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Als die Uni brannte!

Im Oktober 2009 bringt die Situation an den Unis und das marode Bildungssystem an sich, einen der größten österreichischen Studentenproteste hervor. #unibrennt wird geboren und wir erinnern uns gerne daran.

Im Oktober 2009, zu Beginn des Wintersemesters, kam es zu jener Explosion, von der viele von uns ganz Stolz noch ihren Enkeln erzählen werden. Nachdem eine große Mehrheit der Studenten auf Grund der Unterfinanzierung der Uni und der damit einhergehenden katastrophalen Zustände in den Hörsälen schon innerlich brodelte, brachte die Ankündigung, das Bologna-System über weitere Studiengänge zu stülpen, das Fass zum Überlaufen: Einer der größten österreichischen Studentenproteste nahm seinen Lauf und #unibrennt wurde geboren.

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Persönlich denke ich immer noch gerne an die ereignisreichen Wochen zurück. Wie die meisten habe auch ich die Nachricht per SMS bekommen. Nach zwei Semestern Kultur- und Sozialanthropologie habe ich gerade auf Politikwissenschaft umgewechselt, was mich nach einem Jahr „anders" mit seinem Univis-System und den anderen Änderungen quasi wieder zum Erstsemestrigen gemacht hat.

Schon zwei Tage davor hatten Studierende und Lehrende der Akademie der Bildenden Künste gemeinschaftlich die Aula besetzt, um gegen Bologna auf die Barrikaden zu gehen. Dieser Beginn der Aufbruchstimmung wirkte noch immer nach, als ich zu Hause gesessen bin und mein Handy zu surren began. Im Posteingang fand ich ein SMS von meiner alten Volksschulfreundin: „Komm ins Audimax, die Uni ist besetzt". Sofort war ich aufgeregt. Unsere Elterngeneration hatte Hainburg, die Arena-Besetzung, das EKH und die Windmühlgasse—unter vielen. Meine näherste Begegnung mit Aufstand war bei einer Schülerdemo gegen Elisabeth Gehrer—bei der dann auch noch Zeitbescheinigungen ausgeteilt wurden.

Jetzt war unsere Zeit, unsere Chance etwas zu verändern, endlich da. Bevor ich überhaupt noch aufschauen konnte, stand ich schon im besetzten Audimax, die Bandiera Rossa im Hinterkopf spielend. Dass meine Volksschul-Freundin zu diesem Zeitpunkt doch nicht da war, weil sie „auf die Uni musste", war zwar relativ ironisch, spielte aber kaum eine Rolle, weil ich von der Stimmung sofort gefangen war.

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Während gerade eine breite Palette an Forderungen verlesen wurde, arbeitete die PR bereits auf Hochtouren. Über Twitter und Facebook, die hier (vielleicht erstmals bei Protesten in Österreich) eine sehr wichtige Rolle spielten, wurde irrsinnig schnell weiter informiert und mobilisiert. Noch nie zuvor habe ich gesehen, wie soziale Netzwerke so gut und effizient eigesetzt wurden. Etwa ein Jahr später wurde das Phänomen mit dem Begriff der „Twitter-Revolution" im Zuge des Arabischen Frühlings wieder präsent. Natürlich gab es die Sache selbst schon länger und ich hatte etwas Ähnliches schon bei den Protesten im Iran mitbekommen, aber nicht so nah, weshalb es für mich noch sehr neu war.

Kaum gab es etwas Neues im Audimax, ging die Information auch schon um die halbe Welt—und gleich darauf kam eine Antwort aus Argentinien, Spanien, Graz oder Berlin. Für mich war es die „Digitale Revolution" im kleinen Rahmen. Vor allem im Nachhinein bemerke ich, wie wichtig diese Dinge für die Bewegung waren: 5 Jahre danach kennt man unibrennt noch immer—mit einem Hashtag davor.

Die Stimmung war positiv angespannt. Die Leute riefen überschwänglich durcheinander, beklatschten sich selbst und einander gegenseitig, auch wenn das im Audimax eigentlich eine komische und stille Handbewegung bedeutete. Am wichtigsten war jedoch: Ein jeder hatte die Möglichkeit, sich zu äußern. Der erste Tag im Audimax war der Beginn unseres '68 und ich sollte noch viele weitere Tage dort—und in weiterer Folge, den anderen besetzten Hörsälen—verbringen, denn kurz darauf zog die Polizei, die scheinbar von ganz oben den Befehl bekommen hatten, nicht zu räumen, ab und #unibrennt begann so richtig.

