Auf Patrouille mit einer Spezial-Einheit in einem der tödlichsten Drogenbrennpunkte der Welt

FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Auf Patrouille mit einer Spezial-Einheit in einem der tödlichsten Drogenbrennpunkte der Welt

Die Polizeiarbeit in den südafrikanischen Cape Flats ist auf der politischen Ebene genauso ein Albtraum wie vor Ort.

Vor einem Café in Delft, einem Vorort der als Cape Flats bekannten Kapstädter Gegend in der südafrikanischen Provinz Westkap, erfasst eine Überwachungskamera einen jungen Mann, der neben einer Tür steht und sich eine Zigarette anzündet. Eine Hand mit einer Pistole streckt sich vom Türrahmen her ins Bild und erhellt den Bildschirm mit Mündungsfeuer—ein geräuschloser Knall. Der junge Mann fällt zu Boden, bevor der zweite Mann durch die Tür tritt und mit einem geübten Doppelschuss sein Werk vollendet. Der Mann am Boden wird von der Wucht der Schüsse erschüttert und liegt still. Der Schütze rennt davon.

Anzeige

Willkommen in den Cape Flats—Teil einer Provinz, in der im Jahr 2013 die Zahl der Morde, die mit Bandenaktivität zusammenhing, bei 310 lag. Diese Gegend ist Teil des südafrikanischen Apartheid-Vermächtnisses und befindet sich an der Schwelle einer Bandengewalt-Krise, wie sie auf der Welt ihresgleichen sucht. Sie hat ihren eigenen modernen Mythos, eine Mischung aus Bekanntheit, düsteren Legenden, einem monströsen, als „Tik" bekannten Meth-Derivat und Gewaltstatistiken, die Kapstadt in einer neuen Studie der gewaltsamsten Städte der Welt auf den 20. Platz bringen—noch vor vielen bekannten Brennpunkten in den USA, Brasilien, Kolumbien und Mexiko.

Die meisten Nachrichtenquellen und Analysten schätzen, dass es etwa 100.000 aktive Gang-Mitglieder in der Provinz gibt, die sich auf 130 offiziell bekannte Banden verteilen. Die Lage ist wirklich heikel: 50 von 100.000 Einwohnern werden ermordet und zwischen 2010 und 2011 wurden 70.000 Delikte im Zusammenhang mit Drogen festgehalten. Die Gangs Junky Funky Boys, Hard Livings und Americans sind am häufigsten vertreten—in Kombination mit der international berüchtigten Gefängnis-Bande „The Numbers Gang".

Beamte der Metro Police der City of Cape Town sehen beschlagnahmte Drogen und Zubehör durch

Die Situation ist inzwischen so weit eskaliert, dass Schulen schließen, wenn die Gewalt und die Schießereien nach dem Auge-um-Auge-Prinzip zu sehr um sich greifen. Die Premierministerin der Provinz Westkap, Helen Zille, hat wiederholt verlangt, dass die South African National Defence Force (SANDF) in der Gegend eingesetzt wird. Die Gewalt durchzieht dort jeden Aspekt des Lebens. Laut einem Bericht des Guardian im vergangenen Jahr fordern Gangs in den Cape Flats alle fünf Tage ein Leben, und wöchentlich werden zwischen 25 und 30 Feuerwaffen sichergestellt.

Anzeige

Die Überwachungsaufnahmen werden uns von Charl Kitching von der Metro Police der Metropolgemeinde City of Cape Town gezeigt, bevor wir eine halbe Stunde später mit ihm und seinem Team zu einem 50-Mann-Einsatz in den Flats aufbrechen. Das Video ist etwa eine Woche zuvor entstanden, in einer Zeit der eskalierenden Bandengewalt, die mit der Entlassung bestimmter Schlüsselfiguren aus der Haft zusammenhängt. „Sie gehen verdammt sicher, dass der Typ tot ist. Sie spielen keine Spielchen", sagt Kitching. Zusammen mit Stadtrat JP Smith, einem Mitglied des bürgermeisterlichen Komitees für Sicherheit und Schutz, führen Kitching und sein Team diesen Einsatz als Teil einer speziellen Banden- und Drogeneinheit durch, die 2011 von der Cape Town Metropolitan Police eingerichtet wurde, um die Krise in den Cape Flats unter Kontrolle zu bringen.

