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Vice Blog

Yes Men, Front Deutscher Äpfel und Peng!—Das Gipfeltreffen der Kommunikationsguerilla

Sex mit Eisbären, der Kampf gegen die Überfremdung des nationalen Obstbestandes und friendly fire aus den eigenen Reihen: Am Donnerstag trafen sich Kommunikationsguerillos in Berlin.

Die Überschrift oben ist selbstverständlich absoluter Unsinn, DIE Kommunikationsguerilla gibt es sowieso nicht. Sondern unterschiedliche Akteure, die durch ihre Interventionen in der Gesellschaft des Spektakels für Unruhe sorgen und auf diesem Wege politische Themen setzen.

Einige dieser Akteure trafen vergangenen Donnerstag beim Kommunikationsguerilla-Gipfel aufeinander. Mit dabei sind unter anderem die Yes Men, das Peng! Collective, die Front Deutscher Äpfel, die Partei „Die PARTEI", aber auch subversionsunverdächtige Gruppen wie das „Zentrum für politische Schönheit" (ZpS).

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Die PARTEI bei offiziösen Empfang im georgischen Staatsfernsehen

Es ist nicht die erste Veranstaltung dieser Art – der Gipfel der Kommunikationsguerilla wird von der taz bereits seit 1987 regelmäßig ausgerichtet. Dieses Mal wurde der Gipfel erst wenige Tage vor dem Event durch den Initiator Martin Kaul einberufen. Kaul ist taz-Redakteur, sein Arbeitsschwerpunkt sind soziale Bewegungen. Die Gäste erwartet kein Krisengipfel, wir blicken nach vorn: Heute lautet das Thema: „Die ganze Wahrheit über alles". Der Untertitel verrät: „Eine sehr gute Veranstaltung—spektakulär und provokant. Wir raten zu kommen, aber gewähren für nichts". Und so beginnt sie wie jede authentische Verbandsveranstaltung auf deutschem Boden: „Gibt es Fragen zur Tagesordnung?", fragt Kaul.

Andy Bichlbaum (The Yes Men) und Tom Rodig (Front Deutscher Äpfel)

Klar stellt sich die Frage, ob sich Kommunikationsguerilla überhaupt einladen lässt. Eine Intervention auf Anfrage ist ein Widerspruch in sich. Aber natürlich gehört es zur Kommunikationguerilla einen Arsch in der Hose zu haben und Widersprüche auszuhalten. So macht die PARTEI gleich zu Beginn lautstark auf ihre Empörung aufmerksam – sie wurde mal von der taz als Spaßpartei bezeichnet. Die Aktivistinnen und Aktivisten in grauen Anzügen rücken als Gegendemo an, sie haben Trillerpfeifen und Schilder dabei. Es sind nicht ihre üblichen Motive wie „Inhalte überwinden" oder „Wirr ist das Volk". Sie wurden für diesen Abend eigens angefertigt und tragen Sprüche wie „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht mehr" oder auch „Versteht man eh nicht".

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Letzteres Schild bezieht sich direkt auf die Veranstaltung. Auch eine Abgesandte des ZpS fragt im Laufe des Abends, was Kommunikationsguerilla eigentlich sein soll. Tatsächlich ist dieses Aktionsmittel ein ziemlich weites Feld, aber auch nicht so unglaublich kompliziert. Das „Guerilla" im Begriff sagt es schon: Kommunikationsguerilla heißt Angriff. Und das ist durchaus im militanten Sinne zu verstehen, auch wenn die Mittel der Kommunikationsguerilla zumeist betont gewaltfrei sind. Aber dennoch, es geht um Angriffe von Einzelgruppen auf den öffentlichen Diskurs, um die Setzung von politischen Themen mittels symbolischer Aktionen. Der ebenfalls anwesende Begründer der Pollerforschung Helmut Höge) zieht später am Abend sogar Parallelen zu den Kaufhausbränden von 1968 und betont, die Leute hätten sich damals wohl ähnliche Gedanken gemacht, wie die Kommunikationsguerilla. Diese lauten: Wie lässt sich mit möglichst wenig Aufwand eine größtmögliche Aufmerksamkeit für politische Inhalte erzielen. Und das geht am besten durch den Einsatz künstlerischer Mittel, die Inszenierung von Fake-Kampagnen, erschlichenen Konferenzauftritten, satirischen Überspitzungen im öffentlichen Raum und vielem mehr. Oder auch die Aneignung des "Streisand-Effekts".

