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Musik

Andreas Dorau ist im Schatten seiner Selbst

Andreas Dorau ist der Mann der tausend Mysterien. Eines der größten Mysterien, die ihn umgeben, scheint das Rätsel seiner ewigen Jugend zu sein. Mal ehrlich, wie ist es möglich, dass sich das nasale Pubertätsquäken in seiner Stimme über die letzten 3...

Andreas Dorau ist der Mann der tausend Mysterien. Eines der größten Mysterien, die ihn umgeben, scheint das Rätsel seiner ewigen Jugend zu sein. Mal ehrlich, wie ist es möglich, dass sich das nasale Pubertätsquäken in seiner Stimme über die letzten 30 Jahre gehalten hat? Nicht weniger mysteriös sind übrigens die Themen seines neuen Albums. Es heißt Todesmelodien und ist die bislang ernsthafteste Arbeit des Typen, den sich seinerzeit die Witzveranstaltung Neue Deutsche Welle vor den Karren gespannt hat. Übertrieben ernsthaft klingt das Album dennoch nicht. Es bleibt oft so ungreifbar, wie Doraus selbst. Und dann war da noch dieses andere große Rätsel. Was macht Andreas Dorau eigentlich in der nicht unbeträchtlichen Zeit, die zwischen seinen Alben verstreicht? Auch unser Interviewversuch blieb da ohne eindeutige Antwort:

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VICE: Zunächst mal eine Frage zum Cover des neuen Albums. Da ist „Catcher in the Rye“ und die Lennon/Ono-Platte zu sehen. Also ein deutlicher Chapman-Bezug.

A.D. : Genau.

Warum?

Also da die Platte ja Todesmelodien heißt, sollte es irgendwas damit zu tun haben. Ich wollte nur auf keinen Fall Skulls oder einen Sensenmann oder Gräber drauf haben. Mein Grafiker hatte dann die Idee, dass er gern die Minuten vor oder nach dem Tod berühmter Musiker darstellen möchte. Und das soll eben der wartende Chapman sein, vor dem Dakota Building.

Bei der Single „Größenwahn“ gibt es eine visuelle Reminiszenz an Tulpen und Narzissen. Warum das?

Das Stück ist ja nicht die erste Single, sondern nur ein Stück, das wir so ins Netz gehauen haben. Dann brauchten wir dafür aber natürlich auch irgendeine Abbildung und dachten wir uns, das könnte man so machen. Es gibt da keinen großen Plan dahinter.

Wie autobiographisch ist „Größenwahn“?

Ich habe ab und zu größenwahnsinnige Momente. Das interessante dabei ist, dass man sich dabei von außen beobachtet, den Zug aber nicht mehr aufhalten kann. Trotzdem hat Größenwahn auch positive Seiten. Man traut sich dann mehr zu und erreicht auch ganz andere Dinge. Das Stück behandelt aber tatsächlich eine Geschichte, die einem Freund von mir passiert ist.

Dann gibt es mit „Neid“ gleich noch ein weiteres Stück, das sich einer Charakterschwäche widmet.

Viele Leute begreifen Neid ja als etwas Negatives. Aber Neid ist ja nicht Missgunst. Für mich ist Neid etwas Positives. Ich bin sehr oft neidisch und das motiviert mich. Jemand hat ein gutes Stück gemacht, dann geh ich nach Hause und will ihn schlagen. Also nicht im physischen Sinne.

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Da wird ja auch Neid hinsichtlich finanzieller Verhältnisse thematisiert …

Also na ja, da kannst du in die Strophen natürlich alles Mögliche hinein schreiben. An sich müsste Text davon handeln: Du hast ein gutes Stück gemacht und ich hätte gern noch ein besseres Stück gemacht. Aber das allein war mir zu blöd und so habe ich dann einfach verschiedene Aspekte mitbehandelt.

Die visuelle Entsprechung  zu Todesmelodien hatten wir geklärt. Was aber hat dich überhaupt bewegt, das Album so zu nennen?

Sieben der zwölf Stücke handeln in irgendeiner Art und Weise vom Tod und das hatte ich eigentlich noch nie vorher, dass mehrere Stücke ein Thema haben. Es ist aber trotzdem kein Konzeptalbum, weil es sind ja nur sieben.

Hast du dir schon mal überlegt, welche Melodie auf deinem eigenen Begräbnis laufen könnte?

Ich hab mir über die gesamte Zeremonie noch keine Gedanken gemacht, wie ich beerdigt werden will, ob da Musik laufen soll …

Vielleicht ein Fehler? Nachher bestimmt jemand anders darüber, was gespielt wird.

Was war denn da neulich, irgend so ein Prominenter aus München, da lief auf der Beerdigung ein ganz beknacktes Stück. Also ehrlich gesagt, ich finde Popmusik auf Beerdigungen schwierig, da wird wohl eher keine Popmusik laufen.

Darf man den Titel ansonsten noch als Huldigung des Italowesterns begreifen?

Es fiel mir erst hinterher auf, dass es noch den fast gleichnamigen Film gibt. Der Film ist ok, aber jetzt auch nicht spitze.

