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Bekenntnisse eines Kochs: Das Leben im Weißen Haus, Teil 1

Walter Scheib plaudert aus dem Nähkästchen über seine Zeit als Koch des Weißen Hauses während der Amtszeit von Bill Clinton und George W. Bush.
Hilary Pollack
Los Angeles, US

Vergangenen Mittwoch stattete der Vize-Präsident der Vereinigten Staaten Joe Biden den VICE-Büros in Brooklyn einen Besuch ab. Während die Terminkalender der Präsidenten dieser Welt (und den der Vizes) mit Reden, diplomatischen Geschäften und anderen Meetings vollgepackt sind, vergessen wir leicht, dass auch die wichtigen Leute essen müssen. Und das gilt auch für die Präsidentenfamilie.

Walter Scheib ist kein Typ, den man beim Namen kennt. Elf Jahre lang war er der Chefkoch des Weißen Hauses. Während der Amtsperiode von Clinton suchte ihn Hillary persönlich aus und als George W. Bush die Präsidentschaft übernahm, blieb er ihm bis zur Hälfte seiner Legislaturperiode erhalten. Nach seiner Zeit im Weißen Haus schrieb er das Buch White House Chef und führt heute sein Unternehmen The American Chef, das Kochkurse, Eventmanagement und Vorträge anbietet, bei denen er seine Weisheit weitergibt und von seiner verrückten Zeit in der 1600 Pennsylvania Ave erzählt.

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Wir plauderten mit Walter am Telefon, während er sich im wunderschönen Florida gegen eine Palme lehnte und wir im Schnee versanken. Er hatte so viele interessante Dinge über die Definition von amerikanischem Essen, die Vorliebe der First Lady für scharfe Saucen und über den Einfluss vom 11. September auf unser Essen und unsere Ernährung zu erzählen, dass wir euch das Interview in zwei Teilen präsentieren. Den ersten Teil gibt's hier. Die Fortsetzung gibt es nächste Woche auf MUNCHIES.

MUNCHIES: Es sind viele Jahre vergangen, seit du im Weißen Haus gearbeitet hast, langweilig wurde dir aber nie. Was vermisst du an der Arbeit für den Präsidenten? Und was kann dir erspart bleiben? Walter Scheib: Wenn man im Weißen Haus arbeitet, gibt es so etwas wie die „White House Flex Time", was im Grunde bedeutet, du kannst dir jede Woche 85 Stunden aussuchen, in denen du arbeiten möchtest. Der Rest ist deine Freizeit [lacht]. Das vermisse ich nicht besonders. Aber ich vermisse es, mich im Weißen Haus aufzuhalten. Ich vermisse, der Präsidentenfamilie und dem Land meine Dienste anbieten zu können. Mir wurde die Ehre und das Privileg zuteil, den Präsidenten und seine Familie kennenzulernen—nicht als die Zeichentrickcharakter, die wir in den Nachrichten sehen, sondern als sehr differenzierte, echte und interessante Menschen. Außerdem vermisse ich die Kameradschaft des Teams. Die 90 Angestellten der Residenz bilden eine besondere und einzigartige Gruppe von Menschen, nicht nur im Hinblick auf ihr Wissen und ihre Talente, sondern auch in ihrem Verständnis des Dienstes für diese Familie. Man wird im Grunde anonym. An der Tür gibt man sein Ego und seine politischen Gedanken ab und man ist nur da, um der Präsidentenfamilie eine Insel der Vernunft in dieser verrückten Welt zu bieten. Es bedarf einer speziellen Persönlichkeit, diese Aufgabe über längere Zeit hinweg zu übernehmen.

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Vermisst du das oder bist du erleichtert, dass dein Leben stressfreier ist? Nun ja, letztes Jahre hatte ich 85 Veranstaltungen und war 300 Tage lang unterwegs, weil ein extrem großes Interesse an lustigen und menschlichen Anekdote über die beiden Präsidentenfamilien besteht. Und es lässt nicht nach. Ich dachte, nach einem oder zwei Jahren würde der Neuigkeitseffekt abklingen, aber bisher wurde es von Jahr zu Jahr mehr. Wenn Hillary Clinton für die Präsidentschaft kandidiert und im großen Rennen gute Karten hat, dann steigt das Interesse natürlich umso mehr.