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Die basisdemokratisch organisierten Plena sind mir genauso in Erinnerung wie die Volxküche und Workshops. Arbeitsgruppen wurden gegründet, und neben tausenden Studierenden waren auch einige Lehrende involviert. Aber auch Gewerkschafter, Personen aus der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur solidarisierten sich. Die Organisation war einzigartig und alle arbeiteten zusammen mit dem Ziel, maßgeblich etwas zu verändern. Während die einen schon zu kochen anfingen, organisierten andere bereits Geschirr, Besteck und Lebensmittel für die nächsten Tage. Putzdienste wurden genauso gehandhabt, wie das Bemalen von Transparenten oder das Organisieren einer Party. Gesellschaftspolitische Themen sind genauso wichtig genommen und ernsthaft behandelt worden wie Wissenschaftsthemen oder die prekäre Situation der (Drittstaaten-)Studierenden. Es war eine bessere Gesellschaft, eine Art Utopia, nur tatsächlich existierend.

Am 28. Oktober kam es dann zu einer der größten Demonstrationen gegen die österreichische Bildungspolitik, die Österreich je gesehen hat. Damit fand die traditionell ignorierte Thematik auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und wurde plötzlich für eine breitere Schicht interessant. Die Politik von Johannes Hahn, damaliger Wissenschaftsminister, kam in die Kritik— selbst die eigene Partei schien ihn loswerden zu wollen—und die Medien griffen die Sache auf. Plötzlich gab es keine Möglichkeit, am Bildungsthema vorbeizukommen. Im Gegenteil wurde es zum bestimmenden Diskurs der nächsten Zeit und führte zu einer breit geführten Diskussion—wahrscheinlich eine der größten Errungenschaften der Bewegung.

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Johannes Hahn, der gerade zum Wolfgang Schüssel der Bildung avancierte, musste seinen Posten als Wissenschaftsminister räumen und zog weiter nach Brüssel, um Kommissar für Regionalpolitik zu werden—womit das österreichische Bildungssystem wenigstens das Schweigen und die Manifestation des Stillstands los war. Auch seine Nachfolgerin Beatrix-„Es ist kein Paradies, aber besser als je zuvor"-Karl wurde ordentlich in die Bredouille gebracht. Außerdem erinnere ich mich gerne an Ereignisse, wie das Vernetzungstreffen in Graz, bei dem ich Diskussionen geführt und gehört habe, die endlich einmal wirklich nach Veränderung aussahen.

Ich sah zu, wie im Audimax der Pressespiegel—eine Wand, an der alle Artikel und Meldungen der Medien über die Ereignisse—aktualisiert wurde und immer mehr Medienberichte kamen, bis die Wand so zugeklebt war, dass es schwer wurde, überhaupt noch einzelne Artikel wiederzufinden. Gleichzeitig flatterten ohne Unterbrechung Grußbotschaften und Solidaritätsbekundungen ein. Sowohl national als auch international weiteten sich die Besetzungen aus. Der Begriff des „Audimaxismus" wurde geboren, Vernetzungstreffen und Aktionstagen abgehalten, eine Zeitung gegründet und die Weltpremiere von Bock for President in die besetzte Uni verlegt. Aber irgendwann war auch bei dieser Bewegung die Luft draußen.

Nach ziemlich genau zwei ereignisreichen Monaten ließ das Rektorat am 21. Dezember das Audimax räumen und die sich darin aufhaltenden Obdachlosen wurden zu früher Stunden in die Eiseskälte gesetzt. Andere Hörsäle harrten zwar noch länger aus, die Bewegung war jedoch langsam am Einschlafen und Zerfallen. Mit vorausschauendem Energiehaushalts-Management wäre die Zeit wahrscheinlich aber auch nicht so aufregend und fruchtbar gewesen.

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Dieses Jahr feiert #unibrennt seinen 5. Geburtstag und die bildungspolitische Situation hat sich mehrheitlich nicht nur nicht verändert, sondern in vielen Bereichen sogar weiter verschlimmert: Die Einführung der Aufnahmeprüfungen hat sich ausgeweitet, die sogenannte „Studieneingangs- und Orientierungsphase" (STEOP) wurde geschaffen, die Universität Wien rutscht im internationalen Uni-Ranking immer weiter richtung Erdkern und die Neos polarisieren mit einem Vorschlag über Studiengebühren mit bis zu 1.500 Euro pro Semester.

Während die einen zum Jahrestag auf eine Revitalisierung der Aufbruchsstimmung hoffen, machen sich andere ihre Gedanken über mögliche Auswirkungen. #unibrennt als Bewegung gibt es als solche nicht mehr und das Jubiläum kann und soll niemals wie 2009 werden. Sorgen machen mir dabei die Erinnerungen an 2010, wo einige Leute unter dem Deckmantel des ersten Jahrestag ihre Chance sahen, nach einer Demo die „Uni wieder zu besetzen"—und damit vor allem meinten: sich anzusaufen und Leute zu beschimpfen. Das ist nicht nur nervig, sondern auch schädigend und ich nehme so etwas sogar persönlich, da ich mir die guten und wichtigen Erfahrungen nicht durch so etwas kaputt machen lassen will.

