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DIE HEIMAT BIST DU GROSSER TÖCHTER SÖHNE ISSUE

Österreichs guter Geist und schlechtes Gewissen

Seit mehr als zehn Jahren bietet Ute Bock Asylwerbern eine Unterkunft.

FOTOS VON PIOTR SOKUL

Ute Bock ist eine Frau mit genauso viel Stammwürze wie die gleichnamige Biersorte, was auch einer der Gründe dafür sein könnte, weshalb in den Jahren 2003 und 2007 rund 70 Wiener Lokale mit der Aktion „Bock auf Bier“ bzw. „Bock auf Bier reloaded“ zu mehr Bewusstsein für Flüchtlingshilfe in Österreich aufriefen. Eine doppelt gute Sache, denn 10 Cent pro Gerstensaft flossen dabei an ihren Verein und damit in die direkte Unterstützung von Flüchtlingen, was uns wochenlang immer betrunkener, aber auch wohltätiger werden ließ. Bis dahin wusste man von Frau Bock in jenem Teil Österreichs, der die eigene Unbedarftheit gegenüber NGOs, sozialen Hilfsprojekten und der Asylthematik durch umso größere Trinkfestigkeit wettzumachen versuchte, so gut wie gar nichts.

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Seither (und das hat natürlich nicht nur mit Bier zu tun) ist sie ein unverwüstlicher Fixpunkt bei jeder neu aufflammenden Diskussion rund um Asylsuchende—und das völlig zu Recht, weil es diese Debatte ohne sie wahrscheinlich gar nicht erst gäbe. Denn wer kurz den gedanklichen Vorstoß in das beängstigende Paralleluniversum wagt, in dem Ute Bock nicht gleichzeitig der gute Geist und das schlechte Gewissen Österreichs verkörpert, wird ziemlich schnell mit Tränen in den Augen wieder zurückkommen wollen. Ohne ihre Vorarbeit wäre vielleicht der Refugee-Protest vor und in der Wiener Votivkirche gar nicht erst möglich gewesen. Und falls doch, hätten wir diesen nur in Form von noch mehr Schulterzucken und zündlerischer (Kronen-)Zeitungshetze mitbekommen.

Ute Bock hat die Flüchtlinge in Österreich auf die mediale Landkarte geholt und damit begonnen, ihre wahre Situation ganz ohne Tränendrüsenduselei zu kartografieren, damit wir nicht mehr wie geköpfte Legehennen ahnungslos gegen Wände und Tabus rennen müssen, während wir jeden Tag ein neues Vorurteils-Ei aus uns herauspressen. Dank Ute Bock haben die Wände jetzt Fenster und die Tabus Türen. Was diese spezielle Landkarte angeht, ist auf ihr die Welt noch immer eine Scheibe und voller weißer Flecken. Aber wenn es irgendjemanden gibt, der den Grundstein für eine Weltumseglung gelegt hat, dann wohl Ute Bock. Dabei hilft sie den Flüchtlingen nicht einmal, weil sie sie alle aufs Innigste liebt. Sie hilft ihnen, weil sie der Meinung ist, dass auch jene Menschen die gleichen Chancen wie wir verdient haben, die einem vielleicht wurscht sind. Wenn es also jemals eine gute Seite des österreichischen Pragmatismus gegeben hat, dann ist es wohl die.

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Aber nun genug der überschwänglichen Verehrung, hier die Fakten. Als gebürtige Linzerin brauchte Ute Bock nur ein Jahr Privatwirtschaft, um zu wissen, dass sie lieber Erzieherin werden wollte. 1969 begann sie ihre Arbeit im Gesellenheim Zohmanngasse im 10. Bezirk, wo sie 1976 zur Leiterin aufstieg und rasch den Ruf bekam, dass man alle Jugendlichen, die sonst niemand wollte, ruhig „zur Bock“ schieben könnte, weil sie als Einzige niemanden abwies—egal, ob Kinder aus Gastarbeiterfamilien oder unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Mit einer Arbeitsmoral, die selbst einem US-Präsidenten ein schlechtes Gewissen machen würde, und der festen Überzeugung, dass es „Integration nur durch Kontakte“ geben könne, half sie bis 1999 so vielen Asylsuchenden, wie sie nur konnte. Bis die Gemeinde Wien schließlich eine Razzia in ihrem Heim durchführte, 30 afrikanische Jugendliche und junge Erwachsene wegen Verdachts auf Drogenhandel festnahm und ihr jede weitere Unterbringung von Asylsuchenden verbot. Seit 2002 ist Ute Bock in Pension und arbeitet ohne größere Pausen in ihrem Verein weiter für die Chancengleichheit benachteiligter Menschen, die es sich nicht ausgesucht haben, dass ihre Heimat von Bomben oder Bürgerkriegen zerstört wird.

Wer sie telefonisch erreichen will, trifft sie auch samstags in ihrem geschäftigen Büro an. Wenn sie nicht gerade schläft oder ein wichtigeres Telefonat führt, hat sie in der Regel immer Zeit für jedes noch so nervige Problem wildfremder Leute, denen sie mit geradezu buddhistischem Wiener Schmäh geduldig zuhört, bevor sie die Ärmel hochkrempelt und umgehend an der Lösung zu arbeiten beginnt. Wenn euch das kein schlechtes Gewissen macht und ihr am liebsten jetzt sofort selbst etwas bewegen möchtet, weiß ich auch nicht.

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Liebe Frau Bock, was sagen Sie aus Ihrer Arbeitserfahrung als Flüchtlingshelferin: Ist Österreich besonders fremden- bzw. flüchtlingsfeindlich? Oder glauben Sie, dass nur Medien und Politik immer wieder die „historischen Altlasten“ um das Ausländerthema ins Spiel bringen?

