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Lieber Staat, wieso zwingst du mich zur Umfrage?

Der Schweizer Staat möchte, dass du seine Fragen beantwortest und erklärt dir gerne ausführlich, weshalb du dafür dankbar sein musst.
Foto von Florian Oegerli

Ich bin 24 Jahre alt und bis heute habe ich kein einziges Mal einen Brief vom Staat bekommen, in dem etwas Erfreuliches stand. Kein einziges „Du bist super, Florian" oder „Dank Menschen wie dir gedeiht unsere Demokratie". Fehlanzeige. Nichts als Ermahnungen: Teil der Schweizer Armee werden, bloss nicht die Aushebung verpassen, Bussen, weil ich die Aushebung verpasst hatte und—nach meiner Wehrdienstverweigerung—freundliche Erinnerungen, gefälligst meine dreizehn Monate Zivildienst abzuarbeiten. Dazu kommen die alljährliche Steuererklärung und ab und zu ein selbstgestrickter Pullover von einer Berner Nationalrätin, die nicht namentlich genannt werden möchte.

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Foto von TheBernFiles. I Wikimedia I Public Domain

Und nun also auch noch das: „Schweizerische Eidgenossenschaft" prangt auf dem Kuvert. „Strukturerhebung". Ich hatte nicht damit gerechnet, so früh schon in den Rang einer Struktur erhoben zu werden. Aber anscheinend ist es endlich soweit. Ich gehöre zu den auserwählten drei Prozent, die „wichtige statistische Basisinformationen über Bildung, Arbeitsmarkt, Pendlerströme, Familien und Wohnverhältnisse sowie Sprach- und Religionsgemeinschaften in der Schweiz" liefern sollen.

Ich will mich nun nicht etwa beklagen, dass die Fragen kompliziert wären. Im Gegenteil: Sie sind sehr leicht zu beantworten. Beispielsweise will das BFS wissen: „Wie viele Zimmer hat die Wohnung, in der sie leben?" Die Auswahl geht bis 99. Sollten also zufällig Nick Hayek oder Andreas Hoffmann zu den auserwählten Umfrageteilnehmern gehören, können auch sie sie problemlos ausfüllen.

Dass der Schweizer Staat diese Informationen für „planerische Aufgaben" braucht, ist ja an sich schön und gut, gäbe es da nicht einen kleinen Haken: Die Teilnahme ist obligatorisch. Der Bundesrat hat das so beschlossen, und wer sich weigert, kann damit rechnen, mit bis zu 1000 Franken „Aufwandgebühr" bestraft zu werden, wie Georges-Simon Ulrich, Direktor des Bundesamtes für Statistik, erklärt. Das ist ein Problem.

Foto von mjtmail (tiggy)I Flickr I CC BY 2.0

Wer an dieser Stelle eine Aluhut-Tirade gegen den eidgenössischen Orwell-Staat erwartet, den muss ich enttäuschen. Ich habe kein Problem damit, dass die Daten erhoben werden. Denn für den nationalen Zusammenhalt mag es schon durchaus wichtig sein, zu ermitteln, von welcher Adresse aus ich zur Arbeit pendle, denn vielleicht gelingt es der SBB dank diesen Daten, die Pendlerströme irgendwie sinnvoller zu verteilen. (Wahrscheinlich nicht.)

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Doch muss die Datenerhebung denn unbedingt unter Zwang geschehen? Reicht es nicht, dass man Steuern zahlen und wahlweise Wochen in der Kaserne, dem Zivilschutzkeller oder dem Altersheim verbringen muss? —Der Steuerpflicht unterstehen fast alle. Der Volkszählungspflicht nur drei Prozent. Es ist unfair, dass mir Papa Staat nun mit dem Knüppel droht, nur weil ich zur kleinen Minderheit der vom behördlichen Zufallsgenerator Verarschten gehöre.

Aber eigentlich darf ich mich nicht beschweren. Denn wer dem Bund helfen kann, ihn besser kennenzulernen, darf sich glücklich schätzen. Unser oberster Statistiker Georges-Simon Ulrich jedenfalls vergleicht die Volkszählung mit einem „Lottogewinn" und scheint nach eigener Aussage davon zu träumen, selbst einen Umfragebogen zugesandt zu bekommen.

Zusammen mit seinem Kollegen Markus Schwyn, Abteilungsleiter Bevölkerung und Bildung beim BFS, darf Ulrich im „Treffpunkt" auf SRF1 der Bevölkerung eine Stunde lang erklären, weshalb die Volkszählung die Beziehung zwischen Bürger und Staat auf einen ganz neuen Level heben wird—unterbrochen von sinnlicher Musik von Marvin Gaye. Dass der Radiosender SRF1, der zwar gebührenfinanziert ist, sich aber als unabhängig versteht, Schwyn und Ulrich soviel Redezeit einräumt, erscheint nicht gerade wie eine Sternestunde des kritischen Journalismus. Dazu passt auch, dass die SRF1-Webseite Schwyn mit glänzenden Augen „Mister Volkszählung" nennt. In bester direktdemokratischer Manier gibt es übrigens während der ganzen Sendung nicht die Möglichkeit, anzurufen, um den beiden Volkszählern Fragen zu stellen.

Foto von Joel Bombardier I Flickr I CC BY 2.0

Ich kann akzeptieren, dass 3 Prozent der Bevölkerung dazu verknurrt werden, Papa Staat ihre Pendlersünden zu beichten. Ich kann sogar zähneknirschend akzeptieren, dass man gebüsst wird, wenn man den Umfragebogen nicht ausfüllt. Aber dass man sich dafür auch noch anhören muss, dass man sich glücklich schätzen muss, gezwungen zu werden, das geht eindeutig zu weit, Herr Ulrich!

Darüber täuschen auch väterliche Ermutigungen wie „das Umfüllen des Fragebogens kann der Selbsterkenntnis dienen" nicht hinweg. Einer allerziehenden jurassischen Mutter geht es sicher nicht besser, wenn sie weiss, dass es in ihrem Kanton noch ein paar tausend andere alleinerziehende Mütter gibt. Mal ehrlich, lieber Staat was soll der Käse? Wenn ihr mich schon zwingt, dann versucht wenigstens nicht, mir einzureden, ich müsse dafür auch noch dankbar sein!

Deinen statistischen Beitrag kannst du Florian gerne auf Twitter mitteilen: @AdamCSchwarz