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Sex

Die Online-Community der Nies-Fetischisten

Es gibt tatsächlich Menschen, die durch Erkältungssymptome erregt werden. Durch das Internet haben sie nun endlich die Möglichkeit, einander zu finden und sich auszutauschen.

Illustration: Alex Jenkins

Was die verschiedenen Körperfunktionen angeht, ist das Niesen wohl noch am ehesten mit einem Orgasmus vergleichbar: Alles beginnt mit einem leichten Kitzeln, dann folgt der spannungsgeladene Aufbau und schließlich kommt es zur plötzlichen, fast schon vulkanartigen Eruption. Die explosive körperliche Erleichterung ist förmlich greifbar und das Niesen hat einem tatsächlich Befriedigung verschafft.

Für manche Menschen ist es jedoch auch befriedigend (manchmal sogar sexuell), Andere beim Niesen zu beobachten. Und genau diese Menschen haben jetzt durch das Internet herausgefunden, dass sie mit ihrer Neigung nicht alleine sind und es da draußen eine ganze Community an Nies-, Hust- und Erkältungsfetischisten gibt.

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„Ich stehe sowohl aufs Niesen als auch auf andere Symptome wie etwa Husten, Fieber und allgemeines Unwohlsein. Ich bin wohl eher so etwas wie eine Erkältungs- und Allergie-Fetischistin", erzählt mir Emma, eine 29-jährige Kanadierin, die auf einer Website für Nies-Fetischisten aktiv ist.

Sie erinnert sich noch daran, wie sie als Kind total an in Büchern oder im Fernsehen vorkommenden Niesern interessiert war—zum Beispiel die Szene aus dem Animationsfilm Frosty - Der Schneemann, in der ein Mädchen fürchterlich zittert und niest, weil sie im Kühlwagon eines Zugs reisen muss, oder der von Emma immer wieder gern gelesene Disney-Comic, in dem Tick, Trick und Track krank werden.

Genauso wie Emma ist auch Terry, ein 21-Jähriger aus dem Nordosten der USA, schon seit seiner Kindheit vom Niesen fasziniert. Er meint jedoch, dass seine Gefühle dem Niesen gegenüber erst während der Pubertät immer sexuellere Züge annahmen.

Durch das Internet fanden sowohl Emma als auch Terry im späten Teenageralter heraus, dass die intensiven Gefühle, die sie in ihrer Kindheit verspürten, nicht nur ein richtiger Fetisch sind, sondern dass es auch noch anderen Menschen wie sie gibt.

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In den unendlichen Weiten des Internets gibt es mehrere Orte, wo sich Nies-Fetischisten austoben können: Da haben wir zum Beispiel das Sneeze Fetish Forum—eine 3.500 Mitglieder große Community, in der sich die Leute über Geschichten und Beobachtungen austauschen sowie Tipps für ein Coming-out geben. Dann gibt es ein privates Reddit-Unterforum für allgemeine Diskussionen zu diesem Thema. Aber auch die Kreuzung aus Nies- und Anthropomorph-Fetisch wird mit dem Furry Sneezing Archive bedient. Und dazu gesellen sich schließlich noch eine ganze Menge Seiten im Web-1.0-Stil wie etwa Tarot of Sneezing. Dort schreibt der Webmaster in einem der ersten Posts sogar, dass „es da draußen jetzt so viele Sachen bezüglich des Niesens gibt—von Chats bis hin zu Foren. Dort kann man sich mit anderen Menschen austauschen, die ebenfalls aufs Niesen stehen."

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Was ich damit sagen will: Man ist mit seinem Nies-Fetisch nicht alleine.

„Ich glaube, ich habe mir Audio-Dateien von niesenden Leuten angehört, als ich mich das erste Mal selbst befriedigt habe", erzählt mir Emma. „Diese Dateien hatte ich von einer Fetisch-Website. Plötzlich gab es da einfach eine ganze Reihe an Online-Anlaufstellen, wo die Leute über die gleichen Fantasien schrieben, die mir schon seit Jahren im Kopf herumspukten."

Lyna, eine 21-Jährige aus dem ländlichen Missouri, wurde Krankenschwester, nachdem sich bei ihr ein Nies-Fetisch entwickelt hatte. Sie betont jedoch auch schnell, dass es sie nicht zwangsläufig erregt, ihren Patienten beim Niesen zuzuschauen. Ihr Fetisch hat bei ihrer Berufswahl dennoch eine gewisse Rolle gespielt.

„Die meisten Nieser turnen mich eigentlich gar nicht an—aber das ist wahrscheinlich auch gut so, denn ich arbeite ja im medizinischen Bereich", meint Lyna. „Ich bevorzuge beinharte Typen, die ihre Erkältung so lange ignorieren, bis sie nicht mehr können. Ich liebe diese Augenblicke der Spannung kurz vor dem Niesen, wenn diese Männer versuchen, das Ganze zu unterdrücken oder sogar noch zu reden. Ich stehe auch total auf die heisere Stimme von kranken Männern, die dann gleich viel tiefer und rauer daherkommt. Mir gefällt meine Tätigkeit als Krankenschwester doch sehr gut", lacht sie.

„Vieles von dem, was diese ganze Sache für mich so attraktiv macht, hängt von der jeweiligen Situation ab und geht mit einem gewissen Kontrollverlust einher", erklärt mir Emma. „Deshalb finde ich einen einzelnen Nieser oder Huster zwar ganz nett, aber inzwischen ist das auch so alltäglich geworden, dass ich so etwas oft ignoriere. Da finde ich es viel interessanter, wenn jemand von seinen Erkältungssymptomen komplett ausgeknockt wird oder wegen seines Heuschnupfens nicht mehr klar denken kann."

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Verglichen mit Leuten aus der Bondage-, BDSM- oder Living-Doll-Szene halten sich die Nies-Fetischisten, mit denen ich für diesen Artikel geredet habe, in Bezug auf ihre Vorliebe extrem bedeckt. Sie veranstalten keine Treffen oder Messen und außerhalb der Chats und Internetforen, wo sie sich austauschen, machen sie ihren Fetisch nie zum Gesprächsthema.

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„Ich stamme aus dem Süden der USA und meine Familie ist sehr christlich", meint Lyna. „Außerdem wohne ich in einer sehr engstirnig denkenden Kleinstadt. Wenn ein Fetisch also nicht gerade etwas mit großen Pick-up-Trucks zu tun hat, dann sollte man hier keinem Menschen etwas davon erzählen."

Laut Dr. Chris Donaghue, einem Sextherapeuten und dem Autor des Buchs Sex Outside the Lines: Authentic Sexuality in a Sexually Dysfunctional Culture, ist es wichtig, Menschen mit außergewöhnlichen Vorlieben nicht zu stigmatisieren. „Diese Leute schämen sich wegen ihres Nies-Fetischs und nicht wegen des eigentlichen Akts. Und genau hier liegt auch das eigentliche Problem", meint er.

Wenn es einen Ort gibt, an dem die Nies-Fetischisten keinen Hauch von Scham verspüren, dann ist das das Internet. Alle für diesen Artikel interviewten Personen beschreiben das World Wide Web als eine Art Ventil, mit dessen Hilfe sie ihre Wünsche frei äußern und sich aus der Einsamkeit ihres Alltags befreien können.

So meint Emma noch abschließend: „Ohne das Internet hätte ich meine Empfindungen wohl niemals als sexuelles Interesse und noch weniger als Fetisch angesehen."