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A Piece of Passion

Ein Surfladen in Zürich – 481 Kilometer entfernt vom nächsten Meer

Surfen ist nicht nur Wassersport, es ist Mentalität, ja sogar Teil des kulturellen Erbes. Jeder Tag auf dem Meer ist anders, jede Welle ist anders. Roman Hartmann importiert dieses Lebensgefühl in die Limmatstadt. Sein "Surfari" war der erste Surfshop...
Alle Fotos von Luke Robinson

Die Geschichten aus der Serie 'A Piece Of Passion' werden dir präsentiert von Sinalco Passionsfrucht

"Die perfekte Welle gibt es nicht", sagt Roman Hartmann und lässt den ersten Kaffee aus der Maschine. "Jede Welle ist neu und verschieden, mit Perfektion hat dies nichts zu tun", findet er. Hartmann ist mit Leib und Seele Surfer. Auch 20 Jahre nach seinem ersten Surfgang verbringt er mindestens drei Monate im Jahr im Wasser. Er will zeigen, dass man auch hier anders leben kann und es möglich ist, einen freien Lebensstil fernab von Geld und Karriere zu führen. "Surfari" an der Ecke Bäcker-/St. Jakobstrasse vermittelt Feriengefühl: "Oft kommen Touristen aus Australien oder Kalifornien bei uns vorbei, um sich für ein paar Momente wie zu Hause zu fühlen." Der Surfshop könnte irgendwo auf der Welt sein, am Meer in Frankreich oder auf Barbados.

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Die Einrichtung ist eher sportlich und funktionell als hip und cool. "Ich habe Mühe damit, wenn es nur noch um Style und nicht mehr um die Sache geht", sagt der studierte Sportlehrer. Dasselbe gilt für das Sortiment: "Wir verkaufen keine "Pyzel"-Bretter aus Hawaii, nur weil John John Florence, aktuell bester Surfer der Welt, darauf fährt", sagt Hartmann. "Kaum einer in der Schweiz ist jemals so ein Brett gefahren, und trotzdem kriegen wir immer wieder Anfragen dafür." Funktionalität überwiegt hier ganz klar die Coolness. Hartmann zeigt auf ein Brett mit schwarzen Rails: Das "Hypto Krypto" von Haydenshape geht ebenfalls in die Richtung. Surf-Star Craig Anderson fährt es in seinen Filmen. Es gibt Leute, die bestellen sich dieses Brett übers Telefon, sind es aber noch nie gefahren. Ich erspare mir hier den Kommentar."

Alle Fotos von VICE Media

"Surfari" arbeitet mit "Semente", einem lokal Shaper aus Portugal: "Nick Uricchio ist 60 Jahre alt und produziert seit 40 Jahren Surfbretter. Er ist weltweit einer der Besten, trotzdem kostet ein Brett nicht mehr als Fr. 650.00", erzählt Hartmann. "Ich kriege dort das bestmögliche Brett, es gibt für mich keinen Grund, ein Anders zu fahren. Nick schaut uns beim Surfen zu und fertigt die Bretter für unsere Bedürfnisse". Für Hartmann sind Surfboards Funktionsgegenstände und keine Accessoires: "Kaum ein Schweizer surft wirklich gut, deshalb brauchen wir auch ganz andere Bretter als Kalifornier oder Balinesen".

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Das Surffieber packt Roman Hartmann mit ungefähr 18 Jahren. Sein älterer Bruder kommt damals von einem Austauschjahr in Kalifornien zurück und erzählt ihm von diesem Sport: "Früher gab es keine Surf-Magazine oder Videos im Netz, das musste man mit eigenen Augen sehen." Die beiden Brüder machen sich auf nach Biarritz an die kalte Atlantikküste. "Die Wellen waren vielleicht 4 Meter hoch, ich war sofort süchtig. Ich wusste schlicht nicht, dass es so etwas gibt." Kurze Zeit später organisieren sie erste Surfcamps in Frankreich.

