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Musik

Mit Eurodance aus der Eurokrise

Snap! sind mit Eurodance überraschenderweise noch immer erfolgreich und tun so, als wären die 90er nie zu Ende gegangen.

In den Neunziger Jahren entwickelten ein paar findige Musikproduzenten eine einfache Formel, mit der ihnen eine jahrelange Hegemonie in den Charts, MTV-Rotationen und auf BRAVO-Compilations sicher sein sollte. Angeblich wurde die Musik auch in Clubs gespielt. Die Formel setzte sich zusammen aus: einem einfachen Beat, einer einfachen Hookline (weiblicher Soulgesang) und einem einfachen Rap-Part (männlicher Sprechgesang). Das Produkt nannte sich Eurodance. Einer der erfolgreichsten Vertreter des Genres waren Snap! Waren? Snap! sind erstaunlicherweise noch immer unterwegs, auch wenn das optische Aushängeschild Turbo B durch einen ausschließlich aus Testosteron zu bestehen scheinenden Zweimeter-Hühnen ersetzt wurde. Mit Eurodance noch immer erfolgreich zu sein, hat fast schon wieder Anerkennung verdient. Wir haben uns deswegen mit ihm (Benjamin Lowe) und Sängerin Penny Ford darüber unterhalten, wie es ist, so zu tun, als wären die 90er nie zu Ende gegangen. VICE: Snap! werden als Begründer des Eurodance bezeichnet. Was hat sich seit den Hochzeiten des Eurodance verändert?
Penny Ford: Ich glaube, die Musik kehrt genau genommen wieder zu ihren Ursprüngen zurück. Zurück zu Oldschool! Deswegen arbeiten wir auch wieder so viel, weil die Leute die 90er erneut für sich entdecken. Habt ihr eine Begründung dafür?
PF: Also, hier ist meine Theorie: Viele der Anhänger waren noch Jugendliche, als Snap! und The Power heraus kamen. Jetzt sind sie in den 30ern, haben selbst Kinder und wollen ihre alte Tage wieder aufleben lassen. Aber es musste natürlich erst Zeit vergehen, damit sie sich an „die guten, alten Tage“ erinnern können. Musik hat sich in den letzten Jahren selbst in ein—nennen wir es—technisches Loch verfrachtet. Jetzt sind wir wieder auf der Suche nach den ursprünglichen Einflüssen. Ich danke Gott dafür! Wie ist eure Erinnerung an diese Zeit?
Benjamin Lowe: In den 90er war ich selbst noch ein Jugendlicher. Ich hab Snap! gehört, es war das Tollste, was ich bis dahin je vernommen hatte. Yeah, 90er Jahre-Musik!
PF: Wäre er zu Rock oder so was erwachsen geworden, wäre er wohl heute nicht hier. Man sollte vielleicht dazu sagen, dass Benjamin unser jüngstes Mitglied in der Snap!-Familie ist. Turbo B. war eigentlich der Rapper, Benjamin ist wesentlich jünger als wir anderen. Habt ihr eine Ahnung, warum eure Musik damals einschlug wie eine Bombe?
PF: Ich habe da eine Theorie … ich habe viele Theorien. Man kann das natürlich nie zu 100 Prozent wissen, aber der Zeitpunkt hatte sicher etwas damit zu tun. Der Golfkrieg war gerade vorbei. Zu Kriegszeiten ist jeder depressiv und fühlt sich sehr schlecht, durch ein gutes Lied geht es dir gleich viel besser. Ich denke, genau das passierte bei uns: The Power war wie ein Siegessong. Interessiert ihr euch für Politik?
PF: Ich bin kein Politikliebhaber, aber ich schaue mir das Geschehen auf der Erde schon an und beschäftige mich mit amerikanischer und der Weltpolitik. Und jetzt stecken wir wieder in der Krise. Eurokrise—Eurodance. Kann das ein Zufall sein?
PF: Ich sag das schon seit zwei Jahren: Wir brauchen einen passenden Song zur Krise! Ich arbeite bereits an einem neuen Titel, er heißt „Peace“ und handelt einfach vom Frieden: „Somebody tell me what is really going on today in this world we need to find a better way. So lift your hands up hold your heads up to the sky.“ Meint ihr denn, mit Musik kann man Politik machen?
PF: Mit Musik kann man so viel erreichen. Musik erreicht die Seelen der Menschen. Das bedeutet allerdings für uns, dass wir eine große, große Verantwortung tragen. Denn wir haben die Macht, die Menschen bis ins Mark zu erschüttern. Aber ja, Musik kann alles verbessern. Um Leute zu erreichen, sollten die Textpassagen also möglichst einfach gestaltet sein?