Die Cape Flats, wie das dicht besiedelte Flachland in der Metropolregion Kaptstadt von den Einheimischen genannt wird, besteht aus einer Ansammlung inoffizieller Siedlungen und Vororte, die in den 1950ern im Rahmen der erzwungenen Umsiedlungen entstanden sind. Historisch gesehen ist diese Gegend auch die Heimat der größten südafrikanischen Bevölkerung von „Coloureds": Diese Bezeichnung ist eine von vier großen Einstufungen, die es in der Apartheid-Ära gab, und beschreibt Personen, die gemischter europäischer, afrikanischer und asiatischer Abstammung sind. Westkap ist die einzige Provinz, in der schwarze Afrikaner und Afrikanerinnen nicht die Mehrheit der Bevölkerung bilden—außerdem ist sie auch die einzige Provinz, in der die regierende Partei African National Congress (ANC) nicht die Mehrheit hat. Menschen, die als Coloureds eingestuft wurden, wurden in den 1980ern von der nationalistischen Regierung mehr politische Rechte eingeräumt als Schwarzen, und die zwei Bevölkerungsgruppen sehen sich allgemein als kulturell verschieden. Rassismus zwischen Coloureds und Schwarzen ist nicht unerhört. Das bedeutet, dass der ANC in den Jahren zwischen Mandelas Freilassung 1990 und den ersten demokratischen Wahlen 1994 nicht unbedingt die nächstliegende Wahl für Coloureds darstellte.

Anzeige

Westkap ist also ein wichtiges Symbol für die politische Landschaft Südafrikas, denn hier finden Machtkämpfe statt, die oft dazu führen, dass bestimmte Gemeinden völlig vernachlässigt werden. Die Reaktion auf Bandenkriminalität ist nicht einheitlich, sondern kompliziert, bürokratisch und von internen Streitigkeiten gezeichnet. Die ultimative Ironie ist jedoch, dass die rassistische Politik, die überhaupt erst zur Besiedlung der Flats geführt hat, heute dafür sorgt, dass eine kooperative, effektive Lösung für dieses Leid nirgends in Sicht ist.

Die Metro Unit besteht aus etwa 600 Mitgliedern, untersteht der Stadt und somit der aktuellen Provinzregierung, der Democratic Alliance (DA). Die primäre Polizeibehörde des Landes, der South African Police Service, besteht aus etwa 22.000 Personen und muss sich nur gegenüber der nationalen Exekutive verantworten: dem ANC. Das politische Spielfeld, auf dem ständig ANC und DA miteinander konkurrieren, hinterlässt schreckliche Spuren in einer Gemeinde, die es nicht weniger interessieren könnte, wer sich der Situation annimmt, so lange es nur jemand tut.

Die Metro Police soll allgemein nur Verkehrsregeln und städtische Verordnungen durchsetzen. In Westkap kümmert sie sich jedoch auch um die Prävention von Gewaltverbrechen und bildet ergänzende Einheiten wie das Team „Gangs and Drugs". Inoffiziell tut sie das in Reaktion auf die wenig effektiven Bemühungen des SAPS, der eine schlechte Festnahmerate, verbreitete Korruption und eine schockierend schlechte Verwaltung an den Tag legt. Gerüchte über polizeiliche Komplizenschaft sind verbreitet, und letzten Juni wurde ein ehemaliger Polizeibeamter, Christiaan Prinsloo, in einem höchst publiken Fall festgenommen, weil er Banden mit Waffen versorgt hatte. Die Verurteilungsrate bei Bandenkriminalität liegt Schätzungen zufolge bei etwa 2 Prozent—das sind 35 erfolgreiche Verurteilungen wegen Mordes bei 950 gemeldeten Morden in den letzten drei Jahren.

Anzeige

Die Metro Police ist in den letzten neun Jahren um 53 Prozent gewachsen. Offiziell können sie Festnahmen machen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen durchführen, und sie sind stärker bewaffnet als die anderen städtisch verwalteten Polizeieinheiten. JP Smith sagt, der SAPS habe sie gezwungen, „das Rad neu zu erfinden". Im vergangenen Jahr allein hat die Stadt 46 Millionen Rand (etwa 2,6 Millionen Euro) zur Bekämpfung der Bandenkriminalität bereitgestellt.

„Die Öffentlichkeit hat kein Vertrauen in die Polizeireviere. Es gibt kein Vertrauen in den SAPS—sie haben in den Augen der Menschen jegliches Ansehen verloren", sagt er. „Die [südafrikanische Strafverfolgungsbehörde] National Prosecuting Authority spricht nun direkt mit uns, was es vorher noch nie gegeben hat. Sie übernehmen die Fälle direkt von uns."

