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Die Verantwortlichen der „Teddybär-Affäre“

Wir haben Tomas Mazetti interviewt, der einen kleinen internationalen Zwischenfall auslöste, als er letzten Monat Hunderte Teddybären über Weißrussland abgeworfen hat.

Studio Total ist eine schwedische Werbeagentur, deren Mitarbeiter im Juli mit einem Flugzeug illegal über Weißrussland hinwegflogen und Hunderte von Teddybären abwarfen, womit sie ihrer Forderung nach Redefreiheit in Europas letzter Diktatur Ausdruck verliehen. Als Reaktion darauf wurden u.a. die schwedische Botschaft in Weißrussland geschlossen und die weißrussische in Schweden, weswegen wiederum alle weißrussischen Botschaftern von den EU-Ländern förmlich einbestellt wurde. Mittlerweile sind auch Tomas, Hannah und eine Kollege von ihnen vom weißrussischen Sicherheitsdienst vorgeladen wurden. Sollte sie nicht erscheinen, droht ihnen in Weißrussland Gefängnis.
Das Land wird von Alexander Lukaschenko kontrolliert, einem Diktator, der schon seit fast zwei Jahrzehnten erfolgreich die Opposition wegsperrt und jeglichen Protest und Widerstand zerschlägt. Im vergangenen Jahr schien es, als ob sich endlich ein breiter Volkswiderstand bilden würde, als die in der Regel sanftmütigen Weißrussen eine Reihe wöchentlicher Proteste begannen—inspiriert von den Unruhen, die Lukaschenkos Wiederwahl im Jahr 2010 folgten. Aber schnell schlug die schwere Hand Lukas die wöchentlichen Proteste nieder—wie wir im letzten Jahr durch einen unserer Kontakte herausfanden, der dort eine Woche im Knast verbrachte.
Es ist klar, dass Studio Totals Aktion Lukaschenko ein bisschen ausflippen ließ. Er entließ zwei Generäle, sperrte jeden ein, der dabei erwischt wurde, wie er Aufnahmen von den Bären machte, und er schloss sogar die schwedische Botschaft—was ziemlich durchgeknallt ist. Diese Strenge ist vergleichbar mit der grausamen Behandlung von Pussy Riot in Russland und vielleicht zeigen diese beiden paranoiden Beispiele eine echte Angst vor einer wachsenden osteuropäischen Avantgarde. In Russland sind natürlich Gruppen wie Voina, bereits lange bevor Pussy Riot eine 30-Sekunden-Show in einer Moskauer Kirche spielten, dazu gebracht worden, im eigenen Land in den Untergrund zu fliehen. Derweil wurde in Weißrussland das Weißrussische Freie Theater aus dem Land gemobbt.
Ich rief Thomas von Studio Total an, weil mir das Konzept der Amateur-Luftfahrt über einer unberechenbaren Diktatur das Blut in den Adern gefrieren lässt.

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VICE: Hey, wie geht‘s?
Tomas Mazetti: Nun, ich bin ein bisschen verwirrt, aber das ist eh mein Normalzustand.

Ich verstehe. Das Wichtigste zuerst: Was inspirierte euch, politisch in Weißrussland aktiv zu werden?
Zunächst einmal haben wir uns an politischen Debatten aller Art beteiligt—das ist, was wir tun. Im Grunde haben wir Menschen aus Weißrussland getroffen, die uns von der Situation erzählten, und das war es.

Wie bist du darauf gekommen, dass der beste Weg, dich an das Problem anzunähern, sein würde, Teddybären aus einem Flugzeug zu schmeißen?
Es gibt eine Organisation und Protestbewegung namens „Tell the Truth“ und die Anhänger wurden schon unzählige Male dafür festgenommen, dass sie in Weißrussland demonstrierten. Schließlich beschlossen sie, Kinderspielzeug zu benutzen, also nahmen sie all diese Bären und begannen, auf dem Oktoberplatz [der Hauptplatz in Minsk] zu demonstrieren. So ist der Teddybär ein wirklich populäres Symbol in der jungen Opposition des Untergrunds geworden.
Eines Nachts waren wir betrunken draußen unterwegs und hörten davon und sagten, wir sollten etwas Ähnliches tun. Der ursprüngliche Plan war eigentlich, den Abwurf über Lukaschenkos Palast zu machen, aber wir sind nie so weit gekommen.

