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DIE LITERATURAUSGABE 2013

VICE Reviews

Neue Reviews, neue Erkenntnis: Wer gute Songs schreibt, kriegt gute Covers.

FAUSTEN
Fausten
Ad Noiseam
8
Aus der Zeit gefallen, verendet in dem Projekt der beiden Londoner Produzenten Monster-X and Stormfield der gemeinsame Audio-Ausschuss und gerinnt zu toxischem Industrial (Waste). Beklemmend zeitgemäß in ihrer klaustrophobischen Dichte, sublim an den Nerven rüttelnd und dämonisch verschlossen besticht die Musik auf CD noch mehr als auf der gleichnamigen Vinyl-EP mit einem verwinkelten Sounddesign am Rande des zivilisatorischen Selbstaufgabe. Früher haben sich Typen wie Kevin Martin und Justin K. Broadrick als Techno Animal in diesem Wasteland vergnügt, u.a. angefeuert von Skiz „WordSound” Fernando - aber die machen inzwischen alle brav ihr Kleinkunst-, Dancehall-, Dubstep-, Shoegaze-, Ambient-Whatever. Umso wichtiger, dass es Fausten gibt. „It’s a dirty job but …”
LORD TRACER
  ATIQ & ENK
Fear of the Unknown
Mindtrick/Tympanik
6
Ein Album mit eher konservativem Dubstep vollzustopfen und ihm dann den Titel Fear of the Unknown zu geben—so viel Selbstreflexion hätte ich zwei holländischen Nachwuchsproduzenten gar nicht zugetraut. Chapeau. Wobei, jetzt wo ich ihre Herkunft verraten habe, sehe ich mich fast schon genötigt, noch eine Beschwichtigung nachzureichen: Wer einen skrillexartigen Frontalangriff in bester Käsekopftradition befürchtet, braucht sich nämlich keine Sorgen zu machen. Das Albumdebüt von Atiq & Enk klingt eher, als ob eine 16 Tonnen schwere Bassbox in einen Ozean aus sphärischen Synthieflächen gestürzt ist und nun auf dem Meeresgrund unbekümmert vor sich hin wummert, während lauter lustige Meerestiere darum herumkreisen und piepsige Meerestiergeräusche von sich geben. Ein unaufdringliches Wobble-Entspannungsbad, zumindest solange man nicht vergessen hat, seine Schwimmflügel anzuziehen.
CAPTAIN BLAUBÄR GREG HAINES
Where we were Denovali
7
Dies ist schon mehr als nur der feuchte Abrieb der Mechanik. Nur das Schwitzen der Motoren. Reinschwarz schimmert die wie zwischen den Zahnwerken des Universums herausgepresste Essenz, und Greg Haines wagt sich mindestens wadentief hinein. Nichts fließt ab aus dieser Echokammer, nicht mal der Klang - der blubbert, schwappt und klatsch ganz unentwegt, im steten Widerhall gegen die Wahrnehmung, und leckt so Haines manchmal bereits an den Eiern. Das ist fürwahr ein neues Hochgefühl. Und man muss es jedem nachsehen, der in einem solchen Moment glaubt, er hätte die Seele der Maschine bereits berührt. Das Echo ist wie eine Droge und schließlich eben nur genau das, was es ist. Viel tiefer, irgendwo in der Tiefe ist das Licht.
MOOR LEID

