Das gewaltsame Wochenende im Istanbuler Viertel Okmeydanı

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Das gewaltsame Wochenende im Istanbuler Viertel Okmeydanı

Die Proteste gegen Erdogans Politik endeten in blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei, bei denen zwei Menschen getötet wurden.

Am 22. Mai 2014 versammelten sich Demonstranten in Okmeydanı, einem Stadtteil von Istanbul, in dem die Aleviten einen großen Anteil der Bevölkerung ausmachen. Sie waren dort, um den Opfern des Grubenunglücks von Soma zu gedenken und Gerechtigkeit für den Tod des fünfzehnjährigen Berkin Elvans zu fordern, der sein Leben bei den Gezi-Protesten verloren hatte.

Die Polizisten versuchten, die Demonstranten mit Tränengas und Wasserwerfern zu zerstreuen, dabei feuerten sie auch Schüsse in der Nähe eines Cemevi (ein alevitisches Gotteshaus) ab. Ugur Kurt, ein alevitischer Bürger, der gerade an einer Beerdigung teilnahm, wurde von einem Irrläufer getötet. Bei den anschließenden Zusammenstößen verlor ein weiterer unschuldiger Bürger sein Leben. Okmeydanı wird von der Regierung schon lange als „Hotspot für politische Kriminelle“ betrachtet und ist an polizeiliche Interventionen gewöhnt. Dass auch Gotteshäuser beschossen werden, hatte jedoch niemand erwartet.

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Die Bewohner von Okmeydanı haben ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass seit dem Beginn der Gezi-Proteste vor allem Aleviten umgekommen sind (acht Demonstranten, darunter auch Berkin Elvan, der von einem Tränengaskanister erschlagen wurde). Natürlich fürchten die Aleviten aus Okmeydanı—sowie Aleviten in der gesamten Türkei—, dass die staatliche Brutalität gegen ihre religiöse und politische Identität gerichtet ist.

Diese Furcht zeigte sich am Wochenende auf den Straßen von Okmeydanı. Irgendwann am Freitag kamen Sturmhauben tragende Demonstranten zu den Straßenprotesten hinzu und schwangen Molotowcocktails, Pistolen und Jagdgewehre. Die roten Sturmhauben liessen darauf schliessen, dass sie zur marxistischen Partei DHKP/C gehören, die in der Türkei als terroristische Organisation gilt. Viele waren überrascht, dass ihr Auftritt sich nicht zu einem schonungslosen Gefecht mit der Polizei entwickelte. Die Polizisten zogen sich an den Rand des Viertels zurück und feuerten aus der Entfernung Tränengas und Gummikugeln ab. Die Aktivisten schlugen zurück, indem sie Molotowcocktails warfen und Eisenmurmeln schleuderten, mit denen sie die Überwachungskameras des Viertels außer Betrieb setzten. In den frühen Morgenstunden verschwanden sie.

Die Gezi-Proteste haben ein kritisches Bewusstsein in einem Teil der türkischen Gesellschaft erzeugt, der der Mainstream-Medien überdrüssig geworden ist und seine Aufmerksamkeit auf Okmeydanı richtet. Die Ereignisse der letzten Woche werden die staatliche Brutalität im Viertel steigern und noch stärkeren Widerstand auf der anderen Seite bewirken. Einige meinen, Okmeydanı könnte das neue Gezi werden. Im Zuge der letzten Entwicklungen hat die Polizei angefangen, Leute anzuhalten und zu überprüfen, aber auch Verhaftungen und Hausdurchsuchungen durchzuführen. Nach Polizeieinsätzen, die durch Spezialeinheiten und Helikopter unterstützt wurden, befinden sich Dutzende Menschen in Untersuchungshaft.

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