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Syronics on Speed

Ich bin aus Syrien hierher gekommen, um eure Blumen zu ermorden

Wenn das nicht klappt, mache ich euch so schlechte Geschenke, bis ihr keinen Bock mehr auf Weihnachten habt.
Foto: Privat / Blumenstrauß: Flor4U | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Im Frühjahr 2011 begann der Aufstand in Syrien, der sich schnell zu einem brutalen Bürgerkrieg entwickeln sollte. Ungefähr zur selben Zeit fing der Schmied Aboud Saeed an, auf Facebook sein Leben in der Stadt Manbidsch zu dokumentieren. Seine kurzen Einträge, die vor schwarzem Humor nur so strotzen, gefielen irgendwann so vielen Leuten, dass der deutsche Verlag mikrotext schließlich ein Ebook mit dem Namen Der klügste Mensch im Facebook daraus machte, das später sogar als Taschenbuch _erschien. Anfang 2014 beantragte Saeed Asyl in Deutschland, seitdem lebt er in Berlin. Als wir ihn gefragt haben, ob er eine Kolumne für uns schreiben will, dachte er ursprünglich, wir seien der _Spiegel. Er hat sich aber auch nach Aufklärung des Missverständnisses bereit erklärt, hier einmal in der Woche für uns zu schreiben—über sein Leben in Berlin und das, was er in Syrien zurückgelassen hat.

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In den 30 Jahren, die ich in Syrien gelebt habe, hatte ich nie irgend etwas mit Geschenken zu tun. Weder habe ich je eins bekommen, noch habe ich je jemandem etwas geschenkt. Mit Ausnahme der Packung Tempos, die ich meiner Lehrerin jedes Jahr zum Weltlehrertag schenkte. Während ich ihr mein Geschenk überreichte, dachte ich mir immer im Stillen: „Du, die Baath-Partei und der internationale Lehrertag, meinetwegen könnt ihr verrecken!" Und sie sagte mir: „Danke für dieses wundervolle Geschenk!".

Die erste Reise meines Lebens ging direkt von der nordsyrischen Kleinstadt Manbidsch nach Berlin. Ich hatte nicht einmal die syrische Hauptstadt besucht, und plötzlich befand ich mich in Berlin wieder, unter Deutschen. Naiss Biebol! Ein Volk der Feste, Anlässe und Geschenke. Und ich bin vermutlich weltweit die Person, die am wenigsten mit Festen, Anlässen und Geschenken umgehen kann.

Es folgt eine detaillierte Bestandsaufnahme aller Geschenke, mit denen ich mich im Jahr 2015 konfrontiert sah:

  • Eine Teetasse, auf die ein „Å" gedruckt war—ein nordischer Vokal, der dem „A"s ähnelt, was der Anfangsbuchstabe meines Vornamens ist. Meine Verlegerin Nikola Richter hatte sie mir aus Dänemark mitgebracht, verpackt in einer eleganten Pappschachtel. Als sie mir das Geschenk überreichte, rief ich mir den Satz der Lehrerin ins Gedächtnis und sagte: „Danke für dieses wundervolle Geschenk!" Dann stellte ich die Tasse in mein persönliches Schrankfach.

  • Nach einer Weile schickte mir eine im Libanon lebende Freundin über einen Bekannten, der nach Berlin reiste, eine Jeans und eine Flasche Arak. Ich fühlte mich moralisch verpflichtet, ihr „für dieses wundervolle Geschenk" auch ihr über jenen Bekannten ein Geschenk mitzuschicken. Aber der Überbringer flog schon am selben Tag wieder in den Libanon zurück, ich brauchte eine schnelle Lösung. Also ging zu meinem Schrankfach, holte die dänische Tasse heraus, stecke sie in eine Plastiktüte und schickte sie in den Libanon. Als meine Freundin das Geschenk erhielt, schrieb sie: „Danke für dieses wundervolle Geschenk, aber mein Name beginnt mit R und nicht mit A." Ich sagte ihr: „Das weiß ich doch, das ist ja der Witz an der Sache! Ich hab dir extra eine Tasse mit meinem Anfangsbuchstaben ausgesucht, damit du jedes Mal, wenn du Tee trinkst, an mich denken musst."

  • Als meine Nachbarin Katja nach Thailand reiste, vertraute sie mir ihre Wohnungsschlüssel an, denn sie hatte mich gebeten, während ihrer Abwesenheit die Blumen zu gießen. Ich sagte „Aber natürlich, keine Sorge, ich kümmere mich darum. Bei mir sind deine Blumen in besten Händen." Sie reiste ab und ich vergaß die Blumen. Nach zwei Wochen kam Katja aus Thailand zurück.

    Als sie bei mir vorbeikam, um ihre Schlüssel abzuholen, nahm sie einen aus thailändischem Eichenholz geschnitzten Kochlöffel aus ihrem Reisekoffer und schenkte ihn mir. Ich dankte Katja für das wundervolle Geschenk. Dann ging sie in ihre Wohnung, um ihre Blumen verdurstet und tot vorzufinden. Katja war zutiefst gekränkt. In ihren Augen war ich zu einem Terroristen geworden, der Blumen ermordet.

  • Da ich Schriftsteller bin, besuchte mich ein palästinensischer Autor, der für das Literaturfestival in Berlin war. Als Geschenk brachte er mir seinen letzten Gedichtband mit. Er schlug die erste Seite auf, signierte sie und schrieb mir eine Widmung: „An meinen Freund, den wilden Poeten."

    Wir tranken zusammen Rotwein, und als er sich zum Gehen bereitmachte, nahm ich aus meinem kleinen Bücherregal Haruki Murakamis fünfhundert Seiten dicken Roman Dance Dance Dance. Ich hatte ihn nie gelesen. Eine deutsche Freundin hatte ihn mir einmal geschenkt. Wie man ein Haar aus dem Teig zieht, zog ich Dance Dance Dance aus dem Regal und übergab es dem palästinensischen Dichter mit den Worten: „Ein sprachlich ausgesprochen reicher und spannender Roman, ein Buch, das die Humanität befördert. Das muß man gelesen haben!" Mein Freund dankte mir für dieses wundervolle Geschenk und flog zurück nach Palästina. Wenige Tage später fragte mich meine Freundin Sancho, ob ich nicht zufällig irgendwo Dance Dance Dance gesehen habe, worauf ich ihr sagte, dass ich es dem Palästinenser geschenkt hatte. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Sag mal, was fällt dir ein? So eine Scheiße. Ich hatte einen 50-Euro-Schein darin versteckt!"

  • Nachdem ich meiner Freundin Anna erzählt hatte, wie schwer es ist, in Deutschland an Viagra zu kommen, versprach sie, mir gewisse Pillen namens CIALIS aus Polen mitbringen. Tatsächlich brachte sie mir dann eine ganze Packung mit. Ich sagte ihr: „Danke für dieses wundervolle Geschenk." Sie überreichte mir die Pillen. Dann ging sie zu einem Freund von mir und schlief mit ihm.

Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl.