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Facebook und iPhone ficken dein Gehirn

Im Namen der Pseudowissenschaft habe ich ein Miniexperiment durchgeführt: Ich habe eine Woche lang ohne Smartphone oder soziales Netzwerk verbracht und das echte Leben wiedergefunden.

Erinnerst du dich noch an die Zeit, als Snake 2 die fortgeschrittenste Funktion eines Handys war? Verglichen mit Fortsetzungen im Allgemeinen war das ja sogar richtig gut. Heute allerdings gibt es Apps und Spiele zu wirklich fast jedem Scheiß: Von ungezwungen mit Fremden ficken über ungezwungen deine Freunde ficken, zu einfach allem dazwischen (auch für den Geschlechtsverkehr)—das Smartphone hat unser Leben wirklich und tatsächlich gefickt und revolutioniert. Und das in jeglicher Hinsicht unserer zunehmend online stattfindenden und immer armseligeren Existenz. Außerdem hat es unsere Art zu denken wesentlich verändert, dazu später mehr.

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Im Namen der Pseudowissenschaft habe ich ein Miniexperiment durchgeführt: Ich habe eine Woche lang ohne Smartphone oder soziales Netzwerk verbracht. Und ich schwöre dir auf die Biografie von Steve Jobs: Ohne dieses ständig unterbrechende iPhone waren meine Gedanken am Ende der Woche viel klarer. Ich hatte den Frieden vergessen, den du spürst, wenn nicht ständig ein Gerät in deiner Tasche wegen der kleinsten Spamnachricht vibriert. Und traurigerweise fand ich ohne Facebook sogar meine E-Mails spannend, wie ein Heroinabhängiger Methadon.

Facebook und Co. haben nämlich wirklich einen Geniestreich hingelegt, als sie ihrem Kernbusiness den verhängnisvollen Namen „Soziale Medien“ verpasst haben. „Asozial“ wäre wohl weitaus passender gewesen. Lass dich nicht von den lustigen Grafiken aus Silicon Valley verführen: Alleine online vor dem Laptop zu hängen, ist nicht sozial—scheißegal, wie du es auch drehst und wendest.

Die heutigen Teenager sind bemitleidenswerte Dinger, die sich nach der Schule nur in ihre digitalen Zufluchtsorte tippen, während sie eigentlich draußen sein könnten, um Klebstoff zu schnüffeln und 3-Liter-Flaschen Sangria zu trinken. Mit dem momentanen Anstieg von Cybermobbing werden wohl auch bald Klassiker wie der brutale Hosenzieher oder der Reißnagel auf dem Stuhl nur noch in Geschichtsbüchern zu finden sein. Ich war mal Lehrer und moderne Spielplätze können von einer gespenstischen Stille gezeichnet sein. Mit Ausnahme des gelegentlichen Krächzens der Angry Birds natürlich. Freilich verfügten auch frühere Generationen schon über Mittel des digitalen Zeitvertreibs. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sich die Hälfte meiner Matheklasse durch das virtuelle Reinigen von Tamagotchi-Scheiße von ihren Gleichungen ablenken ließ. Jedoch war bislang nichts so allumfassend wie das Smartphone.

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Deswegen müssen wir 20-Somethings Widerstand leisten! Denn wir sind die letzte Generation, die sich tatsächlich noch an eine Zeit ohne das Netz erinnert (unsere Enkel werden durchdrehen, wenn sie das hören). Der Kerl, der das Smartphone herbeigezaubert hat, war vermutlich ziemlich begeistert von sich selbst. Damit meine ich nicht Steve Jobs. Sondern eben jenen Hippie vernichtenden, Zigarre rauchenden, Occupy-Camps zertrampelnden Prototyp-Kapitalisten-Kerl. Du weißt schon, wen ich meine. Er schläft in Nadelstreifen und isst bangladeschische Waisenkinder zum Frühstück. Das Smartphone war seine beste Erfindung seit der Kugelkette. Es hat die Angestellten dieser Welt versklavt. Immer sind sie abrufbar. Ganz egal wo, wann, wie. Und ironischerweise wollen sie diese Dinger auch noch freiwillig haben. Obwohl sie 500 Euro und mehr kosten. Das ist so, wie wenn sich Gänse auf Weihnachten freuen.

Aber bevor das hier zu sehr nach Verschwörung klingt, wollen wir einmal die alltäglichen Nebeneffekte des Smartphones beleuchten. Zunächst einmal senden und sharen die Leute permanent allen möglichen Scheißdreck.

Ich denke gerne an die Zeit vor WhatsApp zurück, als der Preis einer SMS garantierte, dass deine Kurznachrichten zumindest den Anschein von Wichtigkeit oder Dringlichkeit haben mussten. Erinnerst du dich auch noch, wie viel <3 und Info du in jede SMS unterzeichnet mit LOL oder HDGDL gepackt hast?

