FYI.

This story is over 5 years old.

News

Mustafa hungert für Gerechtigkeit

Mustafa Mutlu ist seit mehr als 45 Tagen im Hungerstreik vor dem Auswärtigen Amt in Berlin und nascht seitdem nur Wasser und Tee.

Mustafa Mutlu ist 54 Jahre alt und seit dem fünften September im radikalen Hungerstreik vor dem Auswärtigen Amt in Berlin. Seit nun mehr als 43 Tagen nimmt er nur noch einige Weintrauben, viel Wasser und Tee zu sich. Seine Wäsche trocknet auf einem Fahrradständer hinter der Parkbank, von wo aus er sie immer im Blick hat. Zwei Polizisten vor dem Amt haben ihn unterdessen Tag und Nacht im Auge, während Mustafa an seinem Proteststand steht, der aus einem großen Schild und dem Nötigsten, dass er zum überleben braucht, besteht. Mustafa ist türkischer Staatsbürger, lebt jedoch seit über 30 Jahren in Deutschland und hat hier zwei Kinder. Sein Grund für den Hungerstreik ist eigentlich eine lange Geschichte, aber begann vor ein paar Jahren mit seiner Exportfirma—als ein Geschäftspartner aus Abu Dhabi sich weigerte, ihn zu bezahlen und Mustafa auch noch die Dokumente zur Geschäftsabwicklung gestohlen wurden, wandte er sich an die deutsche Botschaft vor Ort. Dort half man ihm zuerst im Rahmen der Möglichkeiten, doch als sie feststellten, dass er kein deutscher Staatsbürger ist, erteilte man ihm Hausverbot und verwies ihn weiter an die türkische Vertretung. Da seine Firma jedoch in Aachen gemeldet war, konnte man ihm dort auch nicht helfen und verwies ihn zurück an die deutsche Botschaft. Nun fordert Mustafa Gerechtigkeit, zumindest irgendeine Art von Gerechtigkeit von Irgendjemandem. VICE: Hallo, Mustafa, wieso gerade ein Hungerstreik?

Anzeige

Mustafa Mutlu: Ich schade niemand damit, es ist eine Form des gewaltfreien Protests, die Aufmerksamkeit erregt. Man geht dabei an seine Grenzen und zeigt der Außenwelt, wie sehr man etwas will. Wie erging es dir in den letzten Wochen und wie reagieren Leute auf dich?

Manche halten mich für einen Obdachlosen, wollen mir Geld, Essen oder Kleidung geben, aber diese Menschen verstehen nicht, wofür ich kämpfe. Ich empfinde es als demütigend, mich wie einen Obdachlosen zu behandeln zu lassen, ich will weder Mitleid, noch milde Gaben. Stehen diese beiden Polizisten immer hier?

Ja, 24 Stunden am Tag, trotzdem wurde ich am Sonntag bestohlen. Mein Schlafsack, meine Bücher und Funktionskleidung gegen die Kälte sind verschwunden, obwohl dieser Platz permanent von den beiden Herren beobachtet wird. Ich war nur kurz im gegenüberliegenden Hotel, um mir heißes Wasser zu holen. Es wird langsam ziemlich kalt draußen. Wie hältst du das aus, vor allem nachdem dein Schlafsack am Sonntag gestohlen wurde?

Der Diebstahl an sich war nicht schlimm, es waren wohl Leute, die warme Kleidung brauchten, oft verschenke ich sogar einige Sachen an „echte“ Obdachlose. Aber als ich die Polizei fragte, wo meine Sachen waren, lachten sie nur und fragten mich, wovon ich den rede. Ich hab mich umgedreht und bin gegangen, ich lasse mich nicht demütigen. Sollte mir kalt werden, kann ich mich im Hotel gegenüber immer aufwärmen. Ich bekomme heißes Wasser, reibe zuerst meine Hände, dann mein Gesicht damit ein und trinke den Rest ganz langsam. das wärmt von innen auf.

Anzeige

Wie hast du dich überhaupt darauf vorbereitet?

In den letzten beiden Jahren habe ich immer wieder gefastet, um meinen Körper darauf zu trainieren, auch ohne regelmäßige Nahrungszufuhr zu funktionieren. Sicher kennst du den Ramadan. Ich selbst bin nicht besonders muslimisch, aber meine Familie ist es und so musste ich von klein auf 30 Tage am Stück fasten können. Das heißt, ich trainiere schon mein ganzes Leben darauf hin. Was ist mit deinen Kindern und deiner Exfrau? Wissen sie von deinem Protest?

Meine Exfrau weiß es, aber meinen Kindern habe ich nichts erzählt, ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen um ihren Papa machen. Würden sie erfahren, dass ich hier draußen vor dem Amt schlafe, streike und nichts esse, würden sie mich sofort bitten, abzubrechen. Wurde dir Aufmerksamkeit vom Auswärtigen Amt zuteil, hat sich jemand mit dir unterhalten?

Peter Hilker, ein Beamter vom Auswärtigen Amt hat mich bereits angesprochen, er wollte die Telefonnummern meiner Kinder, wahrscheinlich, um mit ihnen über meinen gesundheitlichen Zustand zu sprechen. Diese Telefonnummern bekam er nicht, aber er kontaktierte meinen Hausarzt und wollte vertrauliche Informationen—dank der ärztlichen Schweigepflicht konnte man ihn zu nichts zwingen. Du hast eine Genehmigung hier zu streiken, aber das Auswärtige Amt sieht es sicher nicht gerne. Wollte man dich schon mal "vertreiben"?

Ein Sozialarbeiter, der laut eigener Angabe von Hilker beauftragt wurde, hat mich um ein Gespräch gebeten. Immer und immer wieder fragte er, ob ich nicht geistig verwirrt sei, oder ob ich in ein Obdachlosenheim will. Mich als einen Obdachlosen und geistig verwirrt zu bezeichnen, kränkt mich sehr, kann denn jemand, der geistig nicht bei vollem Verstand und fest entschlossen ist, einen solchen Streik durchstehen? Man soll verstehen, dass es mir nicht um Geld geht. Ich bin finanziell abgesichert, ich will als der normale Mensch behandelt werden, der ich bin. Ich will Hilfe von meiner Heimat und die ist eben Deutschland. Ein Ende sieht Mustafa vorerst nicht, er ist darauf fixiert, bis an seine körperlichen und geistigen Grenzen zu gehen.