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Die Platte ist also besser.

Das habe ich nicht gesagt.

Der Abstand zwischen den letzten Platten war immer sehr groß. Kann man es sich überhaupt leisten, so lange Pausen zu machen?

Ich kann nicht anders. Ich hab nur ein Mal nur ein Jahr zwischen zwei Platten vergehen lassen. Das war von der ersten auf die zweite. Und mein zweites Album ist total beschissen, das möchte ich vernichtet wissen. Ich habe das Problem, ich brauche ziemlich lange fürs Texten. So entstehen dann die Pausen, weil ich vorher nicht genug Texte für ein Album zusammen habe.

Das dauert sechs Jahre?

Das kann auch vier dauern, auf jeden Fall bin ich nicht der Typ, der im Jahresrhythmus Alben hinkriegt. Ich kann mich nicht hinsetzen und sagen: Heute schreibe ich einen Text. Ich mache mir immer wieder Notizen und irgendwann ist es dann ein Stapel Papier und dann fange ich irgendwann mal an. Bei dieser Platte war es so, da sollte ich Mense (Reents – Anm. d. Red.) bei einem Stück helfen und dann hatten wir ein Stück, das war aber nur mittelprächtig. Und da wir beide ehrgeizig sind, haben wir uns dann die Woche danach noch mal zum Musikmachen getroffen und dann hieß es, lass uns doch mal ein Stück für mich machen. Das machte uns dann Spaß, aus einem Stück wurden mehrere und so ab vier, fünf Stücken war mir klar, ich kann jetzt auf ein Album zusteuern. Vorher war es eher ein loses Sammeln.

Das Album wird von deinem Label als finster und dunkel beschrieben. Siehst du das auch so?

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Ich hatte tatsächlich auch mal „Die Dunkle“ als Albumtitel geplant. Ich finde, dass es zumindest textlich mein bislang dunkelstes Album ist. Zu diesen Texten dann aber auch noch düstere Musik zu machen, das wäre mir zu plump. Stücke brauchen ja eine gewisse Spannung und wenn die dann alle in die gleiche Richtung laufen, dann ist das ein bisschen langweilig.

Im Lied „Stimmen in der Nacht“ geht es um eine Geisterscheinung. Hat das einen realen Hintergrund?

Nein, ich hatte mir nur die Situation von jemandem vorgestellt, dem Dinge erscheinen.

Es gab in deinem Leben noch keine Geistererscheinung?

Ich hatte als Kind immer Angst. Die Türen mussten einen Spalt auf sein und das Licht musste brennen.

Du warst noch in der Schule, als du „Fred vom Jupiter“ veröffentlicht hast. Die Lehrer wollten das nicht. Was gab es da für Konsequenzen?

Also ich hatte damals Ata Tak besucht und denen ein paar Stücke vorgespielt. Das eine fanden sie gut und sie sagten, sie würden es gern raus bringen. Ich hatte das gar nicht so auf der Uhr, dass ich das raus bringen will, für mich war es ja dieses Schulstück. Ich stand zu dem Zeitpunkt gar nicht auf Popnummern. Ich wandte mich dann an meinen Lehrer und er sagte, es sei geistiges Eigentum der Schule. Dann war es aber so, dass ich die Musik sowieso am Wochenende gemacht hatte. Also hab ich das dann einfach noch mal von anderen Mädchen einsingen lassen.

Gab es ein Nachspiel?

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Nein, es war der letzte Sommer in der Schule, ich war dann danach sowieso weg.

Hat man in so einem Alter ein Bewusstsein, dass man da gerade einen Hit geschrieben haben könnte?

Ich hatte ja damals schon ein Album gemacht, aber das wusste keiner bei mir an der Schule. Das waren zwei komplett getrennte Welten. Die Schulwelt und die Musikwelt, da gab es keine Überschneidungen. Es hat sich da an meiner Schule für diese Art von Musik auch niemand interessiert. Die hörten eher Rock.

Wie hast du dich gefühlt, als es dann tatsächlich ein Hit war?

Seltsam ist das. Man hört sich zum Beispiel selbst im Radio. Das interessanteste Erlebnis hatte ich auf dem Hamburger Dom. Wenn da das Stück auf den Karussells läuft, das ist schon komisch.

Gibt es eigentlich Spätfolgen der frühren Berühmtheit?

Wahrscheinlich einige, über die ich mir aber nicht im Klaren bin.

Arroganz?

Na arrogant war ich schon vorher.

Kettenrauchen?

Ich hab erst mit 32 angefangen zu rauchen.

Warum so spät?

Weil ich mit Haschrauchen aufgehört habe.

Und warum hast du aufgehört?

Irgendwann keinen Bock mehr gehabt. Ich hab mir mal nen Joint gedreht und dann habe ich ihn wieder ausgemacht. Andere Leute wollten immer ungern bei mir mitrauchen, weil sie meinten, der Tabakanteil sei zu hoch.

Holger Hiller hat dir ja das Gitarrespielen beigebracht. Habt ihr noch Kontakt?

