Auf einer Müllkippe liegen Sofas, Regale und Kartons unter freiem Himmel. Das or
Auf dieser illegalen Müllhalde in Brandenburg liegen Kanister mit Gefahrenkennzeichnung | Fotos Müllhalde: Gemeinde Letschin | Warngrafik: IMAGO / allOver-MEV 
Politik

Wie ein 23-jähriger Berliner illegal ein Dorf zumüllt

Seine Müllhalde brennt regelmäßig und er macht Gangstarap zum Fremdschämen.

In seinem ersten Leben gibt sich Mohammad I. als Gangstarapper aus Berlin-Wedding: "Kein Spaß, meine Jungs sind alle Stecher, schlitzen dir die Fresse auf mit nem Teppichmesser." Im zweiten Leben ist er "Geschäftsmann" und betreibt eine illegale Müllhalde. Seine Mitstreiter karren Müll nach Brandenburg ins Märkisch-Oderland und werfen ihn dort ab – ohne Genehmigung. Die Polizei und der Landkreis wissen zwar davon, können sich aber kaum wehren. Wie kann das sein?

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Für seine Müllhalde hat sich der 23-jährige Mohammad I. ein Grundstück im Dorf Letschin gekauft, ganz im Osten Brandenburgs. Von Berlin fährt man eine Stunde lang durch Felder und Dörfer – ohne Läden, ohne Kneipen, ohne Tankstellen. Auch in dem 4.000-Einwohner-Dorf gibt es nicht viel. Die Einwohnerzahl schrumpft, der Müllberg wächst.

Märkisch-Oderland ist nicht der einzige Landkreis mit diesem Problem. Immer wieder werden einzelne illegale Müllhalden in Deutschland bekannt. Doch eine Übersicht gibt es weder beim Bundesumweltministerium noch beim Umweltbundesamt. Müll ist Ländersache. Auch die zuständige Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) hat keine Übersichtsliste und antwortet uns: Die Entstehung von illegalen Abfalllagern zu verhindern, sei schwierig.

Deutschland hat etwa 300 illegale Müllhalden

Also haben wir alle 401 deutschen Kreise und Städte selbst gefragt, ob sie sich mit einer illegalen Müllhalde herumschlagen. Erstaunlich viele antworteten mit Ja, von Nordfriesland bis Oberbayern, von Letschin an der polnischen Grenze bis Wesel nahe der holländischen Grenze. Das Ergebnis unserer Anfragen: Deutschland hat etwa 300 illegale Müllhalden

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In der brandenburgischen Ödnis liegt eine davon. Gleich hinter dem Bauzaun an der Landesstraße 33 in Letschin hat sich Mohammad I. ein riesiges Gelände gekauft. Dort lagern Sofas, Koffer, Altreifen, verrostete Fässer, leere offene Kanister, die einmal Unkrautbekämpfungsmittel enthielten. Eine Fläche so groß wie fünf Fußballfelder hat er zu einem großen Teil mit Abfall gefüllt. Auf einigen Kanistern ist eine Gefahrenkennzeichnung: "Environmentally hazardous substance", der Warnaufdruck zeigt einen toten Fisch.

Letschin hat keinen Bock auf den Unrat des Gangstarappers. "Wir brauchen keinen Berliner Müll" haben Sprayer an eine der Hallen auf seinem Gelände geschrieben. Der Landkreis Märkisch-Oderland hat schon im November 2021 die Räumung angewiesen, mit Frist zum Januar 2022. Eine weitere Frist verstrich am 11. März 2022. Da türmte sich der Abfall noch immer. Der Kreis drohte Zwangsgelder in Höhe von 10.500 Euro an. Doch die Müllkippe blieb.

Vom eigenen Grundstück zur eigenen Müllkippe

Einmal rief ein Mann gar die Polizei, weil er gesehen hatte, wie zwei LKWs auf das Gelände fuhren. Die Polizei traf zwei Männer an: einen aus Berlin, einen aus Polen. Mohammad I. war nicht dabei. Einer der LKWs hatte ein Kennzeichen aus Nordrhein-Westfalen. Die Männer erzählten, sie hätten den Auftrag, hier Müll abzuladen. Doch sie nannten nicht Mohammad I., sondern zwei andere Männer als Auftraggeber. Einer der LKW-Fahrer rief seinen Auftraggeber an, Mohammad I. rief zurück und erklärte, die Anlieferung sei rechtmäßig. Er hängt also offenbar mit den beiden Auftraggebern zusammen. Ob er als Grundstückseigentümer nur Strohmann ist oder ein Netzwerk mit mindestens vier anderen unterhält, hätten wir gerne von ihm erfahren. Aber er wollte nicht mit uns sprechen. Als VICE ihn anruft, nimmt er zwar ab, will aber nicht inhaltlich antworten. Eine E-Mail mit Fragen zu seiner Müllkippe lässt er unbeantwortet.