Der "Streisand-Effekt" bezieht sich auf den erfolglosen Versuch der Schauspielerin Barbra Streisand 2003 ein Bildportal zu verklagen, weil es in seiner Sammlung von Küstenfotos auch eine Aufnahme ihres Anwesens war. Nicht nur, dass die Anklage auf 50 Millionen Dollar gnadenlos gescheitert ist—das besagte Foto ging im Zuge der Berichterstattung über den Fall durch die halbe Weltpresse. Die Lehre daraus lautet: Wenn du wirklich dafür sorgen willst, dass eine Story Öffentlichkeit bekommt, dann provoziere anwältliche Auseinandersetzungen. Wie es das erste best practice Beispiel des Abends zeigt:

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Erst wenige Tage vor der Veranstaltung bewies der Berliner Senat mal wieder weitreichendes politisches Geschick und ließ den Metronauten eine Aufforderung zur Unterlassungserklärung zukommen. Gegenstand war eine Bildsatire, die daran erinnerte, dass in der deutschen Hauptstadt schon einmal olympische Spiele ausgehandelt wurden, 1936. Berlin bemüht sich gerade um eine Olympia-Bewerbung und offensichtlich hatte die Stadt kein besonderes Interesse gehabt, sich mit solchen historischen Kontinuitäten überhaupt rumzuschlagen. Eigentlich war die Bildmontage gar nicht als Kommunikationsguerilla angelegt, wie ein Metronaut berichtet, aber sie wurde vom Berlin Senat dazu gemacht. Durch den hilflosen Versuch ihrer Unterbindung gelang diese Geschichte sogar in US-Medien wie Fox News.

Frisch aus dem Schnittraum berichtet das Peng! Collective von einer Aktion, die am selben Tag stattfand. Ein Aktivist erschlich sich einen Auftritt als professioneller Clown im esoterischen Live-Shoppingkanal „Astro-TV" . Bei einer Körperübung mit dem Moderator zerschlug er ein Ei auf seinem Kopf und forderte daraufhin, dass dem für unrühmliche Abzockpraktiken bekannten Sender die Sendelizenz entzogen wird.

An diesem Abend geht es aber nicht einfach nur darum, solche Erfolgsgeschichten zu versammeln. Das wird auch bei den Stargästen des Abends schnell deutlich, den Yes Men.

Zum einen berichten sie davon, wie auch mal Aktionen abgeblasen werden müssen, weil die Rahmenbedingungen einfach nicht das hergeben, was sie sollten. Das können organisatorische Gründe sein, oder auch konzeptionelle. Wenige Tage vor dem Gipfel hatten sie vor, bei einer Friedens-Spendengala Sex mit einem Eisbären zu inszenieren, um gegen die ökologische Krise zu demonstrieren. Die Entrüstungskampagne dazu sollte ebenfalls durch sie inszeniert werden, und zwar unter dem Hashtag #stoparcticdrilling. Kurz vor der Durchführung entschied sich das Kollektiv um: Einerseits sollten solche Veranstaltungen natürlich dafür kritisiert werden, dass sie in ihrer sehr einfach geratenen Gesellschaftskritik beim Geldsammeln stehen bleiben. Andererseits wird eine Aktion gegen solche Verflachungen der Gesellschaftsanalyse dennoch in genau diesem Kontext gelesen, und nicht entsprechend der Intention des Kollektivs. Die Situation ist zu überkomplex, die Aktion ist zu schwer vermittelbar und gehört damit abgeblasen. Und das ist völlig normal.

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Martin Kaul (Mitte) im Gespräch mit The Yes Men

Die Yes Men gehen mit diesem Scheitern sehr transparent um. Das hat einen pädagogischen Zweck, es muss klar werden: Sie sind keine Säulenheiligen des Aktivismus, sie sind fehlbar wie alle anderen Menschen auch. Und sie wollen politisch Aktiven die Hemmungsschwelle nehmen, in solchen Aktionsformaten zu denken und zu handeln.

