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Sex

Wiedervereinigung auf der Venus

Die Treibjagd geht weiter, doch auch diese Medaille hat zwei Seiten. Diesmal kommen die Damen vor der Kamera zu Wort.

Die Treibjagd geht weiter, doch auch diese Medaille hat zwei Seiten. Wir hatten genug von den gierigen Ärschen, die sich sabbernd auf alles stürzen, das ihnen vor die Linse kommt. Also haben wir einen Blick hinter die Kamera geworfen und dabei mit unglaublich authentischen Frauen gesprochen, die sich fernab vom Klischee des kleinen naiven Mädchens bewegen, das für ein bisschen Rampenlicht die Beine breit macht. Man sollte die Damen auf keinen Fall unterschätzen, vielleicht ist es genau der Job, der sie so abgeklärt und rational werden lässt. Vorgestern habe ich mich ganz gezielt mit ein paar Damen getroffen, um herauszufinden, wie sie zu der Branche und dem ganzen Gehabe stehen. Wir haben darüber sinniert, warum übermäßiges Pornokucken, v.a. In jungen Jahren gefährlich ist und das dabei Idealbilder kreiert werden, die nie mit der Realität mithalten können.

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Missy Rhodes, 21 Jahre

VICE: Hey Missy, was genau machst du hier?

Missy: Ich komme aus Chicago und mache hauptsächlich Fetisch-Pornos, viel Phantom-Videos, mit Strap-Ons und Bondage, sowohl mit Männern, als auch mit Frauen. Ich habe eine eigene Internetseite, auf der ich den Content dann verkaufe.

Das macht dir Spaß?

Mir macht das Riesenspaß, guter Sport.

Wie bist du dazu gekommen?

Ich hab mit Modeln angefangen und irgendwann ging es dann halt mit den Videoproduktionen los. Ziemlich zufällig eigentlich.

Wie findest du die Typen, die offensichtlich nur hier hin kommen, um bestimmte Bereiche eurer Körper in Großaufahme abzufilmen?

Ich kann darüber lachen, aber wir fahren auf Conventions überall auf der Welt und besonders in Deutschland ist mir aufgefallen, dass die Männer einfach nur dastehen, nichts sagen, nicht applaudieren, sondern uns einfach nur anstarren. In den USA beispielsweise ist das Publikum laut, wir werden angefeuert und ihr Spaß steckt uns natürlich an, hier sieht man oft „tote Blicke“, das ist manchmal ziemlich gruselig.

Mich macht das fertig, hast du jetzt Angst vor den Deutschen?

Nein, nein, das ist schon OK. Generell sollte die deutsche Erotikindustrie versuchen, nicht allzuviel aus den USA zu kopieren und Formate nachzuahmen. Die Sexualität ist in jedem Land anders, das sollte man nicht unterschätzen.

Kennst du Sasha Grey?

Ja, ich mag sie wirklich. Sie macht jetzt Kunst-Perfomances und Aktionen über Pornografie und viele andere Sachen.

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Hast du Zukunftspläne, abseits von Porno?

Ich möchte mehr auf die Produzenten-Seite gelangen, und z.b. Fetischpornos auf ein anderes Level bringen. Ich glaube da gibt’s einiges an Potential. Ich möchte es Altersgenossen näher bringen und das Ganze für junge Leute interessanter machen. Über die Website kann ich meinen eigenen Stuff produzieren und bin relativ unabhängig von anderen, das erhält mir eine Menge Freiheiten.

Montag vor 21 Jahren haben sich die beiden deutschen Staaten wiedervereinigt, weißt du darüber Bescheid?

Klar, aber ich bin nicht wirklich an Politik interessiert. Ich bin auch kein Nationalist, in keiner Form. Ich glaube nicht an Kommunismus, genauso wenig wie an Demokratie, es gibt eigentlich keine Regierung auf der Welt, die ich gut finde. Alle bauen denselben Scheiß.

Candy Deen, 27 Jahre

VICE: Was ist dein Job auf der Venus?

Candy: Ich arbeite als Model und mache bei Stripshows mit.

Stripshows mit… ähhh, Accessoires?

Nein, mache ich nicht.

Kein bisschen Porno?

Nein, darauf habe ich keine Lust. Es gibt ja schon genug, die das machen. Ich wurde 2006 von einer Discofirma angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, bei ihnen als Tänzerin zu arbeiten, so ist das ganze los gegangen.

Wie findest du die Typen, die hier hin kommen, um sich an euch aufzugeilen?

Tja, die sind immer und überall zu finden, wo es ein bisschen nacktes Fleisch zu sehen gibt. Ich finde das erstaunlich, weil es mir so vorkommt, als hätten manche noch nie eine nackte Frau gesehen.

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Auch wenn nackte Frauen was Tolles sind, kann man nicht trotzdem respektvoll mit ihnen umgehen?

Du hast vollkommen recht, aber wir nehmen die Leute einfach nicht mehr für voll. Wir machen unseren Job und blenden das einfach aus, klar wir nehmen sie wahr und wie sie sich einen wegsabbern, aber es gibt ja auch viele, die einfach neigierig sind.

