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​Besorgte Neonazis in Marzahn

In Berlin-Marzahn versuchen Rechte, sich als besorgte Bürger auszugeben. Ihre Demo am Samstag wurde blockiert.

Eine Demo, bei der Musik von bekannten Rechtsbands gespielt wird, die Ordner bestehen aus Kadern der NPD und der Partei „Die Rechte" und tragen Thor-Steinar-Klamotten und die Teilnehmer setzen sich aus NPDlern und Sympathisanten zusammen. Nazidemo? Niemals. Willkommen bei den „besorgten Bürgern" in Berlin-Marzahn.

Nach drei „ ​Montagsdemos" in Marzahn wurde für letzten Samstag groß eine weitere Demo angekündigt, bei der man mit wenigstens 1000 Teilnehmern rechnete. Nach Angaben der Polizei kamen höchstens 800. 1700 Polizisten aus drei Bundesländern waren vor Ort. Auf beiden Seiten der eingekesselten Demo demonstrierten mindestens 1500 bis 2000 Gegendemonstranten, die damit verhinderten, dass die Heimgegner ihre geplante Strecke laufen konnten.

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Gegendemonstrant nach einer Pfeffersprayattacke durch die Polizei

Irgendwann setze die Demo sich, jetzt noch mit 350 Teilnehmern, doch noch in Bewegung, machte dann nach wenigen Metern eine 180-Grad-Wendung (keine geistige leider) und wurde auf derselben Straße unter Begleitung der Gegendemonstranten, die zuvor durch die Absperrungen gebrochen waren, von der Polizei zum nächsten S-Bahnhof eskortiert und dort in Züge verfrachtet.

Bürgerinitiativen waren früher ein Biotop für Birkenstock tragende Weltverbesserer, die bei Tee und selbstgebackenen Plätzchen über die Verhinderung von Atomendlagern diskutierten oder Schilder in ihre Vorgärten stellten, um irgendeine Umgehungsstraße zu verhindern oder zu fordern. Die Zeiten haben sich geändert. Heute trägt man eher Springerstiefel, Deutschlandfahne, hört Rechts-Rap und grölt NPD-Parolen, um Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft zu verhindern.

Schon im letzten Jahr gründete sich die Bürgerinitiative Hellersdorf, die gegen eine  ​geplante Flüchtlingsunterkunft im Bezirk mobil machte. Im Oktober 2014 kündigte der Senat an, insgesamt ​2200 Flüchtlinge in Containerdörfern außerhalb der Innenstadt, unter anderem in Hellersdorf-Marzahn, unterzubringen. Daraufhin hat sich in Marzahn eine weitere sogenannte Bürgerinitiative gebildet, die nicht etwa anprangert, dass Menschen in Containern leben müssen, sondern vielmehr, dass sie überhaupt irgendwo untergebracht werden.

Gegendemonstranten beim Versuch, den Polizeikessel um die Heimgegner zu umgehen

Innensenator Frank Henkel (CDU) sprach von „rechtsextremen Rattenfängern", die sich die angeblich begründeten Ängste „besorgter Anwohner" zu eigen machen und damit neue Anhänger rekrutieren wollen. Und tatsächlich ist es schon seit Längerem das Ziel der NPD,  ​gesellschaftsfähig zu werden. Das funktioniert in Berlin allerdings bisher nicht so optimal. In aller Regel finden NPD-Demos abgeschirmt von der Polizei vor einer Handvoll Journalisten statt. ​Die Teilnehmer können sich weder vor noch zurück bewegen, weil sich außenherum eine riesige Menge an Gegendemonstranten sammelt. Jetzt läuft es aber anders.

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Direkt nachdem Flüchtlingsunterkünfte angekündigt wurden, tauchten Facebook-Seiten von  ​„besorgten Bürgern" und Bürgerbewegungen auf, die die üblichen Vorurteile aufzählten, die man in Kartoffel-Deutschland gerne gegenüber Fremden hat. Allerdings sind weder die besorgten Bürger noch ihre Initiativen ​direkt als Neonazis zu erkennen. Tanja Roth vom „Bündnis Hellersdorf-Marzahn", das Gegenveranstaltungen gegen die Veranstaltungen der Bürgerbewegten initiiert, geht davon aus, dass NPDler und andere rechte Gruppierungen es damit schaffen, einen reaktionären Grundtenor aufzugreifen und Menschen auf die Straße bringen, die zwar ansonsten im eigenen Wohnzimmer nach drei Bier gegen Ausländer hetzen, aber das nicht draußen tun würden. Die Schwelle, sich an diesen Demos zu beteiligen, sinkt also.

