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Maria Scharapowa gesteht Doping—das endgültige Ende einer Märchenkarriere?

Die fünfmalige Grand-Slam-Siegerin stolpert über ein Herzmedikament. Damit schadet Marketing-Meisterin Scharapowa nicht nur sich selbst, sondern vor allem auch dem Tennis.
Foto: imago/CTK Photo

Bevor Maria Scharapowa am Montagmittag um 12:00 Uhr Ortszeit die Lobby eines Hotels im Stadtzentrum von Los Angeles betrat, zirkulierten haufenweise Gerüchte um die tags zuvor ad-hoc einberufene Pressekonferenz der russischen Tennisspielerin. Es wurde gewitzelt über eine neue Gummibären-Reihe, andere munkelten über eine mögliche Änderung der Staatsbürgerschaft. Am nachhaltigsten hielt sich jedoch die Vermutung, dass die 28-Jährige aufgrund anhaltender Verletzungen ihren Schläger an den Nagel hängen könnte.

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Scharapowa hatte innerhalb der letzten acht Monate gerade mal drei Turniere bestreiten können, da sie zuerst mit einer Beinverletzung haderte und seit Oktober Probleme mit dem rechten Unterarm hatte. Was die fünffache Grand-Slam-Siegerin dann allerdings der versammelten Presse verkündete, übertraf nicht nur alle Vorstellungen, sondern auch jeden Schaden, den die Russin durch Verletzungen hätte erleiden können.

„Ich habe einen großen Fehler begangen!"

In Schwarz gekleidet, schritt Scharapowa ans Pult und teilte mit, dass sie vor einigen Tagen einen Bescheid der International Tennis Federation erhielt. Befund: Doping-Probe—positiv.

Durchsetzt von einigen tiefen Atemzügen erklärte die aktuelle Nummer 6 der Rangliste, dass ihr Meldonium nachgewiesen wurde—auch bekannt unter dem Namen Mildronat. Scharapowa führte daraufhin weiter aus, dass ihr das Medikament vor 10 Jahren vom „Familienarzt" verschrieben wurde, als sie häufig kränkelte, schlechte Magnesiumwerte hatte und eine Familiengeschichte von Diabetes aufgedeckt wurde. Im letzten Jahrzehnt nahm die Russin weiterhin das Arzneimittel ein und stolperte dieses Jahr dann, nach eigener Aussage, über eine Formalität.

„Ich bin durch den Test gefallen und übernehme die komplette Verantwortung dafür!"

Meldonium wurde in Lettland entwickelt, ursprünglich für Herzmuskelprobleme und Herzkrankheiten. Im Jahr 2015 bestätigte eine Reihe von Tests allerdings die Vermutung, dass das Medikament zu geringerer Laktatbildung und gesteigerter Herzfunktion sowie Regeneration führt. Aus diesem Grund steht Meldonium seit dem 1. Januar 2016 auf der roten Liste der World Anti-Doping Agency (WADA), nachdem das Mittel bereits zuvor auf der Beobachtungsliste auftauchte, als Vermutungen nahelagen, dass es zur Leistungssteigerung missbraucht werden kann.

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Scharapowa gestand ein, dass sie über Neuerungen im Reglement Ende Dezember informiert worden sei und eine Liste erhalten habe, allerdings nie einen Blick auf diese warf. Einige Wochen später folgte dann nach ihrer Viertelfinal-Niederlage gegen Serena Williams in Melbourne der Dopingtest und vor einigen Tagen die Benachrichtigung über den hohen Preis ihrer „Nachlässigkeit". In den USA, wo Scharapowa seit ihrem 7. Lebensjahr wohnt, ist das Medikament überhaupt nicht zulässig.

Eine Länge der Sperre ist noch nicht bekannt, aber es ist nicht zu erwarten, dass die Silbermedaillen-Gewinnerin von den Olympischen Spielen 2012 in Rio im August wieder den Schläger schwingt; zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, bei Vorsatz sogar vier, ist alles denkbar.

Für die Russin stellt der Befund nicht nur einen sportlichen Tiefpunkt dar, sondern er könnte auch massive Konsequenzen für ihre Karriere außerhalb des Platzes mit sich bringen.

Scharapowa hat es innerhalb der letzten zehn Jahre wie kaum eine andere verstanden, sich sowohl als erfolgreiche Tennisspielerin als auch als clevere Geschäftsfrau zu etablieren. Die ehemalige Weltranglistenerste hat nicht nur millionenschwere Verträge mit Nike und HEAD als Ausrüster, sondern ist auch das Gesicht von Großmarken wie Evian und seit Jahren Markenbotschafterin von Porsche; dazu kommt dann noch die eigene Süßwarenlinie.

Mit kombinierten Jahreseinnahmen von über 27 Mio. Euro ist die 28-Jährige die bestverdienende Sportlerin der Welt. Welche der großen Konzerne aber während der nächsten Monate weiterhin zu ihr stehen werden, wird sich zeigen. Nike, TAG Heuer und Porsche sind bereits auf Abstand gegangen und haben sich entschieden, Verträge zumindest auf Eis zu legen.

