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Reisen

Das dritte Korea

Korea ist dafür bekannt, dass es aus zwei Teilen besteht: einem bösen und einem, der großartige Flachbildfernseher produziert. Nur wenige Leute wissen hingegen, dass es ein weiteres Korea gibt, das westlich der beiden berühmten liegt.

Korea ist dafür bekannt, dass es aus zwei Teilen besteht: einem bösen und einem, der großartige Flachbildfernseher produziert. Außerdem wisst ihr sicherlich, dass es durch die weltweit am stärksten militärisch gesicherte Grenze geteilt wird, was einen Wochenendtrip nach Pjöngjang äußerst schwierig macht. Nur wenige Leute wissen hingegen, dass es ein weiteres Korea gibt, das westlich der beiden berühmten liegt.

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An dieser Stelle treffen Norden und Süden aufeinander und bilden ein von den Chinesen überwachtes Durcheinander aus Kapitalismus und Kommunismus. Wenn du also schon immer die Geburtsstätte Kim Jong Ils besuchen wolltest, während du Starbucks-Kaffee schlürfend K-Pop hörst, ohne erschossen zu werden, dann ab nach Westkorea.

Im kaum bekannten „Autonomen Bezirk Yanbian der Koreaner“ im Nordosten Chinas findet der politisch schizophrene Vagabund all das, was er sich nur wünschen kann: Hippe südkoreanische Kaffeehäuser, gigantische Modegeschäfte und Clubs, in denen die besten DJs aus Seoul auflegen. Daneben eine graue, kommunistische Weltansicht, in der es kitschige militarisierte Freizeitparks, sozialistische Statuen und Arbeiteruniformen gibt und wo eine Klima der ökonomischen Stagnation herrscht. Um von Peking dorthin zu gelangen, musste ich eine 24-stündige Zugfahrt auf mich nehmen, während der ich mich in einem durchgehend beleuchteten, überfüllten Abteil auf einen harten, aufrechten Holzsitz lehnte. Um mich herum warfen die Leute halbgegessene Wursthäute auf den immer ekliger werdenden Waggonfußboden.

Die zwei Millionen Einwohner von Yanbian bilden die größte koreanische Gemeinschaft außerhalb der koreanischen Halbinsel. Dieses von China verwaltete Gebiet nutzen Geschäftsleute, Regierungsbeamte und durchgeknallte Evangelisten aus dem Norden und Süden, um sich auf neutralem Boden zu treffen, zu reden und zu handeln.

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Leider ist es mit Nordkorea niemals wirklich unkompliziert, und wenn das böse Korea einen seiner hinterhältigen, unterirdischen Atomwaffentests durchführt, kann es zu Erdebeben in Yanji, der Hauptstadt Yanbians, kommen. Außerdem macht es ihnen Spaß, hin und wieder einen südkoreanischen Pfarrer zu entführen.

Im Zentrum von Yanji gibt es viele helle Neonlichter und verdammt leckeres koreanisches Essen; eigentlich ist es ganz nett und wenn man hier nachts spazieren geht, vergisst man das, was man am Tag vorfindet.

Bei Tag nämlich sieht man hier nur Häuserblöcke, die in ihrer zerbröckelnden, kommunistischen Art und Weise Spalier stehen, sowie sozialistische Statuen, die tanzende Frauen darstellen.

Um die Beweise für  vom Süden geerbten Wachstum und Wohlstand zu vernichten, haben die Nordkoreaner einen unheimlichen, halb verlassenen Themenpark bauen lassen, der auf seine ganz eigene Art nur einem traumatisierten, eingesperrten Volk Spaß vorgaukeln kann.

Hier sehen wir traditionelle kommunistische Superhelden: das Brustwarzenschwein und der Schwule Hirsch.

Es gibt auch eine lustige Einschienenbahn, die durch das Land der weinenden, an ihren Ohren aufgeknüpften Teddys fährt.