Die Bürgerbewegung legt, zumindest in der Kommunikation auf Facebook und auf Flyern, die in Marzahn verteilt werden, größten Wert darauf, nicht mit Neonazis und rechtsextremen Parteien (bzw. Parteien überhaupt) assoziiert zu werden. Sobald ein Artikel erscheint, der die offensichtlichen Verbindungen der Gruppe dazu beschreibt, empört man sich und betont, wie unpolitisch man doch eigentlich sei, und dass sich hier nur Anwohner versammeln. Wenn man die Demo aber tatsächlich besucht, wird aber schnell klar, mit wem man es hier zu tun hat.

Uwe Dreisch

Zumindest die letzte Montagsdemo in Marzahn wurde von Uwe Dreisch angemeldet, der auch am Samstag als Ordner dabei war. Dreisch war zumindest eine Zeit lang Vorsitzender der vom Verfassungsschutz beobachteten „Die Rechte", einer rechtsradikalen Partei,  ​die aus der DVU hervorging und in der sich auch Mitglieder aus Freien Kameradschaften sammeln.

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Gesine Schrader

Neben anderen bekannten Gesichtern, die ebenfalls regelmäßig an NPD-Demos teilnehmen und hier Jobs als Ordner gefunden haben, war auch Gesine Schrader dabei, ehemalige Landesvorsitzende des RNF Berlin und Kreisvorsitzende der NPD Berlin-Marzahn-Hellersdorf. Aufgrund interner Machtkämpfe 2009 wurde ihr angeblich gedroht,  ​Nacktbilder zu veröffentlichen, sowie publik zu machen, dass sie ihr Geld als Sexarbeiterin verdient. Das Thema wurde in der NPD breitgetreten und eine Anzeige, die sie angeblich auf huren24.info geschaltet hat, ist weiterhin online. Und natürlich wäre es keine rechte Party, wenn ​Sebastian Schmidtke, NPD-Vorsitzender in Berlin, nicht dabei wäre, der am Samstag gleich mehrere Termine im Kalender hatte.

— Sebastian Schmidtke (@SebastianNPD)November 22, 2014

Anwohner oder zumindest Leute, bei denen man nicht am liebsten die Straßenseite wechseln würde, wenn sie einem entgegen kommen, waren jedenfalls auf dieser Demo kaum zu sehen.

Das sagen auch die, die es wissen sollten: die wirklichen Anwohner. Die sprechen auch einige Punkte an, die grundsätzlich falsch laufen, bei der Planung der Containersiedlung in Marzahn. Eine Gruppe aus vier etwa 40-jährigen Frauen, die zwar grundsätzlich (und auch eher aus dumpfen Gründen) gegen die Unterbringung von Flüchtlingen im Bezirk sind, sagen trotzdem einstimmig, dass sie sich niemals dieser Demonstration anschließen würden und auch niemanden kennen, der das tut. Ein älterer Herr, der gerade vom Einkaufen zurückkommt und abwarten muss, bis er an der Heimgegner-Demo vorbei und wieder in seine Wohnung kann, antwortet auf meine Frage, was er von der ganzen Situation hält, auch einfach: „Meine Sie die Nazis?"

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Die  „besorgten Anwohner" wurden zur S-Bahn eskortiert.

Er sagt, dass er keine Anwohner auf der Demo gesehen hat und teilt die Meinung, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Containern problematisch ist. Aber nicht wegen der Flüchtlinge, sondern wegen der Container. Es gibt in Marzahn (wie in vielen Berliner Bezirken) eine Menge leerstehende Gebäude und Wohnungen, die seiner Meinung nach viel besser dazu geeignet wären, diese Menschen unterzubringen. Seine Meinung deckt sich dabei ziemlich genau mit der der Opposition im Berliner Senat und auch der der Gegendemonstranten.

Die Niederlage von Samstag gibt den Heimgegnern, zumindest auf Facebook, erstmal Unterstützung, allerdings zeigt sich auch hier, mit was für Leuten man es hier zu tun hat.

Am 24.11.2014 findet die vierte Montagsdemo in Marzahn statt und der Versuch geht weiter, die Legende um die besorgten Anwohner und die sie unterdrückende Polizei und die Antifa zu stricken.

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