Es ist bekannt, dass sie ein großer Fan von dir ist und sie dich persönlich für die Position als Chefkoch auswählte, während ihrer Zeit als First Lady. Glaubst du, sie könnte dich vielleicht zurück ins Weiße Haus holen, wenn sie die Wahlen gewinnt? Wenn dich ein Präsident oder eine Präsidentin bittet, dem Land deinen Dienst zu erweisen, kann man natürlich kaum ablehnen. Wenn sie mich als Koch möchte, kann sie mich anrufen und ich werde ihr, ihrer Familie und meinem Land dienen. Sie kennt meine Telefonnummer. Mir ist es auch egal, ob es ein Demokrat oder ein Republikaner ist, ob ich ihn kenne oder nicht—wenn mich der Präsident fragen würde, würde ich zu seinen Diensten stehen.

Es wäre wahrscheinlich ganz anders als damals, weil Bill sich ja mittlerweile fast vegan ernährt.Das ist ein großer Mythos. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Eine strenge Diät einzuhalten—und meiner Meinung nach ist Veganismus genau das—ist sehr schwierig. Man muss wirklich klar machen, dass man vollkommen dahinter steht, damit der Koch keine Gerichte auftischt, durch die man in Versuchung kommt. Ich kenne mehrere Köche, die über die Jahre für den ehemaligen Präsidenten gekocht haben. Obwohl er Richtung Veganismus und Vegetarismus tendiert, hält er sich nicht ganz streng daran. Sagen wir es einfach so.

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Wie war dein erster Arbeitstag als Koch im weißen Haus? Mein erster Tag war merkwürdig. Der 11. September 2011 war ebenfalls komisch. Und der Tag, an dem der neue Präsident sein Amt antrat, war auch eigenartig. Es gab einige Tage, von denen ich mir nicht einmal in meinen wildesten Träumen vorstellen konnte, dass sie eintreten werden. Aber als ich an meinem ersten Arbeitstag an 3000 Leuten vorbeiging, die alle anstanden, um die Residenz zu besichtigen, als ich meinen ersten Anruf vom Präsidenten oder der First Lady bekam und sie mich mit meinem Vornamen ansprachen, und sich bewusst zu sein, dass—auch wenn es nur eine Schüssel Haferflocken oder ein Sandwich ist—du das Essen für eine der wichtigsten Personen dieser Welt oder für eins ihrer Familienmitglieder zubereitest…

Es ist ziemlich beängstigend, zu wissen, dass keine Fehler passieren dürfen. Man kann sich nicht erlauben, dass der Präsident krank wird, man muss sehr vorsichtig sein. Ich fühlte mich geehrt, die Präsidentenfamilie jeden Tag bedienen zu dürfen und war interessiert daran, etwas über die Geschichte der Residenz zu lernen, damit ich ein Botschafter für das Weiße Haus und die Präsidentenfamilie sein konnte, wenn Besucher kamen.

Wie sehen die Sicherheitsvorkehrungen aus, wenn man jeden Tag im Weißen Haus arbeitet? Die Sicherheitsüberprüfung nennt sich Top Secret Presidential Proximity. „Top secret", das dürfte klar sein. „Presidential Proximity" bedeutet, dass physischer Kontakt zum Präsidenten und seiner Familie bestehen kann, ohne dass der Secret Service anwesend sein muss. Das ist natürlich einer der Jobs mit den höchsten Sicherheitskontrollen überhaupt. Wenn man drüber nachdenkt, sind die wenigen Leute in der Küche, denen dieser Kontakt zusteht, nicht nur um den Präsidenten herum, sondern auch buchstäblich in ihm drin. Näher geht's nicht.

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Das erinnert mich an eine Geschichte über Obama, der heftig kritisiert wurde, nachdem er bei einer Veranstaltung Essen abgelehnt hatte, weil sein Koster nicht dabei war. Das ist eine weitere Legende. Es gibt keine Koster. Dieses Konzept ist wirklich mittelalterlich. Wenn man jemanden vergiften will, könnte sich die Wirkung auch erst nach zwei Wochen zeigen. Es gibt einige Leute um den Präsidenten, die wissen, was vor sich geht und die die Protokolle, auf denen festgehalten wird, was er isst und was nicht, kennen. Es gibt aber sicherlich niemanden, der ihm verbieten würde, etwas zu essen. Diese Sicherheitsprotokolle sind da, um ihn zu schützen. Dass aber jemand sein Essen probiert, bevor er es tut, ist absurd. Ich bin ehrlich gesagt eher unpolitisch, aber wenn man sich ansieht, welche Medien diese Nachricht verbreitet haben, ist der Hintergrund wohl ziemlich klar.

Eines deiner Vermächtnisse ist, dass du das Konzept der amerikanischen Küche während deiner Zeit im Weißen Haus verfeinert und weiterentwickelt hast. Was sind für dich die grundlegenden, typischen Merkmale der amerikanischen Küche? Für mich hat die amerikanische Küche drei Merkmale: Es geht nicht um komplizierte oder schwierige Techniken, sondern um tolle, leckere und vollmundige Aromen. Dann gibt es regionale Einflüsse und das dritte Merkmal sind die ethischen.

