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Interviews

Finde den Haken bei Oh Land

Oh Land ist so nah an der Perfektion, dass es beängstigend ist. Also haben wir uns auf die Suche nach dem Fehler gemacht. Leider erfolglos.

Foto © Justin Tyler Close

Nanna Øland Fabricius aka Oh Land ist so nah an der Perfektion, dass es beängstigend ist. Sie ist charmant, witzig, besorgniserregend attraktiv, sie tanzt, sie singt, sie produziert Musik, sie verpasst ihren Haare die wunderlichsten Farben … haben wir noch irgendwas vergessen? Ach so, sie hat vier Alben geschrieben und diese auf den verschiedensten Wegen veröffentlicht – auf einem Majorlabel, auf einem Indielabel und auf ihrem eigenen Label. Sie hat es also tatsächlich geschafft, im Laufe ihrer noch jungen Karriere, durch sämtliche Jauchetümpel der Musikindustrie zu waten und trotzdem den Mut noch nicht verloren zu haben. Im Gegenteil. Das aktuelle Album Earth Sickness veröffentlicht sie einfach selbst. Wirklich ziemlich perfekt, das alles. Wir wollten wissen, wo der Haken ist und haben uns kürzlich mit ihr getroffen.

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Noisey: Womit heilt man Earth Sickness?
Oh Land: Geduld, würde ich sagen. Einfach mal einen Gang zurückschalten. Im Grunde halte ich Geduld für das Heilmittel gegen jede Krankheit. Wenn du da so liegst, bist du doch meistens total frustriert, dass es dir nicht gut geht. Dass du nicht ausgehen und den Dingen nachgehen kannst, die du eben gerne machen würdest. Und ich behaupte, du musst einfach geduldig sein und darauf vertrauen, dass sich die Dinge irgendwann bessern werden.

Du hast dein neues Album über eine Crowdfunding-Seite finanziert. Hattest du vorher irgendwelche Bedenken, dass es nicht funktionieren könnte?
Hatte ich. Ich befürchtete, die Leute würden nicht verstehen, worum es mir geht. Ich dachte, sie würden mich für dieses Popsternchen halten, das mal so ein bisschen Erfolg hatte und jetzt plötzlich die Hand aufhält. Worum es tatsächlich ging, war die Möglichkeit, das Album ohne Label im Hintergrund zu veröffentlichen. Gleichzeitig bezahlen die Leute weniger für das Album als auf dem üblichen Weg. Und das Geld fließt direkt in die Produktion des Albums und versickert nicht auf irgendwelchen unsichtbaren Wegen. In den USA ist es mittlerweile ganz normal, in Europa hat sich die Idee allerdings noch nicht ganz durchgesetzt. Aber ja, ich hatte Schiss. Ich wusste nicht, ob man mich für die falschen Gründe verurteilen würde. Es machte mich natürlich auch nervös, den Entwicklungsprozess öffentlich ablaufen zu lassen. Normalerweise würde einen Song nur jemandem vorspielen, wenn er fertig ist und genau so klingt, wie ich es mir vorgestellt habe.

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Und du hattest keine Angst, dass möglicherweise niemand Geld geben würde?
Doch, die Angst hatte ich natürlich auch! Ich dachte mir, werde ich das Ziel erreichen? Werden vielleicht drei Leute Almosen geben und das war’s dann? Das würzt den ganzen Prozess natürlich mit einer Prise Stress. Ok, ich bin erst bei 20 Prozent, ich muss irgendwas machen… Und so weiter. Dann bietest du den Leuten all diese Anreize und versuchst herauszufinden, wie das ganze Ding funktioniert. Aber unterm Strich war das eine gute Erfahrung, einfach weil es dich unabhängig macht. Es befreit dich von der Maschinerie.

Darum geht es also in dem ersten Song des Albums?
Genau! Darum geht es in „Machine“. Es gibt immer einen anderen Weg, Dinge anzugehen. Glaub dran, sei geduldig und dann klappt das schon.

Ich hab mal geschaut, was es in deinen Pledge-Anreizen so zu kaufen gab und ich fand die sogenannte Sound Safari und ein Kaffeekränzchen bei Pancakes. Für wie viele Leute musst du jetzt Eierkuchen backen und mit dem Aufnahmegerät durch Brooklyn laufen?
Ich habe nur eine Sound Safari verkauft, einfach weil es aufwändig ist und viel Zeit fordert. Diese Aktion ist auch noch nicht eingelöst, mit der Person werde ich mich noch treffen. Die Pancake Aktion ist schon erledigt. Das war sehr nett.

