Spots Fotos vom L.A. der 70er sind wie wunderschöne Albträume

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Spots Fotos vom L.A. der 70er sind wie wunderschöne Albträume

Punkproduzent Spot hat das L.A. der 70er Jahre in wirklich beeindruckenden Fotos festgehalten.

Heutzutage steht bei jedem Gegenkulturconnaisseur in der westlichen Welt ein Bücherregal voller Bildbände, die die Punkkultur vergangener Jahrzehnte festhalten. Doch keiner davon gleicht Sinecures neuem Bildband Sounds of Two Eyes Opening, einer Sammlung von Aufnahmen von Spot, der sich in den frühen 80ern einen Namen als Produzent für das legendäre Label SST gemacht hat. Heute sollte er wohl eher als einer der besten Fotografen der Strand-, Skate- und Punkkultur längst vergangener Tage in L.A. gefeiert werden.

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Jede von Spots Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist wie ein wunderschöner Albtraum. Er hat die Ära der 70er Jahre von den Elementen einer Strandfantasie befreit und sie durch eine ominöse und bedrohliche Strandwirklichkeit ersetzt. Die Außenansichten sind einsam und beängstigend, die Innenansichten erinnern an Spukhäuser. Spot zeigt L.A., wie es wirklich ist: grau, isolierend, angsteinflößend.

Obwohl Spot seine Motive des Glamours und der Coolness beraubt, sind seine Aufnahmen niemals gefühllos und vermitteln auch nicht den Eindruck, dass er versucht, gemein oder voreingenommen zu sein. Seine Bikini-Girls sind nicht erregend, seine Punks sind nicht gefährlich und seine Skater sind keine Götter. Er dringt durch die Künstlichkeit zur authentische Menschlichkeit durch und vergibt seinen Motiven ihre Makel und Masken.

Ich habe mit Spot über seine Aufnahmen gesprochen.

VICE: Wie bist du auf den Titel Sounds of Two Eyes Opening gekommen? Du erwähnst in deiner Einleitung, dass Fotografen beide Augen offenhalten müssen, wenn sie Aufnahmen machen.
Spot: In erster Linie bin ich Musiker und alles, was ich tue, basiert darauf. Ich habe angefangen zu spielen, als es noch den Rundfunk auf Mittelwelle gab (Jahre vor UKW), und obwohl die Mittelwelle in Mono sendete, hörte man ja trotzdem mit beiden Ohren zu.

Musik ist die Grundlage jeder Sprache und wenn du die Erfahrung ernst nimmst, lernst du irgendwann, beide Gehirnhälften aufnahmebereit zu halten und eher auf deinen Instinkt zu vertrauen. Improvisation und Bauchgefühl werden zum Rahmen von Rhythmus und Komposition. In der Fotografie sollte der Bildsucher keine Einschränkung darstellen, er ist bloß Teil eines größeren Ganzen.

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Das kann am Anfang vielleicht schwierig sein, aber du musst üben, beide Augen offenzuhalten. Sonst übersiehst du die Subtilität und Tiefe deines Motivs und wie es sich mit allem anderen verbindet, was um dich herum geschieht. Ein Baseball-Spieler muss nicht nur die Körpersprache des Pitchers lesen können, bevor er schlägt, sondern auch aller anderen Spieler im Außenfeld. So weißt du, wann du ausholen kannst und wann nicht.

Wie haben deine Motive reagiert, als sie die Bilder gesehen haben?
Sie fanden sie gut. Wieso auch nicht?

Was ich meine, ist: Deine Fotos berauben deine Motive des Glamours, aber nicht auf eine gefühllose Weise. Deine Bands werden nicht vergöttert, deine Bikini-Girls werden im Gegensatz zu den meisten anderen Fotos nicht zu sexuellen Objekten gemacht.
Außer ein paar betrunkenen Idioten, ein paar Polizisten, Drogendealern oder ein paar selbstgefälligen „Künstlern" hatte nie jemand etwas gegen meine Aufnahmen einzuwenden. Ich habe mich nicht um die anderen Fotografen gekümmert. Ich habe auf meine Motive geachtet und darauf, was sie gemacht haben.

Das ist dein erster Bildband. Wie stehst du dazu? Hat es deiner Meinung nach zu lang gedauert, bis er entstanden ist?
Er ist nicht perfekt, aber besser, als ich erwartet hätte. Vorher hat sich nie die Gelegenheit ergeben, einen Bildband zusammenzustellen. Wenn etwas gut ist, dann braucht es auch seine Zeit. Die Menschen sind zu ungeduldig.

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Was würdest du verändern, damit er perfekt wäre?
Er war ein Gemeinschaftsprojekt mit den üblichen künstlerischen Streitereien. Ich hätte ein paar der Bilder durch andere ersetzt. Aber gut, Perfektion ist auch eher ein schwer greifbares Konzept.