In den 70ern und frühen 80ern sagte man: „Wir gehen Chinesisch essen", oder Französisch oder Italienisch und das wars. Heute findet man in jeder mittelgroßen Stadt mindestens 10 verschiedene asiatische Küchen, sechs Italiener mit unterschiedlicher Küche und noch mal 10 europäische oder südamerikanische Restaurants oder was auch immer. Wir sind in Amerika Essen gegenüber sehr offen. Du kannst kochen, was du willst, wenn das Essen schmeckt, dann gibt es auch immer Leute, die es essen werden.

Bush und Clinton waren beide dafür bekannt, reichhaltiges Essen aus dem Südwesten zu mögen. Wie würdest du deren Ernährung vergleichen? Wer im Weißen Haus welches Essen mochte, war nicht von ihrer Partei, sondern dem Geschlecht abhängig. Die beiden First Ladys hatten sehr exzentrische Geschmäcker und wollten ständig neue Dinge ausprobieren. Hillary Clinton, genau wie Michelle Obama, interessiert sich für die Nahrungsbestandteile ihres Essens und für eine gesunde Lebensweise. Das wissen nicht viele, aber Laura Bush setzte sich stark dafür ein, dass im Weißen Haus biologisches Essen auf den Tisch kam. Sie lebte gerade in Austin, als das ganze Whole Foods-Konzept aufkam und sprang auf diesen Zug auf. Und sie mochten beide scharfes Essen. Ich glaube Hillary hatte ungefähr 50 oder 60 verschiedene scharfe Saucen, Laura hatte nur eine, die sie gern mochte, die sie aber dafür zu so gut wie allem aß. Die Präsidenten hingegen wären, glaube ich, genauso glücklich gewesen, wenn wir einfach einen Grill aufgebaut oder ein Burgerlokal im Keller aufgemacht hätten. Obama setzt diesen Trend fort. Seine Frau legt wert auf bewussten Konsum und regionales Essen und jedes Mal, wenn du den Präsidenten siehst, egal wo, isst er einen Triple-Cheeseburger mit Pommes. Die Präsidenten mögen also irgendwie immer noch das stereotypische Männeressen, während die First Ladys etwas dafür tun, dass die Leute verantwortungsbewusste Entscheidungen im Hinblick auf Essen treffen.

Beide Präsidenten mögen Essen aus dem Südwesten—der eine ist aus Texas, der andere aus Arkansas. Im Grunde ist das Barbecue. Müsste ich mich für ein Nationalgericht entscheiden, wäre es nicht Hot Dogs oder Apple Pie, sondern Barbecue! Barbecue gibt es in jeder Region des Landes und alle machen es anders. Der aus Texas wird dir sagen, dass richtiger Barbecue eine Rindbrust ist, die über einem Feuer gegrillt wurde. Der aus Arkansas hingegen sagt, es ist langsam gegartes, saftiges Pulled Pork mit viel Sauce. Und beide werden stur behaupten, dass das jeweils andere Gericht kein richtiges Barbecue ist.

Gab es Unterschiede zwischen den Präsidenten und dem Essen, das sie in schwierigeren Zeiten aßen? Egal ob es jetzt ein Skandal, furchtbare Ereignisse oder ein Krieg war oder wenn etwas nicht nach Plan lief, ich sah die Präsidenten in Momenten, in denen sie extrem unter Druck standen—in guten und in schlechten Zeiten. Teil meiner Aufgabe als Koch im Weißen Haus war es, zu spüren, welche Stimmung gerade im Haus herrscht und welche Art von Essen gerade angemessen ist. Kurz nach dem 11. September beobachtete ich, dass ich, ohne, dass ich dazu angehalten worden wäre, weniger eklektisches und innovatives, sondern mehr traditionelles Essen kochte, das ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Das ganze Land war sehr verwirrt und jeder wollte einen Fels in der Brandung haben und in diesem Fall übernahm Essen diese Rolle. Ich recherchiere gerade für ein Buch und denke, dass die Slow Food-Bewegung und der Trend zu regionalem Essen hin in Amerika seine Wurzeln möglicherweise in den Wochen und Monaten nach 9/11 hat, als die Leute sich von der extravaganten Küche abwandten und das Bedürfnis nach etwas hatten, das die Seele befriedigt.

Schau am Montag wieder auf MUNCHIES vorbei für den zweiten Teil des Interviews und für ein präsidentenwürdiges Rezept von Walter Scheib höchstpersönlich.