Vom 20. bis 26. Oktober 2014 findet eine sozial- und bildungspolitische Aktionswoche von #unibrennt statt. Aus diesem Anlass habe ich mit Luca Hammer, damaliger Initiator der #unibrennt-Webseite und von Beginn an maßgeblich an den Protesten beteiligt, gesprochen und seine Meinung zu einigen Fragen eingeholt:

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VICE: Ist #unibrennt gescheitert?
Luca: Nein, zumindest für mich nicht. #unibrennt war nicht als langfristige Kampagne ausgelegt, es stand weder eine Organisation, noch eine Partei im Hintergrund. Der Ausdruck von Unzufriedenheit war spontan und ansteckend. #unibrennt war eine Plattform, bei der jeder die Möglichkeit hatte sich einzubringen und die tausende Studierende verändert hat. Für viele, auch für mich, war es die erste intensive Auseinandersetzung mit Hochschulpolitik, mit Politik im Allgemeinen. Aber das Thema, wenn auch nur für kurze Zeit, ist in den Vordergrund der medialen Auseinandersetzung gerückt.

Unter welchen Bedingungen wäre #unibrennt überhaupt „erfolgreich" gewesen?
Wenn alle Forderungen umgesetzt worden wären? Wenn der Bologna-Prozess umgekehrt worden wäre (was übrigens nicht gefordert wurde)? Wenn für Bildung mehr Geld aufgewendet worden wäre? Und wenn ja, wie viel mehr? Rückblickend konnte #unibrennt nur auseinanderfallen. Das begann sich bereits abzuzeichnen, als sich das Selbstverständnis änderte. Manche forderten Aktionismus, andere eine längerfristige Organisation und das Ziehen an einem gemeinsamen Strang. Diesen gemeinsamen Strang gab es jedoch nicht, es gab „Unzufriedenheiten" mit den unterschiedlichsten Aspekten. #unibrennt hatte einen Einfluss und Auswirkungen auf das Leben einzelner und auf die Gesellschaft als gesamtes. Ich finde das reicht, um sagen zu können, dass #unibrennt nicht gescheitert ist.

Wo siehst du die Stärken und Probleme der Bewegung. Wieso hat es damals funktioniert/nicht funktioniert?
Die größte Stärke war die Energie, die freigesetzt wurde: Unglaublich motivierte Menschen kamen zusammen, hörten sich gegenseitig zu und agierten solidarisch miteinander.
Doch irgendwann hat sich diese Energie einfach verbraucht.Unterschiedliche Ereignisse—die Besetzungen an anderen Universitäten, Unterstützungserklärungen aus den unterschiedlichsten Richtungen, selbst die Partys—haben neue Energien freigesetzt, aber jede Diskussion, jedes Problem, hat diese Energie wieder aufgesaugt.
Und dann kam die Ernüchterung, dass sich die Gesellschaft viel langsamer verändert, als neue Ideen entwickelt werden. Demokratie funktioniert langsam—und das ist auch gut so—, aber diese Langsamkeit kann halt auch sehr zermürbend sein. Die Medien ziehen weiter und plötzlich steht man wieder alleine da. Egal wie laut man schreit, die Leute gehen heim und der Alltag setzt wieder ein.

Waren die Themen zu gesellschaftspolitisch aufgezogen und die Forderungen zu unrealistisch?
Nein. Die einzige Möglichkeit die Forderungen zuzuspitzen und realistischer zu machen, wäre gewesen einzelnen Personen und Gruppen zu sagen, dass ihre Bedürfnisse nicht so wichtig sind wie die von anderen. Das ist teilweise auch passiert, aber ich bin froh, dass es sich nicht durchgesetzt hat. Ich glaube nicht, dass die Unterstützung so breit gewesen wäre, wenn man Leute abgewiesen hätte beziehungsweise, wer hätte sie abweisen sollen? Ich bezweifle, dass eine kleine, realistische Forderung mehr Erfolg gehabt hätte. Solche gibt es ständig. Manche werden von der Politik beachtet, manche nicht. Wozu dann noch #unibrennt?

War die basisdemokratische Ausrichtung sinnvoll oder hat sie die Bewegung zum einschlafen gebracht?
Beides. Sie war sinnvoll und hat zur Zerfaserung beigetragen. Ein anderer Weg wäre gar nicht möglich gewesen. Die ÖH wird gewählt und vertritt die Studierenden. Wozu soll man die Uni besetzten, wenn man dann nur eine zusätzliche Vertretung hat/bekommt, die unmöglich alle Studierenden vertreten kann? Man kann seine Ideen auch so an die ÖH herantragen—oder an andere Stellen.
Und hätte man die ÖH als Vertretung gewählt, dann hätte man ihr vielleicht minimal mehr Macht gegeben, aber sonst nichts verändert. Wie gesagt war #unibrennt keine politische Vereinigung. Wie hätte die Politik wohl reagiert, wenn eine Vertretung an sie herangetreten wäre und verhandelt hätte? Hätte es Zugeständnisse gegeben, dafür dass man das Audimax räumt? Und dann? Wo ist die Macht der Vertretung, wenn das Audimax leer ist? Plötzlich wäre da ein paar Leute, die von einer Gruppe gewählt wurden, die es nicht mehr gibt.