Zum Tag der deutschen Einheit warst du sechs Jahre alt. Kannst du dich noch an den Tag erinnern?

Ich komme aus Brandenburg, die Mauer war ja quasi um die Ecke. Grundsätzlich mache ich mir aber nicht viel aus Politik.

So ein Ereignis betrifft doch jeden, wenn der Vorhang nicht gefallen wäre, würdest du wahrscheinlich nicht hier sitzen, oder?

Wahrscheinlich. Ich denke, dann wär mein Leben anders verlaufen, wie, das wäre natürlich reine Spekulation.

Hast du Zukunftspläne?

Na, also ewig Modeln werde ich wohl kaum. Ich hab Kosmetikerin gelernt, obwohl ich nicht in dem Beruf bleiben möchte. Ich versuche, mich neu zu erfinden.

Konkrete Vorstellung?

Nicht direkt. Ich werde höchstwahrscheinlich noch eine zweite Ausbildung ranhängen, um mehr Sicherheiten zu haben.

Das Pornogeschäft ist für dich aber keine Option, oder?

Nein. Ich hab zwar massenweise Angebote bekommen, aber das ist nichts für mich. Lohnen tut es sich heute eh nicht mehr. Im Internet bekommst du alles, in allen Variationen, kostenlos, ich glaube, dass da keine großen Profite mehr zu machen sind.

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Nikki Rider, 31

VICE: Ich hab mir gestern eure Show angekuckt …

Nikki Rider: Ja, das war die „Lesbo-Total“-Nummer, die mache ich mit fünf Freundinnen aus Ungarn zusammen. Ich habe aber auch zwei Solonummern.

Wo hast du dein Tattoo machen lassen?

Das hat ein Ungar gemacht, der kommt zwei mal im Jahr nach Köln und tätowiert, ist aber glaub ich nicht ganz legal … Das andere hat 1000€ gekostet und sieben Stunden gedauert, das hab ich in Nürnberg machen lassen. Ich fahre mit meinem Mann zusammen ab und an nach Ungarn, da kostet es nur 200€ und dauert vielleicht drei Stunden.

Du bist also verheiratet?

Hm, ne, also ich lasse mich gerade scheiden und möchte dann meinen neuen Freund heiraten.

Keine Kinder?

Nein. Ich will das hier nicht machen und nebenbei Kinder groß ziehen.

Du hast lange für eine Produktionsfirma namens Private gearbeitet und Filme gedreht, wie war das?

Ich habe in ungefähr 300 Pornos mitgespielt, da waren aber auch welche für italienische Produktionsfirmen dabei.

Wow!

In dieser Zeit habe ich gutes Geld verdient. Ich konnte sparen, habe mir eine Wohnung gekauft und ein Auto.

Wie sieht deine Situation heute aus?

Es ist nicht so einfach. Früher war ich jünger und hatte keinen Freund, da ging es nur ums Geld. Heute steht die Familie an erster Stelle. Arbeiten mache ich wirklich nur noch für die Kohle.

Haben dein Freund oder deine Familie ein Problem mit deiner Arbeit?

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Mein Freund war früher Stripper und seine Eltern wissen alles über mich, mir ist es aber wichtig, offen zu sein und nicht lügen zu müssen und das erwarte ich auch von den anderen.

Hast du manchmal das Gefühl nur ein Stück Fleisch zu sein und nicht respektiert zu werden?

Hm, ich denke, dass das ziemlich interessant ist. Die Männer kommen z.B. hierher, langweilen sich sonst, machen einen Haufen Bilder für zu Hause und sie wollen alles, wirklich alles. Sie zeigen keinerlei Wertschätzung und sehen nicht, dass wir für unsere Shows hart trainieren. Klar, es gibt auch andere Gäste. Manche Leute kapieren einfach nicht, dass sie keinen schönen, natürlich Sex mehr haben könne, wenn sie sich den ganzen Tag Pornos reinziehen. Da gehören Berührungen und Gerüche dazu.

Ganz deiner Meinung. Ich denke, dass es vor allem bei jungen Menschen problematisch ist.

Ja, sie sehen nur ein hochstilisiertes Bild einer glatten, perfekten Frau, so sieht die Realität aber nun mal nicht aus. Wenn sie dann an eine normale Frau kommen, hängt die Latte deutlich zu hoch. Du kannst dann nie genug bekommen. Entschuldige bitte, aber ich finde das Scheiße.

Wie geht’s bei dir beruflich weiter?

Ich habe jetzt seit vier Jahren keine Pornos mehr gedreht und nur Shows gemacht. Ich weiß noch nicht so genau, wie es bei mir weitergeht, aber jetzt möchte ich mich erst mal ausruhen. Ich mache Deutschkurse, dann spreche ich bald normal deutsch.

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Dein Deutsch ist absolut gut.

Jaa, ich verstehe alles, aber oft fehlen mir Wörter und ich habe Angst, mich nicht richtig ausdrücken zu können. Es ist zwar nicht perfekt, aber ich kann mich auf drei Sprachen verständigen.