"Ein Kreuzbandriss zwang mich zu einer dreimonatigen Pause als Sportlehrer an der Oberstufe", erzählt Hartmann. Er fragt sich, ob er aus seinem abgebrochen Informatikstudium genügend Kenntnisse hat, um einen Webshop zu programmieren: "Ich musste mich irgendwie beschäftigen und schaffte es tatsächlich, einen funktionierenden Shop zu bauen. Als es darum ging, Produkte einzufüllen, war mir der Surfsport am nächsten. Ich habe das alles nicht geplant, geschweige denn eine Strategie gehabt." Der Webshop lief immer besser, schnell verkauft er schweizweit am meisten Neopren. Den Job als Sportlehrer gibt er auf und widmet sein Leben ab sofort ganz dem Surfen.

Surfen ist kein Hobby, es ist ein Lebensgefühl. Author Jim Heimann sagt: "Surfen ist ein komplexer und einzigartiger Sport. Es kann unwägbar und todbringend sein, harmlos und stürmisch, ekstatisch und befriedigend. Es gibt in der Welt des Sports nichts Vergleichbares." Hartmann stimmt dem zu: "Es gibt keinen Sport, den ich nicht ausprobiert habe. Badminton lernte ich nach 10 Minuten, beim Snowboarden dauerte es eine Abfahrt lang. Beim Surfen war das anders, das ging nicht so leicht. Das beeindruckte mich. Es ist super anstrengend, die Belohnung aber umso grösser." Seit Hartmann Wellen reitet, sind für ihn andere Sportarten langweilig: "Surfen hat vieles kaputt gemacht, beim Snowboarden auf der Piste langweile ich mich nach 25 Metern".

Dass Surfen so etwas wie Ekstase auslösen kann, kennt Hartmann. Mit glänzenden Augen erzählt er von zwei Freunden, welche ihn im Surfcamp in Frankreich besucht haben: "Während der ganzen Woche waren die Wellen nicht gut", erzählt er. "Am Tag ihrer Abreise herrschten perfekte Bedingungen, deshalb paddelten sie nochmal raus, beide nebeneinander, der eine vielleicht fünf Meter weiter vorne. Dieser erwischt die Welle und fährt bis ganz zum Strand. Er lag nur noch überglücklich im Sand und konnte sein Gefühl kaum ausdrücken", erzählt Hartmann. "Daraufhin fährt er zurück in die Schweiz, kündet seinen Job, geht ein Jahr auf Weltreise und heiratet auf Hawaii, der andere, welchen es verspült hat, bleibt Sportlehrer in der Schweiz". Surf-Romantik par excellence.

Der Surfsport in Schweiz hat im internationalen Vergleich eine recht geringe Anhängerzahl, schliesslich ist die nächste Welle auch genug weit. Man fragt sich also, von was ein Laden in Zürich lebt, der Surfbretter und Zubehör verkauft. "Wir zahlen uns nicht unendlich hohe Löhne aus. Ausserdem reissen wir einmal im Jahr ein neues Projekt an. Vorletztes Jahr haben wir den Roxy Laden am Stauffacher übernommen, letztes Jahr waren wir auf der Gigawellen-Tour, jetzt haben wir gerade surfguide.com gelauncht". Die Online-Plattform entstand aus der Idee, dass fast jeder, der in den Laden kommt, von einem interessanten Surf-Spot erzählen kann. Die Website ist ein interaktiver Trip-Planer, welcher den Surfern weltweit helfen soll, ihre Traumdestination zu finden. Anhand verschiedener Filter lassen sich die individuellen Bedürfnisse abdecken. "Ich war erstaunt, dass es da nicht schon längst gibt", sagt Hartmann.

Menschen haben das Bedürfnis nach dem Ungewohnten und der Ferne. Hartmann verbringt seit 20 Jahren seine Ferien ausschliesslich am Meer: "Ich denke nicht, dass ich egoistisch bin. Ich ordne dem Surfen einfach sehr vieles unter". Seine Freundin muss zwangsläufig auch surfen: "Durch das Surfen kommt man viel rum. Ich weiss, dass ich irgendwann eine Städtereise nach Stockholm oder Florenz machen will, aber einfach nicht jetzt, das muss warten. Irgendwann kann ich vielleicht nicht mehr surfen".