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Der Doping-Nachweis ist allerdings nicht nur für Scharapowa selbst ein Paukenschlag, sondern bildet auch einen neuen Dreh- und Angelpunkt für einige andere Handlungsstränge, die sich derzeit durch den Sport ziehen.

Das Damentennis befindet sich generell im Umbruch und eine Wachablösung wird spätestens mit dem Rücktritt von Serena Williams auf der WTA-Tour stattfinden. Bis dahin wäre es allerdings für die Tour wichtig gewesen, sowohl aus sportlichen als auch aus marketingtechnischen Gründen eine gesunde, gut spielende Scharapowa noch für mindestens zwei Jahre zu behalten. Zwar konnte die Russin seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gegen Williams gewinnen, ein Pfeiler und Zuschauermagnet des Sports ist sie dennoch. Ein Ausflug zum Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart genügt da als Überzeugungsmaßnahme—beim größten deutschen Damenturnier ist die dreimalige Siegerin bereits seit Jahren das absolute Zugpferd, noch vor den deutschen Spielerinnen.

Des Weiteren bildet die Nachricht einen nächsten gigantischen Kratzer im Tennis-Antlitz—dem Sport, der sich jahrzehntelang so um sein sauberes Image bemüht hat. Nachdem bereits bei den Australian Open der Eklat um einen möglichen XXL-Wettbetrug in den Mainstream schwappte, ist nun nicht einmal zwei Monate danach eines der Gesichter des Sports in einen Dopingskandal verwickelt. Und man fragt sich auch, warum denn das Arzneimittel bei der Russin erst nach der Australian-Open-Niederlage im Viertelfinale nachgewiesen wurde. Bei einem Grand-Slam-Turnier sollte man doch erwarten, dass die Spieler, die die ersten vier Runden überstehen, doch zumindest einmal getestet werden. Ein großartiges Bild wirft dies zum wiederholten Male nicht auf den Tennisapparat—vor allem, da über dessen Dopingtestsystem bereits 2013 wegen der Fälle Cilic und Troicki ausgiebig diskutiert wurde.

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Für den russischen Sport im Allgemeinen ist Scharapowas positives Testergebnis noch ein viel größerer Schlag in die Magengrube und strahlt erneut das Scheinwerferlicht auf die verheerende Dopingsituation des Landes. Vor nicht einmal zwei Tagen hat das WDR die Dokumentation „Geheimsache Doping—Russlands Täuschungsmanöver" von Hajo Seppelt ausgestrahlt und auch hierbei kam das Thema Meldonium auf.

Allein im letzten Jahr wurde bei 724 von 4.316 genommen Proben russischer Athleten das Mittel nachgewiesen—und dessen Verbot hat in diesem Jahr bereits einigen Sportlern das Bein gestellt. So gab nur wenige Stunden vor der Pressekonferenz von Scharapowa deren Landsfrau Ekaterina Bobrova—Eiskunstlauf-Olympiasiegerin in Sotschi bekannt—dass sie bei den Europameisterschaften in Bratislava durch einen Dopingtest gefallen sei, ebenfalls wegen Meldonium.

„Ich weiß, dass dies Konsequenzen nach sich zieht—ich möchte meine Karriere nicht so beenden und hoffe, dass ich eine zweite Chance bekomme!"

Scharapowa hatte sich die letzten zehn Jahre häufiger von Verletzungen auf die Tour zurückgekämpft. Da ist es beinahe schon Ironie des Schicksals, dass das Mittel, das ihren Körper vermeintlich über Jahre zusammenhielt, ihr jetzt den größten sportlichen, persönlichen und geschäftlichen Stein in den Lebensweg wirft.

Für den Tennissport ist es ebenfalls ein herber Dämpfer, aber trotzdem befindet sich in der momentanen schwierigen Situation, ähnlich wie beim Wettskandal, eine Chance—die Chance, transparenter zu sein, die Chance, das Dopingsystem genauer zu evaluieren, die Chance, von Grund auf besser zu werden. Die Russin verdient es vermutlich nicht, dass an ihr ein Exempel statuiert wird, aber eine zu milde Strafe wird dem Image des Sports mehr schaden als helfen.

Ersten Eindrücken nach hat Scharapowa aber wohl einen guten Schritt in der Schadensbegrenzung gemacht, indem sie selbst die Nachricht verkündete—unabhängig davon, ob es sich um ein wirkliches Versehen bei ihrem Meldonium-Malheur handelt oder nicht.

Die 28-Jährige hatte schon immer ein gutes Händchen mit den Medien, ihre Karriere auf dem Platz und vor allem außerhalb davon bislang akribisch geplant und strahlte auf die breite Masse häufig eine Art Perfektionismus und Kalkül aus. Mit Hilfe von Manager Max Eisenbud und einem großen Team baute sie sorgfältig eine PR-Maschine auf, die immer zu funktionieren schien.

Vielleicht ist es gerade deshalb umso überraschender, dass ausgerechnet Maria Scharapowa letzten Endes über etwas so Simples und Planbares wie eine Änderung auf der Liste verbotener Substanzmittel gestolpert ist.