PF: Auf jeden Fall. Aber ich glaube, das lernst du erst mit der Zeit. Am Anfang einer Karriere willst du alles mitteilen, was du weißt und in dir trägst und alles auf einmal nach außen tragen. Ich habe als Produzentin mit einigen jungen Talenten zusammen gearbeitet, die genau so handeln. Ich schalte dann die Musik aus und frage: „Kannst du das alles bitte mit drei Wörtern sagen?“ Mir hat mal jemand gesagt, dass die meisten Leute so ihr Leben leben: Sie wachen jeden Tag ungefähr zur gleichen Zeit auf, fahren mit dem Auto jeden Tag den gleichen Weg zur Arbeit, machen jeden Tag die gleichen Sachen und so wollen sie auch ihre Musik. Ich hingegen habe viele Leben: eins als Popstar, ein ganz normales, ein verrücktes. Es liegt wahrscheinlich in der menschlichen Natur. Menschen sind Gewohnheitstiere. Habt ihr denn schlechte Angewohnheiten?
PF: Ha, Benjamin, willst du die Frage übernehmen? Ha ha. Ich hab Millionen schlechter Eigenschaften: ich knirsche mit den Zähnen, ich hab eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne, ich rauche. Ich liebe verbranntes Essen. Das ist aber ungesund.
PF: Ja, aber ich will sicher gehen, dass mein Essen tot ist. Ich liebe Tiere. Deswegen will ich nicht erkennen können, welches Tier das mal war und dass es mal lebendig war. Wieso bist du dann kein Vegetarier?
PF: Na, weil ich Fleisch liebe! Ich will nur wissen, dass es sehr, sehr gut durch ist. Versuch das aber lieber nicht, es ist echt eine komische Angelegenheit. Kommt wahrscheinlich daher, dass meine Großmutter nicht gut kochen konnte. Ich bin mit verbranntem Essen aufgewachsen, daher ist es für mich normal. Für mich ist „verbrannt“ quasi eine Geschmacksrichtung. Euer Song Rythm Is A Dancer basiert auf der Melodie eines Liedes von Newcleus. Euer Logo ähnelt stark dem des Jazzlabels Stax.
PF: Echt? Ich erinnere mich an Stax und glaube nicht, dass es das gleiche Logo war. Wusstet ihr das bei der Veröffentlichung?
PF: Das Ding ist: Alle Entscheidungen von Snap! werden von [den Produzenten] Luca Anzilotti und Michael Münzing getroffen. Es ist manchmal ziemlich schwierig, in die Gedanken eines deutschen Mannes einzudringen, deswegen lass ich es einfach. Die beiden beschließen alles. Sie packen mich im Genick, halten mir ein Mikrofon vor die Nase, ich singe—und fertig. Ha ha. Die Texte von Snap! stammen allerdings von mir. Die meisten entstanden ganz spontan aus dem Kopf heraus, deswegen sind sie auch etwas dämlich. Apropos Imitieren: Wusstet ihr, dass es bei Facebook eine Gruppe gibt, die sich auch Snap! nennt? Sogar mit Ausrufezeichen! Es sind vier ältere Damen in roten Trainingsanzügen und mit Glitzer-Make-Up. Sie sehen aus, als kämen sie vom Land und würden bei Dorfparties auftreten.
PF: Man sagt doch, Imitation ist die schönste Form von Schmeichelei. So lange es uns nicht schadet, finde ich es süß und es stört mich nicht. Ich glaube, es gibt in Brasilien auch eine Tanzgruppe, die sich Snap! nennt. Es gibt viele Snap!s. Gib das mal bei Google ein! Es gibt auch viele Werbungen und Filme, in denen eure Musik verwendet wird. Fällt euch das überhaupt noch auf?
PF: Ja, denn alle vier Monate bekomme ich einen Stapel Papiere und einer davon ist ein Check. Ha ha. Wir kommen in 50 Filmen vor, viele davon sind ziemlich bekannt, glaube ich, aber ich hab keinen einzigen gesehen. Deswegen kenne ich sie nur von der Liste. Manchmal sehe ich eine der Werbungen im Fernsehen. Aus dem geschäftlichen Blickwinkel betrachtet ist das sehr schön, gleichzeitig ist es aber auch ein bisschen verrückt. Ich meine, eine der Werbungen ist für Windeln. Ich hab keine Ahnung, was „I Got The Power“ mit Windeln zu tun hat. Andererseits hab ich letztens auch eine Werbung für Windeln gesehen, bei der „Whoomp there it is“ [von Tag Team] abgespielt wurde. Ha ha ha. Oh mein Gott!