Der Bildband spiegelt eine bestimmte Arbeitsweise und bestimmte Entscheidungen wider. Wie bist du dazu gekommen? Du stellst die bunte Welt der Strände, der Bikini-Mädchen, Skater und Punks in Grauschattierungen dar.
Du legst einfach los. Du machst Fehler und findest so heraus, was funktioniert und was nicht funktioniert, bis du weißt, wie du das erreichst, was du erreichen möchtest. Grau ist die Domäne der Schwarz-Weiß-Fotografie. Die Leute täuschen sich, wenn sie glauben, dass Schwarz und Weiß nur Repräsentationen von Abwesenheit und Übersättigung sind. Das können sie sein, aber sie sind eben auch richtige Farben.

Wenn ich mir die Aufnahmen in deinem Bildband ansehe, dann empfinde ich keine Sehnsucht nach dieser Welt. Die Fotos sind großartig, aber ich glaube, dass es dir gelungen ist, beinahe nackte Frauen so darzustellen, dass sie nicht sexy wirken, und Punkbands auf eine Weise, die nicht romantisch ist.
Nostalgie ist ein Nebenprodukt von Handlung und Erinnerung. Es muss sie nicht geben, aber unsere Kultur hat die Tendenz, unserer Wahrnehmung eine Sehnsucht nach lang vergangenen Zeiten und eine „Die Kirschen in Nachbars Garten schmecken immer besser"-Mentalität aufzuzwingen. Das ist leicht vermarktbar und hilft dabei, Geschichte in leicht verdaubare Dogmen und politische Ansichten zu verwandeln. Deshalb ist Amerika so fasziniert vom wilden Westen und einem „schroffen Individualismus", den es so vielleicht nie gab. Wir haben uns alle schon einmal nach Zeiten gesehnt, die wir nie erlebt haben. Ich habe mir früher gewünscht, dass ich in den 1920er Jahren gelebt hätte, mit den ganzen Flappern, den Gangstern, den illegalen Bars und den Jazz-Schuppen. Wieso nicht? Spukhäuser? Ich weiß nicht, aber Geister habe ich schon mal gesehen.

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Wann hast du von den 20ern geträumt? Was hat dich besonders daran fasziniert?
Als ich 15 oder 16 war. Das war wahrscheinlich der letzte Vorposten gegen den Status Quo und den fehlgeleiteten Missionarseifer. In den 30ern (wohl wegen der Aufhebung der Prohibition) hat sich alles verändert. Es wurde nüchterner (ironischerweise), breitschultrig, es gab zweireihige Anzüge, anständige Rocklängen und Frisuren und große Limousinen, auch an der Westküste. Es war ein düsterer Chicago-Stil, der das Gefühl einer „kulturellen Mafia" vermittelte, das solange bestehen blieb, bis im Radio Elektro-Country, R&B und Rock'n'Roll gespielt wurden.

Findest du es seltsam, wenn Menschen sich wünschen, dass sie die Dinge hätten miterleben können, die du miterlebt hast, die Entstehung der Skater-Kultur und der Hardcore-Szene von L.A.?
Nein. Hättest du denn nicht den Bau des Empire State Buildings oder den ersten Flug der Gebrüder Wright miterleben wollen?

Wieso hast L.A. verlassen?
Es war ein Ausbruch aus einem offenen Gefängnis. Ich habe zu viel Zeit im Verkehr zugebracht, zu viel Zeit damit zugebracht, mich mit den Problemen anderer Menschen auseinanderzusetzen, und zu begreifen, dass die Wärter zu Insassen mit schöneren Zellen geworden sind.

Wo lebst du jetzt?
Ich lebe in Sheboygan in Wisconsin, direkt am Lake Michigan. Jeder Ort hat seine Vor- und Nachteile. Es ist jetzt nicht der tollste Wohnort, den man sich vorstellen kann, aber zumindest schlafe ich besser.

Hast du je wieder zu einer Kamera gegriffen?
Nur, wenn ich mich selbst verteidigen musste. Eine alte Nikon FTN ist ein guter Knüppel.

Jetzt ernsthaft. Ich habe es versucht, aber mir fehlt die Motivation (und die Dunkelkammer) dafür. Die digitale Welt ist zwar interessant, aber ihr fehlt die Magie. Mir ist Jean Harlow mit Akne lieber als eines dieser Models, das erwartet, dass die Bilder digital überarbeitet werden.

Hast du ein Handy mit einer Kamera und falls ja, benutzt du es?
Ja, und wenn ich zu Hause bin, dann mache ich das blöde Ding auch ein oder zwei Mal die Woche an.

Du kannst Sounds of Two Eyes Opening bei Sinecure Books bestellen.