Begibt man sich mit solchen sehr persönlichen Angeboten nicht aufs Glatteis?
Ja, es ist eine Gratwanderung. Man macht sich natürlich sehr verletzbar. Und stell dir mal vor, niemand würde es kaufen, wie peinlich wäre das erst, haha! Und was, wenn es ein Serienmörder kauft? Ich meine, es gibt ja kein Genehmigungsverfahren oder so was. Aber zum Glück liefen alle interaktiven Aktionen sehr gut. Ich mag es auch zu wissen, wer sich mit meiner Musik beschäftigt und wem sie etwas bedeutet.

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Gibt es auf dem neuen Album irgendwelche ungewöhnlichen Field Recordings?
Oh, es gibt so viele … Am Ende von „Nothing is Over“ hörst du meinen Hund knurren. Ich versuchte sehr konzentriert, einen Gesangspart fertig zu kriegen, aber er wollte die ganze Zeit, dass ich ihm so ein Spielzeug zuwerfe. Dass ich etwas Wichtiges zu tun hatte, war ihm völlig egal, also knurrte er mich die ganze Zeit an. Am Ende hielt ich ihm einfach das Mikro hin und ließ ihn den Part singen. Und kennst du diese kleinen Feuerwerkskörper, diese Heuler oder wie die heißen? (Imitiert das Geräusch, das ein Heuler macht.) Diese Dinger, die du in Dutzenden kaufst. Wir haben davon welche aufgenommen und den Sound dann drei Oktaven runtergepitcht. (Imitiert den Sound von drei Oktaven runtergepitchten Heulern.) Ein total beängstigender Sound! In „Machine“ gibt es einen Breakdown und da haben wir dann den Sound im Hintergrund eingesetzt.

In „Doubt My Legs“ gibt es einen Sound wie von zerberstendem Porzellan. Das war einer der Sounds, die zufällig passierten. Ich hatte diese Tasse geschenkt bekommen, wirklich ein Bild von einer Tasse. Wahrscheinlich sehr teuer, einfach meine Lieblingstasse. Ich trank also Tee aus dieser Tasse, während ich Gesangsaufnahmen machte und Tore, mein Sound Engineer und Koproduzent stieß die Tasse aus Versehen mit dem Ellbogen an, sie fiel herunter und zerbarst. Zum Glück jedoch genau vor einem Mikrofon, das da lag. Also hatten wir diese extrem gute Aufnahme von dieser in tausend Stücke zerspringenden extrem teuren Tasse. Und um meinen Verlustschmerz zu lindern, haben wir einfach den Sound als Beat eingesetzt.

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Was für eine Metapher, der Kreislauf des Lebens.
Genau. Aus Zerstörung wächst neues Leben.

Apropos. Du hast auf einem Majorlabel releast, du hast auf einem kleinen Label releast, jetzt machst du alles selber. Welche Lektionen hast du in den letzten Jahren durch die Musikindustrie lernen müssen?
(Seufzt) Schwer zu sagen. Es gibt so viele Ansätze auf dem Weg zum Erfolg und niemand kann dir sagen, was die richtige Richtung ist. Ich versuche zu verstehen, was es mit Trends auf sich hat und wie bestimmte Künstler den Nerv der Zeit treffen. Und meistens ist es mir ein Rätsel. Ich selber will mich davon nicht zu sehr beeinflussen lassen. Ich will einfach nur das machen, was mich am Ende widerspiegelt. Vielen Künstlern reicht es ja, wenn sie singen können. Wenn sie sich von Songwritern Lieder schreiben lassen, auf einem großen Label sind und sich umsorgen und verplanen lassen. Das würde mich aber nicht glücklich machen. Das habe ich herausgefunden.

Was macht dich glücklich?
Mich macht es glücklich, wenn ich Kontrolle habe und mich selber in dem künstlerischen Produkt wiederfinde. Ich habe die magischen Momente kennengelernt, die dir das Musikgeschäft liefern kann. Wenn ein großes Magazin über dich schreibt und alle wie verrückt umherlaufen und große Pläne geschmiedet werden. Und ich habe die dunkle Seite gesehen, wenn du nicht in irgendein bestimmtes Format passt und du dann einfach rausgeschmissen wirst. Als ich bei Sony gesignt wurde, starb am gleichen Tag Michael Jackson. Als ich also dort ins Gebäude kam, rannten überall Leute rum, rissen die Michael Jackson CDs aus den Lagern an sich, für die sich jahrelang niemand interessiert hatte und versuchten die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, um ganz schnell irgendein neues Michael Jackson Release auf den Markt zu bringen. Da bekam ich zum ersten Mal hautnah mit, wie schizophren die Musikindustrie ist. Heute, also drei Jahre später, gehört dieses riesige Gebäude nicht mal mehr Sony. Das sagt vermutlich genug über den Zustand der Musikindustrie aus.