Smith ereifert sich über die politischen Zusammenhänge: „Es wird absichtlich und böswillig auf der politischen Ebene untergraben, und das erkennt man an der Knappheit der Budgets."

Die Banden werden zu sozialen Institutionen, zu denen zu gehören sich die Desillusionierten und Armen wünschen. Auf der nächtlichen Patrouille mit der Gang-Einheit fühlen sich die von der Stadt subventionierten Sozialsiedlungen an wie ein Stück Sowjetunion. Die Wohnungen stehen in ordentlichen Reihen, die sich gen Himmel recken und nur von schmalen, schummrigen Gassen unterteilt sind. Wo man hinsieht, gibt es nur Asphalt, Beton und Trostlosigkeit.

Anzeige

Die Gang-Einheit führt alle zwei Wochen einen großen Einsatz wie diesen durch. Während wir durch Blocks mit Namen in Afrikaans wie „Geduld" (das Wort ist mit dem deutschen identisch) streifen, starren die Bewohner von oben auf uns herunter. Die Einheit spielt schon fast eine mütterliche Rolle—sie praktiziert sozusagen strenge Liebe. Die Leute, die draußen herumlungern, werden aufgefordert, hinein zu gehen: „Wat maak jy nog so laat buite?" („Was machst du noch so spät draußen?"). Die gesamte Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion basiert auf Informationen, die im Laufe der Woche gesammelt wurden. Manche Bewohner haben ein Problem damit, dass die Metro Police scheinbar willkürliche Durchsuchungen durchführt, andere sind wiederum freundlich und heißen sie willkommen.

Über Funk wird eine Schießerei zwischen zwei Blocks gemeldet. Als wird dort ankommen, hängt der Geruch von Schießpulver noch dick in der Luft. Die Bandenmitglieder schießen direkt von einem Wohnblock über die Straße in ein anderes Gebäude. Anscheinend helfen die Leute einander dabei, Waffen zu verstecken und sich unter die anderen Bewohner zu mischen, sobald die Boere (Schweine) auftauchen. In vielen Fällen, so erzählen uns Mitglieder der Einheit, sagen die Bewohner den Beamten, sie sollen sich auf die Suche nach anderen Gangstern machen; immerhin handle es sich bei diesen Gangstern hier um ihre Gangster, und die anderen Gangster seien das wahre Problem. Trotz der Bemühungen der Metro Police, auf einer persönlicheren Ebene zu arbeiten als der SAPS, sind die Spannung und das Misstrauen deutlich erkennbar.

Anzeige

„Es würde helfen, wenn der SAPS richtig eingesetzt werden würde. Die Tatsache, dass Bandengewalt eine Verurteilungsrate von zwei Prozent hat, sagt eigentlich schon alles", erklärt Smith, als wir im Van sitzen. „Es ist durch und durch politisch. Das ist auch der Grund, warum sie keine Spezialeinheiten wollen. Weil diese Typen mit einem Fuß im Bandenmilieu stehen und nicht wollen, dass ihr Geschäft leidet."

Premierministerin Zille ist häufig zum selben Schluss gelangt. Bei einer Rede im Jahr 2014 über das Verbot der berühmten Spezialeinheiten von 2003 sagte sie: „Uns bleibt hier nur ein Schluss zu ziehen: [Die Einheiten] wurden vom damaligen Commissioner, Jackie Selebi, abgeschafft, weil er sich mit einen ‚dicken Fischen' angefreundet hatte und verhindern wollte, dass man effektiv gegen sie vermittelt."

Selebi, ein ehemaliger Interpol-Präsident, hatte bereits zugegeben, ein freundschaftliches Verhältnis mit einigen wichtigen Gangstern zu haben. 2010 wurde er der Korruption schuldig befunden, doch man ließ in zwei Jahre darauf auf medizinische Bewährung frei und er starb Anfang 2015.

Die Südafrikanerin Cata.Pirata zeigt dir auf Munchies, wie du einen erfrischenden, veganen Wassermelonenkuchen zauberst

Der SAPS hat allerdings auch schon seine eigenen Erfolge verzeichnet. Ende 2010 wurde Operation Combat gestartet, eine Strategie zur Bekämpfung der Bandenkriminalität unter der Leitung von Major General Jeremy Veary. In Kombination mit dem Gesetz Prevention of Organized Crime Act hat die Strategie bereits zur erfolgreichen Verurteilung von 16 hochrangingen Fancy Boys sowie 6 sogenannten „28ern", Anführern der Numbers Gang, aus den Vororten Bishop Lavis und Valhalla Park geführt. Dabei soll es sich um das Ergebnis intensiver Ermittlungen handeln, die insgesamt zwei Jahre in Anspruch nahmen. Die allgemeine Verurteilungsrate bleibt jedoch weiterhin niedrig. Smith behauptet, Veary und sein Team seien nicht gewillt, mit der Metro Police zu zusammenzuarbeiten.