Ute Bock: Es ist zwar besser geworden, aber leider gilt in Österreich immer noch: Alles, was man nicht kennt, fürchtet man. Deshalb ist es besonders wichtig, die wahre Situation der Flüchtlinge einer breiten Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Nur so können wir verhindern, dass die Leute den Medienberichten glauben, die oft den Eindruck vermitteln, als würden die Flüchtlinge nur aus Jux und Tollerei in unser Land kommen, in dem Milch und Honig fließen. Denn die Wahrheit ist: Wenn man sein altes Leben aufgibt, sein gewohntes Umfeld zurücklässt und dabei auch oft Namen und Geburtsdatum ändern muss, ist das so ähnlich, wie sich selbst immer wieder sterben zu lassen.

Verstehen Sie in Bezug auf den Flüchtlingsprotest in der Votivkirche eigentlich alle beteiligten Seiten?

Ich verstehe beide Seiten, ja. Auf der einen Seite müssen die Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat verlassen, nehmen den schweren Weg zu uns auf sich und bekommen hier schließlich nicht einmal was zu essen. Auf der anderen Seite befürchten die Menschen in Österreich, zu viel Nettigkeit könnte dazu führen, dass die Flüchtlinge es sich bequem machen, von ihren Steuergeldern leben und der heimischen Bevölkerung die Arbeitsplätze wegnehmen.

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Sie haben das Protestcamp besucht, als es noch im Sigmund-Freud-Park vor der Kirche aufgeschlagen war. Können Sie uns Ihren Gesamteindruck des Asylprotests vor Ort schildern?

Ich habe das Protestcamp gleich am zweiten Tag gemeinsam mit Josef Hader besucht, weil ich eingeladen wurde. Der Zustand der Lager und die Lebensbedingungen für Flüchtlinge sind nach wie vor eine Schande für Österreich. Eigentlich sollten wir uns als Gesellschaft dagegen wehren und nicht die Schuld für die Lage indirekt wieder auf die Asylwerberinnen und Asylwerber abwälzen, die gerade nach Österreich gekommen sind.

Der Protest begann ja als Demonstration gegen die Situation im Flüchtlingslager Traiskirchen. Ist ein Protest gegen die Lage dort gerechtfertigt?

Die Asylwerberinnen und Asylwerber müssen mit schwierigen Verhältnissen klarkommen—sie haben oft fürchterliche Angst, wobei ich das Wort „traumatisiert“ nicht weiter überstrapazieren will. Man darf sich nicht wundern, dass es in den Erstaufnahmezentren oft rau zugeht, wenn man die Menschen hier völlig alleine lässt. Auf der anderen Seite ist das Lager Traiskirchen schlichtweg überfordert. Natürlich kann man nicht von heute auf morgen alles, was an Material und Unterstützung benötigt wird, herbeischaffen. Einen positiven Aspekt gibt es aber am aktuellen Protest: Die wahren Zustände wurden nun endlich öffentlich gemacht. Durch die mediale Aufmerksamkeit erfahren viele Menschen zum ersten Mal von der Thematik, vor allem, was den Zugang zum Arbeitsmarkt betrifft.

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Wie sieht es mit der Versorgung im Lager Traiskirchen aus? Wie genau könnte man aus Ihrer Sicht die Situation verbessern?

Im Detail kann ich nicht sagen, wie es im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen aussieht. In Biedermannsdorf, wo ich früher gearbeitet habe, waren die Anrainer vom Standort des Heimes zwar nicht durchgehend begeistert, trotzdem gab es ein Netz an Unterstützung. Das Brot wurde vom örtlichen Bäcker geliefert, das Fleisch vom Metzger und so weiter. Somit profitierte auch die Gemeinde von der Nähe zum Lager. Mittlerweile sieht man aber nur noch Nachteile. Jeder regt sich auf. Flüchtlingslager und Unterkünfte für Asylwerbende werden als Fremdkörper gesehen. Die Zulieferung von „außen“, mit der das Lager vom örtlichen Leben noch weiter isoliert wird, trägt leider zu keinem sinnvollen Ergebnis bei.

Das Innenministerium betont, dass Einzelschicksale geprüft würden, es aber grundsätzlich kein Problem im österreichischen Asylsystem gebe. Die Dauer der Verfahren sei zum Großteil sehr kurz. Entspricht dies auch Ihrer beruflichen Erfahrung?

Das ist keine Entschuldigung dafür, wenn wir uns im oberen Drittel des Wohlstands befinden, dass wir daran nichts verbessern können und wollen. Es ist auch unsinnig, hier über andere Staaten zu reden, wo der Zustand noch schlimmer ist. Ausreden führen zu keinem Ziel. Die Orientierung an anderen Ländern, die praktisch nichts für ihre Asylwerber tun, darf keine Entschuldigung dafür sein, dass auch wir weiterhin so wenig für sie tun.

Noch eine persönliche Frage, da Sie sich sonst ja immer die Probleme anderer anhören müssen: Geht es Ihnen eigentlich gut? Wohin wenden Sie sich mit Ihren eigenen Anliegen?

Ich habe persönlich eigentlich keine Probleme. Die Wehwehchen, die in fortgeschrittenem Alter so auftauchen, bemerke ich natürlich auch bei mir, aber davon erzähle ich dann meinem Doktor.

Und so politisch unkorrekt es auch sein mag: Nervt es nicht auch manchmal, sich immer mit den Schwierigkeiten fremder Menschen zu beschäftigen? Was geht Ihnen bei Ihrer Arbeit am meisten auf den Wecker?

Meine Unordnung. Ich suche den ganzen Tag irgendetwas und finde es nicht, das ist entsetzlich.