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Früher, in der DDR, lagerte auf dem Grundstück der heutigen Müllhalde Dünger. Seit 1996 verfällt das Gelände und wechselte mehrmals den Eigentümer. Bei einer Zwangsversteigerung im Juni 2021 kaufte Mohammad I. das Grundstück. Damals war er 22 Jahre alt. Wenige Monate später wollte er ein Gewerbe anmelden – eine Bauelemente-Firma sollte es sein: mit Lager, Maschinenraum, Produktionsräumen. Er wolle das Haus auf dem Gelände instandsetzen, Wohnraum für sich und seine Familie schaffen und möglicherweise zwei Wohnungen zum Vermieten ausbauen, behauptete er. Es fehlten noch Formalitäten wie Bauantrag oder Strom- und Wasserversorgung. Ob Mohammad I. nun überfordert war mit den ganzen Anforderungen ist unklar. Klar ist aber: Bis heute gründete er keine Firma. Auf seinen Namen ist im Handelsregister nichts eingetragen.

Stattdessen ging zu dem Zeitpunkt schon die erste Anzeige bei den Behörden ein: Das Gelände werde als Sondermüllhalde genutzt. 1.200 Kubikmeter Müll lagen damals bereits dort. Mohammad I. behauptete, das sei Arbeitsmaterial, aus dem neue Fertigbauteile entstehen sollen. Dabei war mindestens ein Viertel des Materials ungeschützt dem Regen ausgesetzt und nicht mehr zu gebrauchen – Müll eben. 

Als die Müllhalde brennt, wird neuer Müll angeliefert

Am 29. März 2022 brannte die illegale Müllhalde in Letschin. Gasflaschen explodierten und Ölfässer fingen Feuer. 90 Feuerwehrleute löschten den Brand. Noch in 15 Kilometer Entfernung sah man die schwarze Rußwolke. In der Brandnacht überraschte ein Laster, der neuen Müll anliefern wollte, die Einsatzkräfte. 

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Vor wenigen Wochen gab es wieder einen Brand, aber einen kleineren. "Wenn das im trockenen August gewesen wäre, hätte wieder alles in Flammen gestanden", sagt Thomas Berendt, Pressesprecher des Landkreises Märkisch-Oderland. Mohammad I. hat die Rückstände des ersten Brandes nicht weggeräumt: Fernseher, Koffer und Badezimmerspiegel sind zu einem schwarzverkohlten Gerippe ineinander geschmolzen. Über dem Skelett liegen längst neue Sofas, Fernseher, Glasscherben. Mohammad I. macht weiter. 

Täter verklagen Behörden

Ob dieser Müll die Umwelt gefährdet, will das Umweltamt noch nicht sagen. Die Ermittlungen könnten durch diese Information gefährdet werden, heißt es.

Anwohner beschweren sich, Behörden beschweren sich, die Polizei weiß Bescheid: Trotzdem bleibt der Müll liegen. Warum? Es ist für die Behörden langwierig, illegale Müllhalden stillzulegen, unter anderem, weil sie den Rechtsweg einhalten müssen. Sonst können die Täter sie verklagen. 

Das passiert wirklich – zum Beispiel in Potsdam-Mittelmark. Hier hat der "Müllbaron von Brandenburg" sieben Halden angelegt und Plastikmüll aus Baden-Württemberg quer durchs Land gefahren und vergraben, manchmal mehrere Meter tief unter der Erde. Dafür hat er eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt. Gefängnis hilft aber nicht gegen Schwermetalle; die sickern noch immer ins Grundwasser, wie Gutachten belegen. Der Landkreis hat bisher zwei Halden saniert. Die Instandsetzung des Geländes im brandenburgischen Schlunkendorf hat mehr als fünf Millionen Euro gekostet. Der Kreis hat sie dem Müllbaron in Rechnung gestellt. Nun klagt der Müllbaron, weil er denkt, er müsse das nicht zahlen. Für solche Fälle müssen sich die Behörden vorher durch Einhaltung des Rechtswegs absichern. Deshalb ziehen sich die Verfahren über Jahre.

Wann Letschin Mohammad I. vertreiben kann, ist noch nicht abzusehen. Der Fall ist relativ frisch, Mohammad I. erst seit anderthalb Jahren am Werk. Er steht noch nicht vor Gericht – und bis es soweit sein sollte, vergehen wohl noch Jahre. Der Müllbaron von Potsdam-Mittelmark war von 2005 bis 2008 aktiv, der Prozess begann 2011, er wurde 2012 gerichtlich verurteilt – vor zehn Jahren. Und: Erst zwei seiner sieben Halden sind mittlerweile wieder sauber.

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