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zeichen gegen den terror

Das Absagen von Sportveranstaltungen ist keine Kapitulation vor dem Terrorismus

Bitte liebe Sportfreunde, nicht schmollen, weil das Länderspiel abgesagt worden ist. Niemand kapituliert vor dem IS, es hat nur niemand Lust auf Sterben. Unser Autor hält es mit Tocotronic und fordert „Sag alles ab“.
Foto: imago/Ulmer

Als der "Schwarze September" am 5.9.1972 gegen halb fünf Uhr früh die Unterkunft der israelischen Olympiamannschaft besetzt und dabei den Trainer Weinberg und den Gewichtheber Romano erschießt, ist das ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte des Terrors. Erstmals in Europa schlagen Attentäter bei einem sportlichen Großereignis zu. Kurze Zeit später artet die Geiselnahme bei dem Befreiungsversuch einer völlig unzureichend vorbereiteten Polizeieinheit in ein Massaker am Flughafen in Fürstenfeldbruck aus. Doch seit einigen Jahren ist klar: es gab im Vorfeld deutliche Hinweise auf eine Anschlag. Zum einen die dringende Warnung eines libanesischen Journalisten, zum anderen ein Telex der Dortmunder Polizei, die auf Hinweise eines mit der PLO sympathisierenden Neonazis reagierte und den Verfassungsschutz anschrieb. Das Ergebnis ist bekannt.

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"The games must go on", hat der damalige IOC-Vorsitzende Avery Brundage damals gesagt. "Wir verfügen [..] über die Kraft eines großen Ideals."

Was aber hat dieses ominöse Ideal genau gebracht? Und müssen die Spiele wirklich immer weitergehen. Und wenn ja, warum eigentlich?

Gestern in Hannover ist nichts passiert. Die deutschen Behörden haben laut Spiegel Online einen Hinweis vom französischen Geheimdienst erhalten, dass für das Länderspiel Deutschland-Holland konkrete Anschlagsgefahr besteht und haben das Spiel abgeblasen, analog zur der geplanten Begegnung Belgien-Spanien in Brüssel. Innenminister De de Maizière hat auf die Frage nach den Hintergründen eine Antwort parat, die wie der Begleittext einer Akte-X-Folge klingt. "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern und unser Verhalten in Zukunft erschweren". DFB-Funktionär und Interims-Präsident Rauball spricht gar von einer traurigen "Wende im deutschen Fußball".

Natürlich gibt es jetzt Stimmen, die von "Kapitulation gegenüber dem Terror" sprechen, und wie schon nach der Horrornacht in Paris erhebt sich in den sozialen Medien eine Art merkwürdiger Trotz. Motto: Wir lassen uns den Spaß doch nicht vom IS verderben. Aki Watzke kommentiert den folgenden Bundesliga-Spieltag: "Dass gespielt wird, steht außerhalb jeder Frage. Das wäre eine solche Kapitulation, das würde ja Freudenstürme in Syrien und anderswo auslösen."

Darüber, dass es richtig war, das Spiel abzusagen besteht natürlich kein Zweifel, aber ist das wirklich so bedauerlich? Was zählt denn mehr - ein relativ profanes "Zeichen" (O-Ton DFB) gegen eine Bande Wahnsinniger setzen, die in ihrem Blutrausch garantiert nicht zurückschreckt, nur weil die Deutschen weiter Fußball spielen, oder die unbedingte Sicherheit der Bevölkerung? Was ist eine abgesagte Helge-Schneider-Lesung oder ein vertagter Schlagabtausch zwischen den sportlichen Erbfeinden Holland und Deutschland, wenn eine gesamte Woche unter dem Damoklesschwert der Pariser Vorkommnisse ächzt? Dem IS ist es scheißegal, ob Du zuhause bleibst oder ihm sprichwörtlich ins offene Messer rennst. Irgendwer ist immer da, wo er zuschlägt, das ist ja das Perfide. Dass man das friedliche Zusammensein von Sportfans, Familien und Alltagseskapisten als Anlass für hemmungslosen Mord- und Totschlag nimmt, ist der Skandal, nicht dass unser heiliger Lieblingssport betroffen ist.

Um bei der Terminologie vom "Zeichen gegen den Terror" zu bleiben: Freilich sagt die FIFA jetzt nicht gleich die EM im nächsten Jahr ab, sondern bekräftigt nochmals die Pläne. Gleichzeitig – und das gilt auch für die Bundesliga – mobilisiert man hinter den Kulissen die Sicherheitskräfte und Vorkehrungen. Selbstbewusstsein ist gut, Sicherheit ist viel, viel besser. Jetzt den Kraftmeier markieren bringt Bevölkerung und Fans nichts. Statt bedeutungslose Länderspiele zu schauen kann man sich zudem wesentlich humanistischeres Zeugs wie "Master Of None" auf Netflix anschauen oder ein Buch lesen. Fußball hört ja nicht auf.

Hätte man 1972 in München schon abschätzen können, was für eine blutige Bestie der internationale und nicht an Territorien gebundene Terrorismus ist und hätte man die heutigen polizeilichen Mittel verfügt, man hätte die Spiele zumindest verschieben und damit elf Sportlern das Leben retten können. Auf die Medaillen geschissen, die gehen ja im Gegensatz zu Menschen nicht kaputt. Oder ums mit Helge Schneider zu sagen: "Dann komm ich Donnerstag wieder."

Folgt Berni Mayer auf Twitter: @stburnster