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​Der Margaretengürtel ist der blinde Fleck des Wiener Drogenproblems

Das Wiener Drogenproblem verlagert sich immer mehr zur U4-Station Margaretengürtel. Warum dagegen mehr unternommen werden muss, als die Dealer und Junkies einmal am Tag zu verscheuchen.
Foto von VICE Media

Die plakativste Geschichte, die die Situation in meinem Grätzel gut beschreibt, habe ich letzten Sommer erlebt. Aus Faulheitsgründen bin ich in den nahe liegenden Bruno Kreisky-Park (mittlerweile liebevoll Junkiepark genannt) spaziert, der direkt neben der U4-Station Margaretengürtel liegt, um zwischen in Büsche pissenden Kindern und Alkoholleichen ein Buch in der Sonne zu lesen.

Ein paar Meter neben mir saßen zwei Männer, die offensichtlich schon ein paar harte Jahre hinter sich hatten und sich an einem Sonntag Nachmittag in einem kleinen Park, wo Kinder spielen und Teenie-Mädchen sich sonnen, einfach mal einen gepflegten Schuss setzen wollten. Sie schnürten sich den Arm ab und legten los, bis ihnen die Spritze irgendwann aus der Hand fiel und sie sie ewig suchen mussten—mit weiterhin abgeschnürtem Arm, aus dem mittlerweile Blut heraus rann. Seitdem war ich nicht mehr im Junkiepark.

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Aber selbst, wenn ich ihn jetzt meide, habe ich seit meinem Umzug in den fünften Bezirk und meinem regelmäßigen Ein- und Aussteigen bei der U4-Station Margaretengürtel mehr beunruhigende Dinge gesehen, als mir lieb ist. Egal, zu welcher Uhrzeit man sich dort aufhält, es hängt rund um die Uhr ein beachtlicher Haufen Junkies herum, die manchmal aussehen, als würden ihre Gesichter aus einer US-Kampagne gegen Crystal Meth stammen.

Außer den Junkies gibt es am Margaretengürtel auch noch die Schar an Dealern, die mit den Junkies in nervöser Kodependenz leben und sich durch nicht sehr subtiles Zunicken mit ihnen verständigen. Es gab kaum einen Tag, wo ich in den maximal fünf Minuten Wartezeit auf die nächste U-Bahn nicht direkt neben mir zumindest einen Deal ablaufen gesehen habe, der offensichtlicher nicht sein könnte—zumindest für Menschen, die nicht gerade drauf sind.

Natürlich ist der Margaretengürtel in dieser Hinsicht nicht der einzige Brennpunkt in Wien. Die Obdachlosen- und Druffi-Punk-Hochburg Praterstern, die Gumpendorfer-Station oder die Josefstädter-Straße—hier geniert man sich nirgends für einen Deal oder für die zittrigen Hände bei der verzweifelten Suche nach Drogen. Der einzige Unterschied zum Margaretengürtel, wo diese Entwicklung meinem Augenschein nach erst in den letzten Monaten richtig rapide vorangegangen ist, ist jedoch, dass die Polizei hier viel weniger präsent wirkt, als an den anderen heiklen Stationen.

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Am Praterstern, der Gumpendorfer Straße und der Josefstädter wird regelmäßig eine „Aktion scharf" gefahren und Menschen werden sofort für Dealer gehalten, nur weil sie schwarz sind—um den Margaretengürtel scheint sich jedoch (noch) niemand zu scheren.

Wie es die Ironie des Schicksals will, habe ich gestern zum ersten Mal Polizei am Margaretengürtel gesehen. Der Platz war wie leer gefegt. | Foto von VICE Media

Auf Nachfrage bei der Wiener Polizei heißt es, dass im Bereich des Margaretengürtel, genauso wie bei der U6-Station Gumpendorfer Straße, tagsüber permanent und regelmäßig eine Streife unterwegs ist—sowohl uniformiert, als auch in zivil. Außerdem seien hier Beamte der Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Straßenkriminalität unterwegs, um regelmäßige Kontrollen vorzunehmen. Auch die netten Menschen von der Sucht- und Drogenkoordination versichern mir, dass sie um das Drogenproblem am Margaretengürtel Bescheid wissen und dass neben der Polizei auch immer wieder Mitarbeiter ihres Teams vor Ort sind, um mit Suchtkranken Kontakt aufzunehmen und ihnen Hilfe anzubieten.

Trotzdem wirkt es auf mich als Anrainerin und regelmäßige U4-Fahrerin, die immer wieder von Junkies oder auch von Dealern auf Drogen angesprochen oder zumindest in Hoffnung auf eine Transaktion angenickt und angezwinkert wird, so, als ob der Margaretengürtel als Brennpunkt einfach noch keine sonderlich hohe Priorität hätte.

Sicher—Drogenabhängige existieren auch, wenn man sie nicht sieht, und wenn sie sich den Schuss nicht neben mir im Junkiepark setzen, machen sie es eben am U-Bahn-Klo. Und das oberste Ziel im Umgang mit der Drogenproblematik einer Großstadt sollte natürlich nicht sein, das Thema unter den Teppich zu kehren, nur damit sich überempfindliche Anrainer nicht damit konfrontieren müssen.

Trotzdem wundert es mich langsam, dass sich niemand ernsthaft und nachhaltig um die Situation am Margaretengürtel zu kümmern scheint (und damit meine ich nicht, die herumlungernden Menschen einmal am Tag mit einem Einsatzwagen zu verscheuchen). Und es geht mir gar nicht darum, die U-Bahn-Stationen zu verschönern, den Platz zu säubern oder die Parks mit Stacheldraht ungemütlicher zu machen.

Ich frage mich viel mehr, wie wir ein Drogenproblem in den Griff bekommen wollen, wenn abgesehen von praktisch unwahrnehmbaren Polizeistreifen keine Maßnahmen gesetzt werden, um den Betroffenen zu helfen oder die Situation für alle Beteiligten zu verbessern. Wenn ich schon keine Polizeipräsenz sehe, wie sollen sich Dealer dann abgeschreckt fühlen? Und wenn Junkies den Platz frequentieren, um sich einen Schuss zu setzen, welche Vision vom Bezirk und dem Grätzl wird dann die nächste Generation an Anwohnern haben, die heute im Park direkt daneben spielen?

Die Lösung ist mit ziemlicher Sicherheit nicht Gentrifizierung—und auch nicht pressewirksame Proforma-Maßnahmen. Aber genauso wenig wird sich die Sache von alleine lösen. Denn das Drogenproblem dort ist mittlerweile so offensichtlich wie die Tatsache, dass die Menschen, die dort ihren Tag verbringen, keine Passanten sind, die gerade auf die nächste 6er-Bim warten.

Verena auf Twitter: @verenabgnr