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KELLERKOMMANDO
Dunnerkeil
Downbeat Records/ Warner
4
Als ich mir Dunnerkeil anhörte, habe ich zum ersten Mal seit vier Tagen aufgehört zu heulen und begonnen mich zu fragen, wieso ich schon wieder das Arschloch bin, das sitzengelassen wurde. Die einzige Frage die blieb: Wieso habe ich mir tatsächlich die gesamte Platte angehört? Weil das Gefühl der Trauer durch sehr viel Wut ersetzt wurde. Danke Kellerkommando! Die Frage ob vielleicht, aber nur vielleicht 90er-Jahre Techno und Volksmusik einfach nicht zusammen gehören, ist im Moment aber eine zu viel.
WUTBÜRGER THE BAPTIST GENERALS
Jackleg Devotional To The Heart
Sub Pop
6
10 Jahre hat's angeblich gedauert, bis dieses zweite Album erschien. Das erste kenne ich nicht, aber in Sachen Timing habt ihr Labelmenschen ja echt einen Klogriff gelandet—das hätte man dann doch wirklich mal besser in einem Sommer rausgebracht. Also jedenfalls nicht in einem Jahr, in dem auf Winter direkt der nächste Herbst folgt. Musik, die zur Hälfte anstrengend gniedelig wie Bob Dylan klingt, zur anderen Hälfte aber lässig reduziert und folkig wie fast alles außer Bob Dylan—solche Musik funktioniert ja eigentlich nur Sommerabends mit den richtigen Drinks im Vorder- und den richtigen Leuten im Hintergrund. Ja, find' ich jetzt leider auch blöd. Hol' ich dann aber 2014 gern nochmal raus.
TWO GIRLS ONE REGENCAPE BLACK BOX RADIO
Underneath the Subsurface
Wood before the Cottage
7
Wir wissen alle nicht, von wo die plötzlich herkommen, obwohl wir sogar in der gleichen Stadt wohnen. Sie dürften die selbe Schule wie M185 besucht haben, irgendso ein Gym im vierten Bezirk vielleicht, adrett und jeden Tag geduscht in die Schule gebracht worden sein, aber im Schulhof waren sie sicherlich die Burschen mit den dreckigsten Converse, haben Tschick geraucht und im Walkman Jesus Lizard gehört – und ein bissl Beatsteaks, gebt es zu! Also voll gut alles. Uns gefällt dieses Debut echt gut, sie haben gute Ideen und sind verspielt, wissen, dass der Bass laut sein muss, und tja, mehr gibt’s eigentlich nicht zu sagen. Wir gönnen’s denen mehr als irgendwelchen dahergelaufenen Kärntern, die ständig Wien mit Berlin verwechseln.
THE BOYS ARE BACK IN TOWN JAMES HOLDEN
The Inheritors
Border Community
7
Der „Border Community“ Head Capo sollte jedem spätestens seit seinen unverwechselbaren Remixen (Britney Spears, Madonna, Depeche Mode etc.) ein Begriff sein. Da bliept, da zischt, da funkt es gewaltig. Das vorliegende Stück bohrt sich mit patagonischen Klangflächen und zerschrobenen Sax-Solis in meine Gehörgänge, mystisch aber doch konkret. Seine modularisch-analog anmutende Soundästhetik lässt komplexe, eigenständig-operierende Maschinen vermuten. Man nehme KLF´s „Chill Out“ als Referenzpunkt, mische es mit dem Titel eines William Golding Buchs und voilá. Das klingt nicht wie jetzt, aber auch nicht wie früher. Cosign!
JEAN GYLE SLEEP SLEEP
CVRS EP
Noise Appeal
 7
Es gibt zwei Arten von Coverversionen. Die einen spielen ihr Lieblingslied 1:1 runter und hoffen, dass sie irgendwie ins Fahrtwasser der Lieblingsband gelangen. Es ist das versteckte Bekenntnis zur miesen Qualität der eigenen Band. Die anderen interpretieren ein Stück eines Komponisten und machen etwas neues daraus. So wie Johnny Cash Personal Jesus besser gemacht hat, oder jede Hochzeit des Figaro in der Oper eigentlich nichts anderes ist als eine Coverversion. Die CVRS EP von Sleep Sleep ist letzterer Spielart zuzuordnen. Der Wiener Pieter Gabriel (da hatten die Eltern aber einen Spaß mit dem Taufschein!) alias SLEEP SLEEP tüftelt sanfte Synthie- und Keyboardlandschaften und bringt vor dem Debutalbum im kommenden Herbst noch eine Platte mit den Liedern anderer Leute, neu interpretiert. Ab "Dirty Diana" wacht Sleep Sleep auf, macht eine düstere, abgefuckte Ballade draus, die aber interessanterweise immer noch poptauglich ist. „Wild At Heart“ von Mile Me Deaf ist das nächste Juwel, geschrieben von Wolfi Möstl. Sehr verträumt, und, obwohl mein Musik Editor das Wort nicht mag, „leichtfüßig“. Überhaupt zeigt diese EP nur eines: Wer gute Songs schreibt, kriegt gute Covers. In welche Kategorie Looking For Freedom fällt, überlasse ich dem geneigten Leser.
NO COMPLY