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Gedankenspiel Multiversum: Wie tot ist man nach einem Quantensuizid wirklich?

Um herauszufinden, ob mehrere Kopien unseres Universums bestehen, haben Physiker ein Gedankenexperiment ersonnen—ähnlich wie Schrödingers Katze, nur morbider.
Bild: Shutterstock

Gibt es die Matrix? Und wenn ja, wie könnten wir sie entschlüsseln?

Theorien über die Existenz von Paralleluniversen geistern in schönster Regelmäßigkeit nicht nur durch die Filmwelt, sondern ebenso durch die Physik—und werden dort gar nicht einmal als besonders extravagant angesehen. Vor allem die Quantenphysik birgt einen bunten Blumenstrauß von unterschiedlichen, parallel existierenden Universen, die unsere gewohnte Weltanschauung ganz leicht auf den Kopf stellen können.

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Doch wie findet man heraus, ob wahrhaftig verschiedene Welten mit Kopien unserer selbst existieren? Dazu ersannen einige kluge Köpfe Gedankenexperimente wie das des Quantenselbstmords, welches 1987 von dem KI- und Roboterforscher Hans Moravec und unabhängig davon ein Jahr später auch von Bruno Marchal entwickelt wurde. Im Jahr 1998 wurde das Experiment von Max Tegmark, der heute als Physiker am MIT beschäftigt ist, weiterentwickelt.

Bei diesem Gedankenexperiment wird untersucht, was passieren würde, wenn ein Physiker im Namen der Wissenschaft unter bestimmten Bedingungen Selbstmord begeht. Dafür platziert er ein Gewehr so, dass es genau auf seinen Kopf gerichtet ist und ihn mit einem gezielten Schuss ins Jenseits befördern könnte.

Das Experiment wird in der Realität natürlich nie erprobt werden, weil die beteiligten Wissenschaftler dafür ihr Leben ernsthaft aufs Spiel setzen müssten. Dennoch steckt hinter diesem Suizidkommando eine physikalisch hochbrisante Annahme. Das Experiment des Quantenselbstmords könnte uns nämlich Beweise dafür liefern, dass neben unserer altbekannten Realität noch mehrere parallele Universen mit Kopien unserer selbst existieren.

Doch weiter im Versuchsaufbau: Der Leiter des Experiments, der in diesem Fall gleichzeitig auch der Proband selbst ist, betätigt nun in regelmäßigen Abständen mittels eines Schaltermechanismus den Abzug der Waffe. Diese wird ausgelöst, doch ob das Gewehr scharf feuert oder einfach nur ein erlösendes Klickgeräusch von sich gibt, ist ganz allein von dem Zerfall eines radioaktiven Atoms abhängig, womit der Schuss gekoppelt ist.

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Sobald das Atom zerfallen ist, feuert die Waffe ein tödliches Geschoss ab und der Forscher stirbt. Solange das Atom jedoch nicht zerfällt, klickt lediglich der Abzug und die Person kann weiter „experimentieren". In manchen Varianten des Versuchsaufbaus wird die Waffe auch mit einem Quantenpartikel gekoppelt. In diesem Fall wird sie ausgelöst, sobald dieser seinen Spin, also seine Ausrichtung ändert. Das Leben des Wissenschaftlers hängt also lediglich von einer (quanten-)physikalischen Zustandsänderung ab und jedes Mal, wenn der Mann den Abzug betätigt, wird das Universum in zwei Welten aufgespalten. In einer stirbt er, in der anderen nicht.

Beim ersten Betätigen des Abzugs beläuft sich die Chance zu überleben auf 50:50 und nimmt im Laufe des Experiments zunehmend um jeweils die Hälfte ab. Sie sinkt zunächst auf 25 Prozent, dann auf 12,5 und so fort. Nachdem der Physiker unzählige Male abgedrückt hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er verschont bleibt, gleich null. Wie kann es jedoch sein, dass die Person trotzdem noch am Leben ist?

Warum Physiker glauben, dass unser Universum ein gigantisches Hologramm ist

Das Experiment entspringt demselben gedanklichen Universum der Quantenphysik wie die berühmte Schrödingers Katze. In diesem im Jahr 1935 von Erwin Schrödinger entwickelten Paradoxon ist eine Katze in einer Kiste eingesperrt, die mittels quantenphysikalischer Annahmen in einen Zwischenzustand zwischen Leben und Tod befördert wird. Ebenfalls in der Kiste befindet sich ein Mechanismus, der nach dem Zerfall eines radioaktiven Atomkerns ein Giftgas freisetzt. Dieser Zerfall findet mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent innerhalb einer Stunde statt, woraufhin das Gas ausströmt und die Katze tötet.

