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It's still real to me, damn it!

Wrestling als Sport der echten und gefaketen Tode

Vom visionären, aber leider auch vermessenen Doktor Mac-Man, der glaubt, das Wrestling-Business mithilfe seiner Mainstream-Maschine in etwas Nobles, Unterhaltendes, Bühnenreifes verwandeln zu können, und schließlich doch vom proletoiden Paranoia-Mob...

Unsere Top 3 von Vince McMahons wildesten Matches starten heute mit: Vinnie Mac vs. den Tod. Denn im Jahr 2007 war Sterben noch so lustig, dass es selbst unser Lieblingsmilliardär mal ausprobieren wollte. Das führte dann auch zu einem der befremdlichsten, lyncheskesten und gestrecktesten TV-Momente der jüngeren Wrestling-Geschichte: Inklusive Brainfuck, Shitstorm und explodierender Limo. Aus heutiger Sicht eine Synopsis der Ereignisse von damals zu schreiben, ist ein bisschen, wie einer Horde Ärzten zu erklären, was man auf Acid sieht, während man auf Acid ist. Also: eine echte Herausforderung und gleichzeitig eine ziemlich gute Fingerübung in Keeping a straight face while suffering from cerebral bleeding.

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Herausfordernd vor allem auch deshalb, weil zuerst mal zirka 8 Minuten lang absolut nichts passiert, bevor plötzlich ein Wumms die Welt wie Hämorrhoiden auseinanderreißt. Eigentlich sehen wir nämlich nur, wie McMahon von seinem Büro in den Ring und von dort zu seinem Wagen zombiewalkt, und trotzdem wissen wir, dass etwas ganz und gar nicht richtig ist.

Was vielleicht daran liegen könnte, dass Vinnie Mac während all dem kein einziges Wort spricht und jedes einzelne Gesicht so entgeistert anstarrt, als würden ihm aus den Augen Eiterbeulen gefüllt mit Mehlwürmern wachsen. Eine gefühlte Ewigkeit mäandert Mr. McMahon durch die Innereien seiner eigenen Erfindung, die ihm scheinbar fremd geworden ist, und wird dabei von den Fans geächtet, von den Wrestlern angegafft und von den Arbeitern betuschelt. So sah die Welt währenddessen durch seine Augen aus:

In Zeitlupentempo flüchtet McMahon schließlich auf den Parkplatz, so als würde ein Teil von ihm „Lauf weg!“ schreien und ein anderer „Uh-eh-uh-ah-ah-ding-dang-walla-walla-bing-bang!“ Dann steigt er in seine Limousine ein und plötzlich geht das ganze Scheißhaus in Flammen auf.

Wenn ihr mich fragt, ist das ziemlich kranker Shice – und ich meine nicht krank wie in einer anständigen Wrestling-Storyline über ein bisschen Spaß-Sex mit toten Cheerleaders (mehr dazu ein andermal), sondern richtig krank, wie in: pathologisch abgedrehter, richtig verstörender, psychohygienisch unsauberer Shice. Hier büdde:

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Wenn ihr den Hochglanz-Lack mal ein bisschen abkratzt, ist die eigentliche Geschichte nämlich die vom Frankenstein-Monster WWE – das aus den Leichenteilen der früheren WWF und der vermoderten WCW zusammengeflickt wurde und über die Jahre zur unberechenbaren Bestie mutiert ist –, und seinem ohnmächtigen Schöpfer: Dem visionären, aber leider auch vermessenen Doktor Mac-Man, der glaubt, das Wrestling-Business mithilfe seiner Mainstream-Maschine in etwas Nobles, Unterhaltendes, Bühnenreifes verwandeln zu können, und schließlich doch vom proletoiden Paranoia-Mob seiner eigenen hirnlahmen Wrestler (und von einer fiktiven Autobombe) in Stücke gerissen wird.

Wenn das auch nur im Geringsten mit McMahons Selbstbild zu tun hat, muss der alte Mann das Wrestling-Geschäft wirklich hassen. Nicht, dass es nicht immer wieder Stimmen gäbe, die genau das behaupten, aber bis zum Fake-Tod seines TV-Charakters am 11. Juni 2007 war zumindest ich ums Verrecken nicht bereit, mit von der paranoiden Partie zu sein und den Irren recht zu geben, die ihn immer schon als selbstmitleidig, größenwahnsinnig und angewidert beschreiben.

Seither bin ich mir nicht mehr so sicher – im Bezug auf so ziemlich alles. Irgendwie warte ich immer noch auf die eine klärende Folge von WWE Monday Night Raw, die mir die Augen wie Popcorn aufgehen lässt; aber gleichzeitig weiß ich, dass jede vernünftige Erklärung für, naja, DAS ALLES im selben Zeitpunkt gestorben ist wie diese ganze Storyline.

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Denn anstelle eines Fake-Begräbnisses bekam die Welt am 25. Juni 2007 die durchaus echte Familientragödie des Wrestlers Chris Benoit um die Ohren gehauen, der kurz zuvor seine Frau, seinen achtjährigen Sohn und dann sich selbst ermordet hatte. Noch mehr kranker Scheiß also.

Weil die WWE aber mit der ganzen McMahon-Todes-Story die Grenzen zum wirklichen Sterben fast schon ins Transzendentale verschoben hatte, half nur eins, um dem echten Horror beizukommen, und das war der Auftritt des vermeintlich toten Vincent Kennedy McMahons, abseits seiner Rolle als Wrestling-Figur “Mr. McMahon”, ganz ohne Schauspielerei und vor leeren Sitzplätzen.

Bevor ihr mit dem Schauen loslegt, sollte ich wahrscheinlich noch sagen, dass die Sache mit Benoits Mord an seiner Familie erst einen vollen Tag später ans Licht kam und zum Zeitpunkt der TV-Ausstrahlung noch von einer Art Raubüberfall mit Todesfolge ausgegangen wurde, weshalb die WWE ihrem traurigen Helden im ersten Reflex auch eine dreistündige Tribut-Sendung spendierte, wo noch in den höchsten Kastratentönen über den Mann gesungen wurde, der seinen behinderten (sagt man nicht) achtjährigen Sohn ausgerechnet mit seinem Wrestling-Finishing Move getötet hatte …

Das Video ist also eine überholte Grußkarte aus der Twilight-Zone zwischen Helden-Verehrung und Psycho-Verachtung und inzwischen genau wie jede Erwähnung des Namens Benoit völlig aus dem WWE-Universum getilgt. Auch die McMahon-Storyline hat aus heutiger Sicht einfach nie stattgefunden. Punkt. Alles in allem nicht gerade die lustigste Geschichte aus der illustren Federboa-Welt des Wrestling, aber zumindest die irrste. So.

Da ich jetzt absolut keinen Plan habe, wie ich diese morbide Stimmung noch retten soll, vor allem, wenn ihr mich alle so entgeistert anstarrt, spar ich mir die flapsigen Sprüche und tu einfach, als wäre nichts gewesen. Hey, schaut mal hinter euch! Ein steppender Nacktmull!

In Bezug auf unser heutiges Match und in Anbetracht der Tatsache, dass McMahon selbst nach seinem Tod wieder im Ring auftauchte, würde ich sagen: Der Sieger dieses Matches ist (oh Wunder!) Miiiiiiisteeeeeeeeeeer McMaaaaaaahoooooon!

Nächstes Mal tritt der Gewinner gleich noch mal gegen den Gevatter an. Und wir nähern uns dem großen Finale. Bis dahin: Mahalo!