Am Montag ist die Mauer schon seit 21 Jahren weg. Wie findest du das?

Ich hasse die Politik, auf der Welt passt einfach gar nichts. Mir kommt es vor wie ein großes Spiel, bei dem man nicht mitspielen darf. Aber als die Mauer weg war, hat sich die Situation für viele Länder stark geändert. Bei uns in Ungarn haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert und wir bekamen die Möglichkeiten zu reisen und wir mussten in der Schule kein russisch mehr lernen, sondern konnten zwischen deutsch und englisch wählen, das war schon ein Gewinn an Freiheit. Ich erinnere mich noch an die Bilder, als in Deutschland alle auf den Mauerfall gewartet haben und die feiernden Massen—das war ein schönes Gefühl, auch als Ungarin.

Wie würde dein Leben heute aussehen, wenn die Mauer immer noch stehen würde?

Ich denke, dann hätte ich irgendwann versucht, nach Amerika zu fliehen. Ich habe kein Problem mit Regeln, verstehst du? Aber es gibt Grenzen, und wenn ein Staat mich privat einschränkt und sich in meine Angelegenheiten einmischt, dann kann ich nicht leben. Dann ist es anders gekommen: Der Vorhang war weg und ich hatte Schulden bei einem Bekannten, der es dann plötzlich zurück haben wollte. Er setzte mir ein Ultimatum, das ich nicht einhalten konnte. Ich habe ein Schuhgeschäft geleitet und 300€ im Monat verdient, da bleibt nichts zum Schulden bezahlen übrig. Dadurch bin ich in die Erotikbranche gekommen und später dann zum Porno. Aber für meine Familie tue ich alles.

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Michaela Schäfer, 27

VICE: Du bist die Venus-Botschafterin, die Messeleitung jagt dich durch alle Hallen und du musst den ganzen Tag lächeln. Bist du fertig?

Michaela: Ja, schon. Aber es ist mein absoluter Traumjob und das macht man da ja gerne. Wird bei dir ja nicht anders sein, oder?

Du bist das Covergirl, der diesjährigen Venus und du bist Model, so viel konnte ich mir schon selbst zusammenreimen, erzähl mir was über dich?

Eigentlich bin ich pharmazeitische Assistentin und wollte ursprünglich Pharmazie studieren, habe aber, wie du siehst, den weißen Kittel gegen was Enges, Knappes aus Leder getauscht. Ich bin ins kalte Wasser gesprungen und hab es als Model einfach versucht. Bei Gemany's Next Topmodel habe ich auch mitgemacht, bin aber leider nicht weit gekommen, logischerweise hat eine Blondine gewonnen.

Wir sind ja immerhin auf der Venus, wie bist du zum Erotikbereich gekommen?

Ich arbeite hauptberuflich als Erotikmodel, aber die Sparte hat sich noch nicht so durchgesetzt, alle denken immer, man dreht Pornos.

Würdest du mal in einem Porno mitmachen?

Nein, definitiv nicht. Ich würde aber gerne mal Privatpornos zu Hause drehen.

Mit deinem Freund?

Ich habe keinen Freund, wenn ich einen hätte, dann könnte es los gehen. Das ist doch cool, so was zu haben, oder nicht?

Auf jeden Fall. Das Cover deines Kalenders zeigt dich mit einer Bierflasche und einer Ausgabe des Dudens, kannst du mir das mal erläutern?

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Das hab ich mir alles selbst ausgedacht. Ich provoziere einfach gerne und dachte, Mensch da setz ich mich doch mal breitbeinig hin, trink ein Bier und halt einen Duden.

Wolltest du damit nicht vielleicht den Leuten zeigen, dass Models auch was in der Birne haben können.

Ach, eigentlich war das nur als Spaß gedacht. Ich hab ins Bücherregal gegriffen und das Buch als Requisite mitgenommen. Ich denke mir oft nicht soviel dabei, da will ich keine Wissenschaft draus machen.

Am Tag der deutschen Einheit warst du sieben Jahre alt, kannst du dich noch daran erinnern?

Ne, aber ich komme aus Leipzig.

Sieben Jahre alt, aus Leipzig und du weißt gar nichts mehr davon?

Ich kann mich wirklich an nichts erinnern. Meine Eltern haben nie einen Unterschied zwischen Ost und West gemacht. Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich mich auf so was nie einlassen soll.

Generell eine Meinung zur Wiedervereinigung?

Klar, die Mauer stand viel zu lange. Es ist total verrückt, wenn man sich überlegt, was damals alles passiert ist.

Wo würdest du stehen, wenn die Mauer nicht gefallen wäre?

In der Apotheke. Soviel Möglichkeiten gabs damals ja nicht.

Ewig modeln wird nicht gehen, was hast du in Zukunft noch vor?

Ich würde schon gerne im Erotikbereich bleiben, vielleicht hinter der Kamera arbeiten. Ich bin aber erst 27, kann das also noch 10 Jahre machen und da denk ich noch nicht so drüber nach.

Fotos: Grey Hutton