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Zweitens: Die Menschen können heute kaum länger als 10 Minuten mit dir ein Gespräch führen, bevor sie wieder auf ihre beschissenen Smartphones starren müssen. Kein Mensch sinniert mehr über das Leben oder fachsimpelt über die kleinen, aber wichtigen Nichtigkeiten. „Wo liegt eigentlich Timbuktu?“ Das muss heute nicht mehr diskutiert werden, keiner muss mehr nachdenken oder kreativ werden. Du greifst einfach in deine Tasche und kennst die Antwort.

Das Schlimmste aber ist, dass all unsere Erlebnisse so unecht und indirekt werden. Anstatt den Moment zu genießen und zu fühlen, instagrammen wir ihn, posten ihn, tweeten ihn raus in die Welt—und er wird erst wertvoll, wenn er irgendeinem dahergelaufenen Halbfremden gefällt! Alles ist weniger erinnerungswürdig, weniger greifbar, weniger echt, wenn es nicht auf irgendeinem sozialen Netzwerk geteilt wird. Durch diese Einstellung aber muss jedes Ereignis konstant bewertet werden: Das war ein nettes Abendessen / lustiger Witz / lauter Furz—kein Zweifel daran, dass es wirklich so war—, aber muss es wirklich gepostet werden? Ist es ein Foto wert? Und wenn ja, was sagt das über mich als Person aus?

Natürlich ist es nichts Neues, wenn ich behaupte, dass soziale Netzwerke abhängig machen, und deshalb gegen sie schimpfe. Wir alle wissen, es ist wie ein Jucken. Es fühlt sich gut an, kurz zu kratzen, aber dann endest du trotzdem wie immer mit der offenen Wunde einer verschwendeten Nacht und nichts als ein paar blutroten Freundschaftsanfrage/Benachrichtigungs/Nachrichten-Punkten auf Facebooks königlich blauem Hintergrund. Und dann ist da noch dieser armselige Thrill, den uns das Ganze gibt, dieser kleine Ausstoß von Endorphin, das Gefühl, dass irgendjemand irgendwo auf dieser Welt tatsächlich ein bisschen an dich gedacht hat—doch dann merkst du, dass es nichts anderes als ein weiterer bitterer Versuch der Selbstdarstellung ist und dich jemand dazu eingeladen hat, eine Seite zu liken oder irgendwohin zu kommen (schuldig in allen Anklagepunkten, Herr Richter!).

Was allerdings am besorgniserregendsten ist, ist die Tatsache, dass das permanente Vernetztsein unsere Hirne zerstört. Bevor unsere Gedanken sich überhaupt ausformen können, sind sie schon auf 140 Zeichen reduziert. Die Flügel unserer Ideen werden voreilig gekappt, damit sie schubladengerecht in eine witzige Statusnachricht oder einen genialen Tweet gepresst werden können. Anstatt also die Wirklichkeit unserer Köpfe widerzuspiegeln, diktieren uns die sozialen Netzwerke und ihre Vorrichtungen in Wirklichkeit, wie und was wir zu denken haben! Das ist das Zeitalter der Insta-Ideen und der Hashtag-Aufklärung. Verschwende keine Zeit in tiefer Überlegung, sondern … #YOLO! Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Vormals stolzer Eigentümer eines mit Snake ausgestatteten Nokia, legte ich mir vor einem Jahr Hals über Kopf ein iPhone zu und ich spüre, wie mich meine Aufmerksamkeitsspanne immer mehr im Stich lässt. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Aber ich bin auch nicht fähig, das Ding auszuschalten. Ich kann nicht einmal mehr ganze Sätze schreiben! Ein Gedankengang, wie ewig fließendes Wasser, folgt dem Pfad des geringsten Widerstands. Und wenn dennoch einmal etwas zu schwierig ist, suchen wir uns einfach leichtere Aufgaben—etwa unsere E-Mails checken oder auf unsere Smartphones starren—und durch diese selbstverschuldeten Ablenkungen wird es noch schwieriger, die eigentliche Aufgabe zu erledigen.

Ich bin wirklich kein technikfeindlicher Mensch oder irgendwas in der Art. Smartphones können wirklich extrem nützlich sein und viele von uns können es sich wegen ihrer Arbeit nicht erlauben, keines zu haben. Aber ich hoffe auf einen Wandel. Das Smartphone ausschalten und alle Apps von Sozialen Netzwerken löschen (oder zumindest alle Push-Benachrichtigungen ausschalten), könnte ein erster Schritt sein, um wieder konzentrierter und effektiver zu denken. Glaubt also nicht jenen digitalen Descartes’, die behaupten: „Ich twittere, deshalb bin ich!“ Es gibt etwas jenseits der Online-Existenz und das ist wundervoll ganz ohne Netz: Das echte Leben.