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Da in die Kiste nicht hineingesehen werden kann, befindet sich das Tier nach Ablauf der 60 Minuten in einem Mischzustand, indem es nach den Regeln der Quantenmechanik sowohl lebendig als auch tot ist. In diesem Zwischenstadium verweilt die Katze solange, bis die Kiste geöffnet wird.

Schrödingers Katze: tot und gleichzeitig lebendig? | Bild: Wikipedia | Christian Schirm | CC0 1.0

Solch eine Überlagerung verschiedener Zustände bzw. Realitäten wird in der Quantenphysik Superposition genannt. Sowohl das Paradoxon von Schrödingers Katze als auch das Gedankenexperiment des Quantenselbstmords dienen der Herstellung solch extremer quantenphysikalischer Zustände und der Untersuchung der Frage, ob tatsächlich Parallelwelten existieren könnten.

Allerdings wäre es nicht die Quantenphysik, wenn nicht wieder irgendein kleiner, aber fataler Haken unsere klassische Wissenschaft an der Nase herumführen und die Untersuchung erschweren würde: Denn sobald in irgendeiner Weise in das System eingegriffen wird, kollabiert der Zustand und wird in eine bestimmte Richtung gedrängt (im Fall der Katze: tot oder lebendig). Bedeutet: die physikalischen Zustände, die in dem Versuch vorherrschen, können nicht gemessen werden, da ansonsten der ganze Effekt umgehend zerstört wird.

Wie die moderne Physik beweist, dass wir in einem Multiversum leben

In unserem Alltag können wir in den seltensten Fällen feststellen, dass wir in verschiedenen Welten existieren. Darum überlegen Physiker wie Max Tegmark, wie sich solch eine Superposition wohl überprüfen ließe. Um festzustellen, ob es Kopien von uns in Parallelwelten gibt, stellt er Regeln für sein Gedankenexperiment auf. „Ein erfolgreicher Quantenselbstmord muss drei Kriterien erfüllen", schreibt er auf seiner Website, die übrigens auch designtechnisch ein Tor in eine andere Welt öffnet:

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  • Der Zufallsgenerator (schießt die Waffe oder nicht), der die Zustände der Versuchsobjekte bestimmt, muss quantengesteuert sein und nicht klassisch-deterministisch. Erst dann kann eine Superposition von tot oder lebendig erreicht werden.
  • Der Physiker muss innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums getötet oder zumindest bewusstlos werden, noch bevor es sich des fatalen Quantenmünzwürfs bewusst wirst. Ansonsten weiß der Proband, dass er gleich sterben wird. Er wäre für eine kurze Sekunde extrem unglücklich und verzerrte dadurch den Effekt.
  • Es muss so gut wie sicher sein, dass der Physiker wirklich getötet und nicht nur verletzt wird.

Da das Atom, das die scharfe Waffe auslöst, öfter nicht zerfällt als zerfällt, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass das Versuchsobjekt noch am Leben wäre, größer als die Wahrscheinlichkeit seines Ablebens. Der Physiker wäre in diesem Fall gleichermaßen Proband wie auch Experimentator.

Der Quantenselbstmord ist das russische Roulette der Quantenphysik | Bild: Wikipedia | Mascamon | CC BY-SA 3.0 LU

Sollte der Physiker also nach unzähligen Betätigungen des Abzugs noch immer lebendig auf seinem Stuhl sitzen, ist die Existenz verschiedener Parallelwelten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen. Denn sobald die Quantenphysik ins Spiel kommt, verzweigt sich die Welt in verschiedene Möglichkeiten.

Betrachtet man die Viele-Welten-Theorie der Quantenmechanik, in der unterschiedliche parallele Universen überlagert existieren, gibt es immer eine Welt, in der der Physiker noch am Leben ist—obwohl die Wahrscheinlichkeitstheorie besagt, die Person müsste gestorben sein. Es sei denn, mit jedem Abfeuern der Waffe entstünde eine weitere Kopie des Menschen, denn dann würde jeweils eine Version des Menschen sterben und eine überleben.

Somit wäre die Wahrscheinlichkeit für sein Überleben nie gleich null und der Mensch wird gleichzeitig unsterblich. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang auch von Quantenunsterblichkeit. Sollte irgendwann jedoch dennoch der Tod eintreten, so wäre es möglich, dass er nicht plötzlich, sondern ganz gemächlich mit einer schwindenden Wahrnehmung daherkommt.

Allerdings wird nie jemand von dem Ausgang all dieser Gedankenexperimente erfahren, da ansonsten ja in den Versuch eingegriffen werden müsste und das Quantensystem sofort in einem „Kollaps der Wellenfunktion" zusammenbräche. Da Quanten die kleinsten Teilchen sind, die bisher im Universum entdeckt werden konnten, lassen sich solche Experimente nicht mit klassischer physikalischer Methodik durchführen. Der quantenmechanische Mikrokosmos klappt bisher also nur, wenn gerade niemand hinsieht.