unwissenheit beschweren. Hier einige kleine Beispiele am Rande: Die Videospielindustrie hat laut der Süddeutschen Zeitungmit einem weltweiten Umsatz von 87 Milliarden Dollar die Filmindustrie überholt. 42 Prozent der deutschen Bevölkerung spielen regelmässig Computerspiele und die Gaming-Branche macht im Nachbarland sogar mehr Umsatz als die Bundesliga. Doch diese Fakten scheinen unsere Medienlandschaft nicht zu interessieren. Sie stilisiert Nerds lieber zu einer Minderheit, die sie schon lange nicht mehr sind. Und so tummelten sich an der diesjährigen Fantasy Basel laut Veranstaltern über 30.000 Besucher.

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Screenshots von YouTube

Zu guter Letzt kommt noch die traurige Gattung jener, die meinen, sich über Nerds lustig machen zu müssen. Was sonst soll man mit einer Sache tun, die man nicht versteht? Diese Menschen versuchen, sich mit dem Konzept Schulhof-Tyrann mit klischeebeladenen Scherzen zu etablieren. "Hände hoch, wer schon einmal Sex hatte!", schreit beispielsweise ein Berichtender in eine LoL-Zuschauergruppe, während er sich dabei für einen Bericht filmen lässt. Die Möchtegern-Cool-Kids von früher, haben wohl den Zug verpasst und anscheinend hat es ihnen niemand gesagt. Sich über Nerds lustig zu machen, entspricht dem Zeitgeist so sehr, wie sich jetzt noch eine Wii U zu kaufen (wir hoffen alle, dass es Nintendo mit der NX wieder hinkriegt). Und selbst, wenn man Nerds als Minderheit ansieht, zeugt dieses überhebliche Verhalten lediglich von Ignoranz und der Unfähigkeit, Fremdem auf Augenhöhe zu begegnen.

Was ist also die Messe mit dem langen Namen "Fantasy Basel: The Swiss Comic-Con"? Ein Treffpunkt für Gleichgesinnte. Die Nerds und Geeks des Landes vereinen sich und feiern die gemeinsame Leidenschaft. Man ist unter sich, unter Leuten, die sich gegenseitig verstehen und nicht übereinander urteilen. Ob Dota 2-, LoL-, CS:GO-, Death Note-, Magic-, Sailor Moon-, Fullmetal Alchemist-, Marvel-, DC-, Retro-, Dragonball- oder einfach Cosplay-Liebhaber—wir gehören alle zur selben Familie. Wir, die Nerds.

Ich zocke jetzt noch eine Runde Overwatch-Beta, gehe danach über zu Uncharted 4 (endlich!) und gönne mir am Abend vielleicht noch eine Folge von Cowboy Bebop. Natürlich werde ich dabei meinen neu erworbenen Star Wars-Retro-Pulli tragen und genüsslich aus meiner neuen Batman-Tasse trinken, die eigentlich viel zu teuer war, um sich auch nur einen Schluck daraus zu genehmigen, während ich beim Zocken von Dark Souls 3 zum hundertsten Mal sterbe. Nerd out.

Ivan auf Twitter: @iiivanmarkovic
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