Nein. Also wir haben vor einem Jahr mal wegen irgendwas telefoniert.

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Früher wart ihr aber schon richtig eng, oder?

Früher ja.

Als ich das Lied „Edelstein“ hörte, habe ich mich gefragt, ob es ein Bild für dein gutes oder dein schlechtes Menschenbild ist.

Soll ich dir erzählen, wovon das Stück handelt? Ich hatte einen Artikel gelesen über eine Frau, der gerade der Prozess gemacht wurde. Sie wollte die Asche ihres toten Sohnes zu einem Edelstein pressen lassen und das ist in Deutschland verboten. Das hat mich zu dem Stück inspiriert. Also den Text hat Wolfgang Müller geschrieben. Ich hatte versucht, einen zu schreiben und bin gescheitert. Aber ich wollte ein Stück zu dem Thema. Nun kann ich zu dem Text nichts sagen, aber der Ausgangspunkt war, dass ich die Vorstellung, nach dem Tod ein Edelstein zu sein, ganz toll finde.

An zwei Stellen auf dem Album klingt leise Kritik am Singledasein oder kurzlebigen Partnerschaften an. Bist du Romantiker genug, um an die ewige Liebe zu glauben?

Solche Gedanken versuche ich von mir fern zu halten. Das Stück Single geht wirklich darum. Ich finde das Wort ‚Single’ ein Unwort. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, wie viele Parallelen es zur richtigen Single, also zur Vinylsingle gibt und so hab ich dann den Text geschrieben.

Die andere Nummer, die in diese Richtung schlägt, ist „Inkonsequent“.

Den Text hat auch wieder Wolfgang Müller geschrieben. Ich glaube aber, wenn ich ihn jetzt mal interpretieren soll, es ging ihm auch nur um Fallbeispiele für Dinge, die inkonsequent sind. Das sollte jetzt nicht der Inhalt des Stückes sein. Also wenn ich jetzt den Text geschrieben hätte, dann würden da wahrscheinlich auch andere Fallbeispiel drin vorkommen.

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Welche denn?

Wohl eher gesellschaftliche Themen. Leute, die über bestimmte Dinge meckern, auch im politischen Bereich und dann doch Sachen machen, die sich damit eigentlich nicht vereinbaren lassen. Das regt mich eher auf.

Du bist jetzt schon lange als Musiker unterwegs. Beobachtest du die Entwicklung von Popmusik in Deutschland und wenn ja, wie siehst du den Status Quo?

Dass Musik an gesellschaftlichem Stellenwert verloren hat, ist für mich eine logische Sache und das finde ich auch gar nicht schlimm. Ich fand es eher bedenklich, als bei den Leuten so ein künstliches Begehren erzeugt wurde. Der Höhepunkt der Möglichkeit, sich über Musik auszudrücken oder als anders darzustellen, war ja in den 60er und 70er Jahren. In den 80ern war das schon eine künstliche Blase, also etwas, das von der Industrie überhöht wurde und dass sich das jetzt wieder gesund schrumpft, finde ich eine gute Sache.

Du hältst die Entwicklung also für gesund?

Na, wenn sich heute die Industrie beschwert, dass sie keine Platten mehr verkauft, dann ist mir das so was von scheißegal.

Das ist der merkantile Aspekt, wie ist es um die künstlerische Qualität bestellt?

Es gibt immer gute und schlechte Produkte. Mal gibt’s nen guten und mal nen schlechten Sommer.

Du würdest also schon sagen, dass es deutsche Produktionen gibt, die dich begeistern?

Begeistern wäre vielleicht zu viel gesagt. (lacht) Aber es gibt Sachen, die ich gut finde.

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Was zum Beispiel?

Da fällt mir jetzt nichts ein.

Bei deiner neuen Platte schwingt eine gewisse Dringlichkeit mit. War es so, dass bei dir ein Ventil geöffnet werden musste?

Ich habe vor zwei Jahren mit der Platte begonnen. Meine Mutter ist vor zwei Jahren im Dezember gestorben und ich habe im Januar angefangen. Ich hatte Angst, in ein Loch zu fallen und wollte etwas machen, das mich wirklich ausfüllt. Ich bin dann aber gar nicht in dieses Loch gefallen. Die Platte ist also keine Trauerarbeit. Aber das war der Auslöser dafür, dass ich mich über die Musik mit dem Tod auseinandersetzen wollte, ohne aber damit konkret Trauerarbeit zu betreiben.

Hat Musik eine Katharsisfunktion für dich?

Habe ich schon mal drüber nachgedacht. Wenn, dann eher unbewusst. Oder ich würde es nicht zugeben.

Was ist die wichtigste Funktion von Musik für dich?

Also ich fange Stücke meistens so an, dass ich eine Spur aufnehme und dann eine andere dazu füge. Es ist sehr schön, dabei zu sein, wenn so was wächst und das zu beobachten. Das beflügelt einen unheimlich. Also ich gehe immer sehr euphorisiert aus dem Studio.

Interview: Andreas Richter & Felix Nicklas
Fotos: Christoph Voy