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Syronics on Speed

Ich will nichts mit eurem Flüchtlingsfetisch zu tun haben

Unser Kolumnist ist Flüchtling—aber er will trotzdem nicht von Angelina Jolie vertreten werden.
Foto: Remy Steinegger | Wikimedia | CC BY-SA 2.0

Im Frühjahr 2011 begann der Aufstand in Syrien, der sich schnell zu einem brutalen Bürgerkrieg entwickeln sollte. Ungefähr zur selben Zeit fing der Schmied Aboud Saeed an, auf Facebook sein Leben in der Stadt Manbidsch zu dokumentieren. Seine kurzen Einträge, die vor schwarzem Humor nur so strotzen, gefielen irgendwann so vielen Leuten, dass der deutsche Verlag mikrotext schließlich ein Ebook mit dem Namen Der klügste Mensch im Facebook daraus machte, das später sogar als Taschenbuch _erschien. Anfang 2014 beantragte Saeed Asyl in Deutschland, seitdem lebt er in Berlin. Als wir ihn gefragt haben, ob er eine Kolumne für uns schreiben will, dachte er ursprünglich, wir seien der _wir seien der Spiegel. Er hat sich aber auch nach Aufklärung des Missverständnisses bereit erklärt, hier einmal in der Woche für uns zu schreiben—über sein Leben in Berlin und das, was er in Syrien zurückgelassen hat.

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Eine Epidemie geht um in der Welt. Besonders in der westlichen Welt: Die Epidemie der NGOs und all jener Organisationen, die man, glaube ich, humanitär nennt, oder so ähnlich.

In jedem Land arbeiten Tausende und Abertausende auf diesem Gebiet und verschlingen dabei Millionen Dollar und Euros.

Im Namen der Menschlichkeit, im Namen des Menschen, halten diese Leute Tagungen ab, bei denen sie über humanitäre Krisen sprechen, die Folge von Kriegen, wirtschaftlicher Not oder Naturkatastrophen sind. Sie sind sozusagen die humanitäre Version des Sicherheitsrates. In ihren Konferenzsälen und klimatisierten Büros sitzen sie ihre Zeit ab, schenken sich gegenseitig dann und wann ein nichtssagendes Lächeln, trinken Kaffee, reden ein wenig über Menschlichkeit und dann verziehen sie sich wieder. Sie reisen im Flugzeug durch die Welt, übernachten in Hotels und manchmal kommt es sogar vor, dass der ein oder andere ein Dorf in Ruanda oder irgendein Flüchtlingslager für ein oder zwei Tage besucht. Aber vorsichtig, damit seine teuren Schuhe nicht schmutzig werden.

Dann zieht er oder sie siegreich von dannen, wie es auch unsere moderne Mutter Theresa Angelina Jolie immer tut, nachdem sie ein Selfie mit einem hungrigen Kind geschossen hat, das hinter sie geschissen hat. Dann nimmt ein wichtiges Magazin das Foto als Titelblatt, was Angelina zum Engel auf Erden kürt. Dein Platz ist in Hollywood, Angelina, nicht hier im Flüchtlingslager. Diese Rolle passt nicht zu dir!

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Doch auch kulturell sind die humanitär Engagierten durchaus versiert: Sie füllen die Theater- und Kinosäle, die Fernsehprogramme, die Seiten von Zeitschriften und Tageszeitungen. Keiner kann es mit ihnen aufnehmen! Besonders wenn sie die Parolen der Menschlichkeit und Kultur vor sich hertragen.

Und wenn dann einmal einer wie ich daherkommt und „Scheiß auf euch und eure empfindsamen Herzen!" sagt, wird er eiskalt mit Kartoffeln beworfen.

Es sind elegante Menschen, manchmal sogar sexy. Ihre Computer sind immer Macintoshs und sie sprechen ununterbrochen über senegalesische Kinder, während noch nie auch nur ein einziges senegalesisches Kind etwas von ihnen bekommen hat, und sei es auch nur ein T-Shirt. Dennoch sind sie bei den Medien sehr beliebt; die Medien berichten gerne über sie und ihre großen Verdienste.

Natürlich interessieren sie sich auch für Flüchtlingsfragen. Genau genommen haben sie diese Tage gar kein anderes Gesprächsthema mehr. Alles dreht sich nur noch um Flüchtlinge! Das geht so weit, dass das Wort Flüchtlinge zur Ikone geworden ist.

Flüchtlinge: Das populärste und meist verwendete Wort. Sollte ich eines Tages Geld haben, mache ich ein Restaurant auf und nenne es Wirtshaus zum Flüchtling.

Die Flüchtlingsbar.

Refugee. Die Mobilfunkfirma—Sonderangebote auf Whatsapp und Viber.

Refugee. Bequeme Satin-Unterwäsche.

Refugee-Bier. Kauf dir fünf Dosen und nimm eine gratis mit!

Hotel Flüchtling: Essen, Trinken, Schlafen. Rund um die Uhr.

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Schaltest du den Fernseher ein, schreit dir die Moderatorin ins Gesicht: Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge!

Ein Flüchtling heiratet eine normale Frau (also eine, die selbst kein Flüchtling ist) und schon prangt sein Gesicht auf allen Nachrichtenwebseiten.

Ein Flüchtling findet auf der Straße eine Brieftasche mit acht Euro und einem abgelaufenen BVG-Ticket und gibt sie bei der Polizei ab. Da freut die Polizei sich sehr und ruft das Fernsehen herbei. Das Fernsehen stellt eine Kamera vor den ehrbaren Flüchtling und fordert ihn auf, von diesem einmaligen Ereignis zu berichten.

Ein Flüchtling hat bei einem Fußballspiel zwischen der Mannschaft des Flüchtlingsheims, in dem er wohnt, und dem Lokalverein des Bezirks ein Tor geschossen.

Ein Flüchtling hat innerhalb von zwei Jahren Deutsch gelernt.

Eine Geflüchtete trinkt Bier.

Wir Flüchtlinge haben jetzt alle einen Stempel auf der Stirn, dank unserer lieben humanitär versierten Freunden.

Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, natürlich gibt es Ausnahmen, aber so gut wie alle von ihnen tragen ihren Teil dazu bei, jene Eigenschaft Flüchtling, die mit der Zeit ein peinliches Stigma geworden ist, immer weiter aufzublasen.

Ein Flüchtling ist weder ein Engel noch ein besonders lieber Mensch, noch ist er ein Teufel.

Ein Flüchtling singt, arbeitet, studiert. Manche Flüchtlinge stehlen. Manche vergewaltigen sogar. Und für all das zuständig ist das Gesetz, das über allen steht. Und nicht irgendwelche möchtegern-humanitären Organisationen.

Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl


Titelfoto: Remy Steinegger | Wikimedia | CC BY-SA 2.0