Anzeige

„Wir sind bereit zu einer Kooperation und haben durchgehend mit ihnen Kontakt aufgenommen. Ich habe drei Treffen mit [Veary] vereinbart. Ich bin sogar durch einen politischen Kollegen von ihm gegangen, um ein Treffen zu sichern", behauptet Smith. „Drei Termine, und alle wurden innerhalb von Minuten abgesagt. Das war ein offener ‚Diss' an uns. Wir haben es versucht—sie sind einfach unwillig."

Der ANC und seine Kameraden haben sich öffentlich gewehrt und Smith und Zille vorgeworfen, sie gingen nicht gezielt vor und ihnen fehle eine verantwortungsvolle Leitung: „Smith kopiert Gimmicks aus dem Ausland, welche die Stadt Unsummen kosten, ohne eine eigene Idee zu haben, wie das Problem zu lösen wäre", schreibt Tony Ehrenreich, ein Gewerkschaftler und ANC-Mitglied. „Seine Einheit ist in dieser Krise kein bisschen hilfreich für uns gewesen. Die problematischste Gegend zerfällt, während er allen anderen die Schuld gibt."

Angesichts der politischen Konflikte zwischen den Behörden der Provinz und des Staats scheint eine Lösung der Krise nirgends in Sicht. Dies liegt auch zu einem großen Teil an einem kürzlichen Gesetzesvorschlag, demzufolge der SAPS und die Metro Police im August 2015 „stromlinienförmig gestaltet" werden sollten. Die Behörden von Westkap beschrieben ihn als „Beweis dafür, dass es sich hier hauptsächlich um eine politisch motivierte Aktion handelt, und dass der Wunsch, überall in Südafrika die Kontrolle über die Metro Police zu erlangen, parteipolitisch motiviert ist und nicht im Interesse der breiten Öffentlichkeit stattfindet."

Und tatsächlich, eine Woche nach unserem Besuch bei der Metro-Einheit im November 2015 enthüllte die gefeierte investigative Abteilung der südafrikanischen Zeitung Mail & Guardian, der amtierende Präsident Jacob Zuma habe sich im Vorfeld der Lokalwahlen von 2011 mit hochrangigen Gangstern getroffen. Die Bandenmitglieder hätten ihm im Austausch für Geschäftschancen politische Unterstützung versprochen. Dabei sollen die Gangster „freundlich" mit Zuma gesprochen haben. Der Bericht wurde vom ANC als falsch abgetan, obwohl zwei unabhängige Zeugen die Angaben bestätigten.

Die Tatsache, dass Bandenchefs derartige Versprechen machen und sich mit dem Präsidenten treffen können, macht deutlich, wie viel Einfluss sie in ihren Gemeinden haben. Die Metro Police kann mit ihren Ressourcen nur so viel bewirken, und währenddessen fechten ihre Vorgesetzten auf dem politischen Spielfeld einen Konflikt aus, der nichts mit dem Leben in den Flats zu tun hat. Die Beamten, die wir bei ihrem Einsatz begleiteten, weigerten sich aus Furcht vor Racheaktionen durch Bandenmitglieder, ihre Namen veröffentlichen zu lassen, doch sie legten allesamt einen gewissen erschöpften Fatalismus an den Tag. Die nächtliche Nachbesprechung endet mit einer Vorbesprechung für die Mission des folgenden Tages: die Bewachung der Beisetzung des jungen Mannes, der in Delft erschossen worden ist.

Ein hochrangiger Beamter lässt die Nacht mit einer Zigarette ausklingen. Wir fragen ihn, warum er diesen Job macht, wo doch die Kommunikation zwischen Gemeinde und Polizei sich so verschlechtert hat, die Arbeit so undankbar ist und die Zukunftsaussichten so trostlos und von südafrikanischen Stereotypen durchzogen sind. Wie macht man in einer Gemeinde Polizeiarbeit, die einen oft gar nicht da haben will?

Seine Antwort: „Pfff, Mann. Jemand muss doch mal damit anfangen, in diesem Land aufzuräumen."