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The Fashion Issue 2012

Weihnachten in den Anden

Der Dezember ist in der peruanischen Provinz Chumbivilcas eine ganz besondere Zeit. Am Weihnachtsmorgen kommen alle zusammen, um sich gegenseitig windelweich zu prügeln.

Der Dezember ist in der peruanischen Provinz Chumbivilcas eine ganz besondere Zeit. Die Mädchen flechten ihr Haar und ziehen ihre prächtigsten Brokatröcke und Hüte an. Die Jungs tragen ihre schönsten Skimasken und lederne Beinschützer und stecken sich einen toten Vogel an die Birne. Dann kommen am Weihnachtsmorgen alle zusammen, Jung und Alt, männlich und weiblich, um sich gegenseitig windelweich zu prügeln. Takanakuy ist eine Kampfzeremonie, die in den Anden noch aus der Zeit vor den Inka und den Spaniern stammt. Angesichts des Fehlens eines nennenswerten Justizsystems—die Provinzpolizei von Chumbivilcas kann die stolze Zahl von drei Beamten vorweisen—sparen sich die Dorf- und Stadtbewohner der Region ihren Groll und ihre Streitigkeiten das ganze Jahr über auf und regeln das, indem sie ihren Widersachern beim Takanakuy-Fest eine reinhauen. Während sich die einen den Schlagabtausch wegen echter rechtlicher Auseinandersetzungen liefern, geht es bei anderen um Mädchen oder nebensächliche persönliche Rivalitäten. Und viele kämpfen einfach nur um eines guten Kampfes willen (oder weil sie betrunken sind). Das Wichtigste ist jedoch, dass sie dabei alle angezogen sind wie beeindruckende Mad Max Mountain Men in einem DMT-Alptraum. Das Video zu den Kämpfen auf dem Takanakuy-Festival 2011 ist bald auf VICE.com zu sehen. HEY! WAS IST DEINE TAKANAKUY-LIEBLINGSFIGUR?
Illustrationen aus Takanakuy: Cuando La Sangre Hierve von Víctor Laime Mantilla Wenn du kein Problem damit hast, „q’ara gallo“ genannt zu werden (was so viel bedeutet wie „nackter Gockel“), kannst du dir einfach eine „uyach’ullu“ (eine Skimaske) überstülpen und ansonsten für Takanakuy anziehen, was du willst—selbst durchgeknallte, geschredderte Nu-Metal-Jeans. Oder auch eine Werwolf-Maske. Wer nicht ganz so stilsicher ist, für den gibt es eine Reihe traditioneller Takanakuy-„Figuren“ als modische Vorlage.

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MAJEÑO

„Majeños“ heißen die Typen, die am Majes-Fluss in den Anden leben, und die ziehen sich so an: wollene Reithosen, eine sportliche kleine Ledermütze, eine an einen Harrington-Blouson erinnernde traditionelle peruanische Jacke und ein hohles Kuhhorn für den Alkohol. Die uyach’ullu-Maske besitzt eine Reihe geheimnisvoller symbolischer Assoziationen (die vier Farben symbolisieren die vier „Quadranten“ des Universums), doch die ursprüngliche und wichtigste Funktion ist das Verbergen des Gesichts, damit man seinen Chef oder den Bürgermeister verprügeln kann, ohne am nächsten Tag die Arschkarte zu haben. Außerdem wird erwartet, dass man mit einer piepsigen Vogelstimme spricht, um seine Identität zu verbergen. Und wenn 50 gewaltige Männer in Skimasken gleichzeitig so reden, dann ist das mehr als beunruhigend.

NEGRO

Der Takanakuy-„Negro“ beruht weniger auf einem eigentlichen „Neger“ als vielmehr auf der Sorte Mann, die „Neger“ besaß. Als Negro braucht man kniehohe Lederstiefel, schicke Hosen aus Kammwolle, ein schönes Hemd mit Weste, eine seidenbestickte Mütze in Rosa oder Babyblau und eine Pappkrone mit glänzendem Geschenkpapier an den Seiten und einem Stern obendrauf. Dann muss man in dünkelhaften, weiträumigen Kreisen wie ein aufgeblasener Gockel herumtanzen—das dem Negro spirituell zugeordnete Tier. Das Outfit des Negros war ursprünglich den wohlhabenderen Männern des Ortes vorbehalten und diente als herausgeputzter, eitler Gegenpart zum rüpelhaften Trunkenbold des Majeño. Nach und nach entwickelte sich der Negro vom Kostüm des reichen Mannes zu dem der besten Kämpfer. Heutzutage hat das Kostüm keine feste Bedeutung mehr, doch gehören die Negros nach wie vor zu den Freundlichsten des ganzen Haufens und zu den besten Tänzern. Gott, bei dem ganzen Absatz fühlt man sich doch echt unwohl.

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QARA CAPA

Das bedeutet „Heuschrecke“ in der Sprache der indigenen Quechua. Im Grunde handelt es sich lediglich um eine „indigenere“ Variante des Langosta. Uns gefällt das Cape.

LANGOSTA

„Langosta“ bedeutet „Hummer“ auf Spanisch, aus irgendeinem Grund jedoch auch „Heuschrecke“ (entscheidet euch endlich mal, ihr Spanier). In den 1940er Jahren wurde die Ernte in Chumbivilcas durch eine Reihe von Heuschreckenplagen verwüstet. Daraufhin zogen sich die Männer ganz einfach wie Heuschrecken an, um zu kämpfen, und, siehe da, schon im nächsten Jahr flogen alle Heuschrecken davon. Regenmantel und Hose in bunten Farben sollen den schillernden Bauch eines Insekts darstellen und machen sich auch ziemlich gut mit einem Grubenhelm aus Plastik oder einem toten Vogel um den Hals. Der Langosta ist sicherlich der erschwinglichste Look und gibt einem die Ausstrahlung eines Gangmitglieds aus

Akira

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QARAWATANNA

Ähnlich, wie sich die Ramones bei den Rockern der Fifties bedienten, haben die „Qarawatannas“ den traditionellen Majeño-Look ein wenig aufgepeppt, indem sie die Wolljacke gegen Leder, den Hut gegen einen ausgestopften Vogel oder Fuchs und die Reithosen gegen riesige, an

Aeon-Flux

-Boots erinnernde Motorrad-Beinschützer austauschten. Die meisten der jüngeren Kerle entscheiden sich mittlerweile für den Qarawatanna, weil es der bei Weitem furchteinflößendste Look ist. Wie bei den Jungs in der Highschool, die jedes Jahr an Halloween als Krähe gingen. OK, das sollte ein Scherz sein.