Erst muss man am Mann ohne Augen vorbei, bevor man mit dem Karussell fährt…

…auf einer Atomrakete schaukelt…

… und eine Show mit einer nackten Schlangenfrau sieht.

Mit diesem Panzer üben wahrscheinlich die Kindersoldaten für den großen Tag, an dem sie die Straßen runterfahren und südkoreanische Cafés in die Luft jagen.

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Hier ist eine Statue eines satanischen Geisterbeschwörers, der versucht einem Mädchen eine Schlange einzuführen.

Bei der vorherrschenden, eintönigen Hoffnungslosigkeit, ist es kein Wunder, dass Morrissey zum Sterben hierher kam.

Abgesehen von diesen ganzen Entertainment-Gräueltaten ist Yanji seinem größten Tourismusmagneten besonders dankbar:  es soll die mystische Geburtsstätte von Kim Jong Il sein.

Der Himmelssee liegt auf einer Höhe von 2.000 Metern im Changbai-Gebirge, das sich im Grenzland zwischen China und Nordkorea unweit von Yanji befindet. Auf der einen Seite sind nur kaum zu sehende Wachposten stationiert, auf der anderen schmeißen chinesische Touristen ihre angefressenen Wurstreste auf den Boden.

Der Tatsache, dass diese Region etwas biblisches hat, ist es zu verdanken, dass der nordkoreanische Propagandaapparat im Nachhinein entschieden hat, dass sein Führer hier geboren sein soll. Das ist natürlich totaler Bullshit, aber es hört sich doch besser an als das schäbige sibirische Ausbildungslager, in dem der gemeine Wicht tatsächlich zur Welt kam. Meine Freundin Emily und ich haben die Fakten Fakten sein lassen und haben uns stattdessen für 35€ ein Allradfahrzeug gemietet und sind damit bis zum Gipfel gefahren.

Bevor die koreanische Halbinsel geteilt wurde, war sie eine Brutstätte des Christentums und Pjöngjang war die Jesushauptstadt Asiens. Als jedoch die nordkoreanischen Kommunisten an die Macht kamen, haben sie das ganze platt gemacht und die Kims haben eine neue Mythologie - quasi das beste der Bibel, nur mit Atomwaffen – eingeführt. Um die Leute davon zu überzeugen, haben sie so viele christliche Bräuche wie möglich darin einfließen lassen. Deshalb passt es ganz gut, dass die Nordkoreaner ihren Staatsfeiertag am Geburtstag von Kim Jong Ils Mutter feiern, genau in der Zeit, in der der Rest der Welt Weihnachten feiert und deshalb tun sie so, als ob ihr Führer in entlegener Einsamkeit im gebirgigen Pendant eines Stalls geboren wurde.

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Wir sind auf diesen geheiligten Nachbau seiner Entbindungshütte gestoßen, bevor wir die letzte Steigung zu Fuß erklommen. Sieht gemütlich aus.

Sie gehört zu diesem verlassenen Ferienressort, das eigentlich für Koreaner gedacht war, aber jetzt von Bergziegen besetzt ist.

Meiner Meinung nach wäre dies ein netter Ort, um politische Gefangene festzuhalten.

Es ist richtig, richtig kalt auf dem Gipfel des Berges. Richtig kalt.

Wie dem auch sei, es ist immer schön zu sehen, wie Kinder glücklich an einer befestigten Grenze eines totalitären Staates spielen. Hier sind ein paar Kids, die mit ihrer Mutter über den Zaun nach Nordkorea gehüpft sind und jetzt zurück nach China schauen, wo ein „Abstand halten!“-Schild versucht, Überläufer in letzter Sekunde abzuschrecken. Das ist der Beweis dafür, dass die Jugend von heute keinerlei Respekt mehr gegenüber den Achsen des Bösen hat.

Als wir wieder unten waren, ist uns klar geworden, dass wir tatsächlich alles mythenhafte, das das Dritte Korea zu bieten hat, auch unternommen haben. Es war eine schöne Zeit, aber nächstes Mal mach ich Urlaub auf Antigua.