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Das letzte Album hatte Dave Sitek von TV On The Radio produziert. Von außen sah das nach einer guten Kooperation aus. Warum habt ihr die Zusammenarbeit nicht fortgeführt?
Das werden wir bestimmt irgendwann wieder machen. Ich will es und ich denke, er will das auch. Aber an diesem Punkt war es mir einfach am wichtigsten, wieder zurückzugehen und alles alleine zu machen. Das musste einfach sein. All die Leute, mit denen ich in den letzten Jahren zusammengearbeitet habe, Dave eingeschlossen, brachten mir so viel bei, dass ich das Gelernte umsetzen wollte. Wenn du mit einem Produzenten arbeitest, kannst du zwar immer deine eigene Meinung haben, du musst aber auch den Produzenten respektieren. Und diesmal war es mir wichtig, in allen Fragen das letzte Wort zu haben.

Ich höre heraus, dass du ganz zufrieden mit deinem jetzigen Ansatz bist.
Ja, ich bin sogar der Meinung, dass es der einzige Weg für einen Indie-Künstler ist, um überleben zu können. Majorlabels funktionieren für Leute, die bei X-Factor oder American Idol mitgemacht haben, die man leicht kategorisieren kann. Dinge, die sich nicht so leicht kategorisieren lassen, müssen ihren eigenen Weg finden. Und ich würde behaupten, ich bin als Künstler nicht so leicht einzuordnen.

Wo wir bei unterschiedlichen Karriere-Ansätzen sind: Du hast mit Katy Perry getourt. Welche Einsichten hat dir denn diese Erfahrung vermittelt?
Man glaubt es vielleicht nicht, aber sie hat sehr viel unter Kontrolle. Und sie ist echt lustig auf der Bühne. Du denkst: Aha, verrückte Perücken, verrückte Kostüme, Candyland und so weiter. Schönes aufgesetztes Image. Aber letztendlich ist sie wirklich so, haha. Wenn sie auf der Bühne ist, muss sie sich eigentlich kaum verstellen. Sie steht da und macht anzügliche Witze vor all den Fünfzehnjährigen. Das finde ich schon witzig.

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Apropos anzüglich. Auf deiner Crowdfunding-Seite gibt es ein Video, in dem du erklärst, wie das Album definitiv nicht heißen wird. Und unter anderem wird da der Titel „Penis“ verhandelt. Warum wolltest du das Album nicht „Penis“ nennen?
Nun, ich bin der Ansicht, „Penis“ ist ein fantastischer Albumname. Vielleicht werde ich eines Tages ein Album namens „Penis“ veröffentlichen. Nebenbei: Es ist auch ein tolles Wort. Aber ich glaube einfach, die Zeit ist noch nicht reif dafür. Vielleicht in zehn Jahren oder so.

Du hast ja auch als Support für OMD gespielt. Als jemand, der Mitte der Achtziger geboren wurde—hattest du überhaupt einen Bezug zu ihrer Musik?
Nicht im Geringsten. Ein paar meiner Freunde kannten sie. Aber was die Achtziger angeht, bin ich eher auf der Seite von Depeche Mode, also der etwas traurigeren Seite von Synthiepop. OMD kannte ich gar nicht. Es hat aber echt Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen. Ihr Publikum ist natürlich viel älter als meins. Ich meine, sie waren so alt, dass sie sogar noch CDs kaufen, haha.

Gibt es irgendeine Haarfarbe, die du noch nicht probiert hast?
Nein, ich hab alle durch. Alle Farben des Regenbogens.

Greifst du darum jetzt auf die langweiligeren Töne zurück?
Genau. Momentan experimentiere ich mit langweilig. Das gerade ist so ein bisschen kackfarben und ich will herausfinden, wie das für mich funktioniert. Interessiert sich noch irgendjemand für mich, wenn ich mit Kacke auf dem Kopf herumlaufe? So eine Art soziales Experiment.

Überträgst du das auch auf deine Outfits? Kommst du in einer grauen Bluse auf die Bühne oder in einem Kartoffelsack?
Ja, vielleicht! Ich muss gestehen, in neutralen Farben fühle ich mich unwohl. Farben machen mich glücklich. Das mit dem Braun war echt eine Überwindung. Es deprimiert mich etwas, wenn ich in den Spiegel gucke, um ehrlich zu sein.

Oh Land’s neues Album Earth Sickness erscheint am 13.02. über Tusk or Tooth / Kobalt.

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