Der Oktoberplatz-Protest von Tell The Truth

Woher habt ihr das Flugzeug bekommen? Ihr seid illegal über Weißrusslands Luftraum geflogen. Wie habt ihr jemanden gefunden, der sich bereit erklärt hat, das zu fliegen?
Wir haben es gekauft.

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Ihr habt es gekauft?
Ja, und dann haben wir fliegen gelernt.

Wirklich?
Yeah.

Also hast du es gesteuert?
Yeah.

Fuck, ich hätte jetzt gern einen Luftfahrtexperten dabei, um da etwas mehr nachzuhaken. OK, also, wie war es, als du ins Flugzeug gestiegen bist?
Hahah. Nun … ich weiß es nicht, es war zunächst einmal wirklich früh; wie wenn es fünf Uhr morgens ist und du nur drei Stunden geschlafen hast. Man ist irgendwie verwirrt und macht es dann einfach. Und dann, wenn du im Flugzeug bist, bist du irgendwie auf … Autopilot.

Also, wer war im Flugzeug?
Ich und Hannah [Frey, ein Kollegin von Studio Total].

OK, und wie lange dauerte der Flug?
Ähm. [Fragt Hannah, die, glaube ich, mit ihm im Auto ist] Wie lange dauerte der Flug? Vielleicht zwei Stunden? Wir waren vielleicht eine Stunde und 20 Minuten über Weißrussland? Aber ich weiß es nicht, es gab ein riesiges Gewitter.

Oh, perfekt. Wart ihr, sobald ihr in weißrussischem Luftraum wart, besorgt, dass Lukaschenko versuchen könnte, euch abzuschießen? Ist das eine dumme Frage? Es klingt wie etwas, das Menschen tun.
Äh, ja, aber das wäre der einfache Weg aus der Sache raus gewesen. Ich denke, wir hatten mehr Angst davor, dass das Benzin zur Neige geht und wir dort landen müssen und, ich weiß nicht, uns durch den Wald schlagen müssen und für Jahre ins Gefängnis kommen.

Ja, das wäre scheiße gewesen. Was denkst du, wie es von den Weißrussen aufgenommen wurde?
Weißrussen lieben die Aktion, soweit ich weiß. Aber die Leute in der Armee lieben sie nicht so sehr.

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Nein, ich habe gelesen, dass Menschen verhaftet wurden, weil sie die Bären fotografiert haben.
Ja, genau. Es gibt mindestens drei Menschen, die dafür bestraft wurden, dass sie darüber geschrieben hatten. Jeden Tag werden Journalisten in Weißrussland verhaftet. Darum geht es doch.

Fühlst du dich verantwortlich für die Menschen, die unter Lukaschenko hinter Schloss und Riegel gebracht worden sind?
Nein, das tue ich nicht. Aber es macht mich traurig; es ist verdammt schrecklich. Sie sind Helden, weil sie darüber berichtet haben. Eine Person schreibt über uns und kommt ins Gefängnis und dann schreiben zwei Leute über die Journalistin, die ins Gefängnis kam, und kommen selbst ins Gefängnis und jetzt schreiben wieder Leute darüber … Es ist ein seltsamer Kreislauf.

Viele Weißrussen unterstützen Lukaschenko noch.
Ja, er ist auf seine eigene, seltsamen Art und Weise eine beruhigende, stetige Figur. Die Menschen haben oft gedacht, dass er in vielerlei Hinsicht falsch liegt, aber zumindest war das Land stabil.

Es ist besser, als wenn Hitler oder Stalin über einen hinwegmarschieren.
Genau. Oder die russische Mafia oder etwas Anderes. Aber im Moment ist es willkürlich—die Menschen wissen nicht, wie er reagieren wird. Der Typ, der nur ein Bild von einem Teddybär veröffentlicht hat, geht ins Gefängnis? Selbst Lukaschenko-Anhänger glauben, das ist zu seltsam.

Was hast du gedacht, als sie die schwedische Botschaft schlossen?
Ich glaube, er hat überreagiert. Er ist so emotional im Moment. Ich weiß nicht, ob er schon vorher so emotional war, aber das war keine logische Art zu handeln.