Denn genau darum geht es. Einzelne Aktionen sind schön und gut, die politische Wirkung von symbolischen Akten verpufft aber, wenn sie nicht Bestandteil von etwas Größerem sind. Einer Bewegung, oder einem Kollektiv, dass immer wieder darauf verweist. So betonen auch Andy Bichlbaum und Mike Bonanno, dass nicht sie allein die Yes Men sind, sondern mittlerweile ein großes Netzwerk von Kunstschaffenden und/oder politisch Aktiven, die unter diesem Label agieren. Das erinnert an Aktionsformate wie "Die PARTEI" oder auch die "Front Deutscher Äpfel", die nach dem Prinzip der Selbstermächtigung ausgerichtet sind: Wer Bock darauf hat, unter den jeweiligen Fahnen zu laufen, beziehungsweise die Labels zu verwenden, soll das bitte unbedingt tun. Daraus entstehen selbstorganisierte Netzwerke, die immer größer werden, damit auch größer angelegte Aktionen ermöglichen und für eine längerfristige Wirkung sorgen.

„Flieger" mit den Zentralforderungen der Front Deutscher Äpfel

Fast alle am heutigen Abend besprochenen Aktionsformate teilen neben dieser Auffassung die Liebe zu grobem Unfug. Ihre Aktionen sind lustig. Dass es auch anders geht, zeigt das Zentrum für politische Schönheit. So wirklich zum Programm des Abends passen sie nicht, sie würden sich wahrscheinlich selbst nicht als Kommunikationsguerilla oder gar subversiv begreifen. Sie sind eher ein Beispiel dafür, wie man Kommunikationsguerilla auf nationalstaatlichen Reformismus übersetzt – und sich dabei als eine so hohe moralische Instanz inszeniert, dass ihnen auch mal eine Holocausrelativierung als besonders clever abgenommen wird:

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„Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) narrativiert eine Chronik des 21. Jahrhunderts, in der sich zwei Völkermorde in Afrika und Asien ereignen, die die Ereignisse des Holocaust in den Schatten stellen und die westliche Zivilisation (wieder einmal) völlig unvorbereitet treffen."

Überhaupt, dieser Text: Ein Kunstkollektiv, vornehmlich bestehend aus weißen, europäischen Männern, die politischen Druck auf ehemalige Kolonien ausüben wollen—das ist staatstragende Kunst in Deutschland. Aber ja, auch professionell agierende Protestagenturen können sich mal hart vergreifen. Und auch wenn das ZpS fernab jeder Subversion agiert, so schaffen sie es doch immer wieder, mit den Mitteln der Kommunikationsguerilla wichtige politische Themen in einer breiten Öffentlichkeit anzuregen.

Beschissene Zeiten rufen nach radikalen Maßnahmen, und so kann man ruhig davon ausgehen, dass wir vor einer Renaissance der Kommunikationsguerilla stehen.

Auch wenn die meisten bekannteren Aktionsformate schon etwas in die Jahre gekommen sind: Offenbar besteht auf allen Seiten der Wille, weiterzumachen.

Die große Gemüseschlacht von Berlin

Peng! Collective, das historisch jüngste Kollektiv des Abends, betonen, dass sie das Rad nicht neu erfunden haben. Sie orientieren sich an Beispielen wie den Yes Men und lassen sich von erprobten Mitteln der Kommunikationsguerilla inspirieren. Das ist der Stand der subversiven Kommunikationsguerilla von heute: Einerseits gibt es Akteure, die bereits auf jahrelange Erfahrung zurückblicken und diese sehr bereitwillig teilen. Andererseits Akteure, die der Gesellschaft mit diesen Mitteln den Kampf ansagen wollen und beginnen, eigene Formate zu entwickeln.

Selbst im humorlosen Deutschland bringen sich gerade zahlreiche post-dadaistische Protestformate in sozialen Netzwerken in Stellung, im Inkubationsraum der digitalen Gesellschaft. Hier findet gerade die Generalprobe statt. Kaum auszumalen, wenn sie auf die breite Öffentlichkeit losgelassen werden. Sie heißen „ Hooligans gegen Erstsemester – Für die Reinheit der Hochschule. Erstis raus aus jedem Seminar! " oder „Hunde raus aus Deutschland! – "Warum die Hunde nur aus unserem Land verbannen und nicht gleich von unserem Planeten? Laika war erst der Anfang! ". Andere Formate haben den Sprung auf die Straße bereits hinter sich gebracht, so wie PIPAPO, die "Postapokalyptische Illuminaten pür abendländische Panikorientierung!"

Arschkrampen dieser Welt, erzittert! Eine neue Generation der Kommunikationsguerilla wächst gerade heran und wird euch solange mit Wattebällen bewerfen, bis ihr blutet. In a fun way.